Wie man sich vor haftungsrechlichem Schaden schützen kann: Prof. Dr. Volker Großkopf über "Aufgabenmigration: Problemlösung oder Haftungsfalle?" auf der Winterakademie 2021
Prof. Dr. Volker Großkopf im Seminar über „Aufga­ben­mi­gra­tion: Problem­lö­sung oder Haftungs­falle?“ auf der Winter­aka­de­mie 2021

Eigent­lich sind das Ärzte- und das Pflege­per­so­nal fein raus, wenn es zu Haftungs- und Schadens­er­satz-Prozes­sen wegen vermu­te­ter Pflege- oder Behand­lungs­feh­ler kommt, betonte Prof. Dr. Volker Großkopf in seinem Seminar „Aufga­ben­mi­gra­tion: Problem­lö­sung oder Haftungs­falle?“ auf der am Samstag (23. Januar) gestar­te­ten Winter­aka­de­mie.

„Der Kläger muss grund­sätz­lich alle Schadens­er­satz-begrün­den­den Voraus­set­zun­gen bewei­sen“. Die da wären: den Schaden selbst, die Verlet­zung der Sorgfalts­pflicht, das Verschul­den und den ursäch­li­chen Zusam­men­hang zwischen Schaden und Behand­lungs­feh­ler. Die Kausa­li­tät ist immer nur dann gegeben, wenn der Schaden bei ordnungs­ge­mä­ßem Handeln „mit an Sicher­heit grenzen­der Wahrschein­lich­keit vermie­den“ worden wäre.

Haftungs­recht­li­che Komfort­zone für Ärzte­schaft und Pflege

„Dort rollt die Kugel meist ins Aus“, wie der Rechts­an­walt und Dozent der Katho­li­schen Hochschule (KatHO) NRW, Abtei­lung Köln, aus seiner langjäh­ri­gen Erfah­rung weiß. „Wir sind also auf Ärzte- oder Pfleger-Seite in einem zivil­recht­li­chen Haftungs­pro­zess in einer recht komfor­ta­blen Situa­tion, weil die kläge­ri­sche Seite zunächst alles bewei­sen muss.“

Wenn nur das große ‚Aber‘ nicht wäre: Stellt sich nämlich heraus, dass die behan­delnde Person nicht formell und/oder materi­ell für die von ihr geleis­tete Aufgabe quali­fi­ziert war, kehrt sich die Beweis­last um – und der Schadens­er­satz-Anspruch ist dann nur noch sehr schwie­rig abzuwen­den. „Durch die Beweis­last­um­kehr wird die recht­lich entspannte Vertei­di­gungs­lage zum Albtraum“, so Prof. Dr. Großkopf. Kurzum: „Wenn nicht hinrei­chend quali­fi­zier­tes Perso­nal einge­setzt wurde, verlie­ren Sie in aller Regel den Prozess.“

Entschei­dend ist die formelle Quali­fi­ka­tion und das tatsäch­li­che Können

Durch die im Einrich­tungs- oder Praxis-Alltag allge­gen­wär­tige Delega­tion von Aufga­ben – entwe­der von ärztli­chen Tätig­kei­ten auf Pflege­fach­kräfte oder sogar, wie anläss­lich Corona in der Berli­ner Charité, von pflege­ri­schen Tätig­kei­ten auf aushel­fende Ärzte – droht diese Situa­tion jedoch perma­nent, sollte es einmal zum Schaden kommen. „Ich beispiels­weise habe noch nie erlebt, dass ein Arzt persön­lich mich impfte. Das machen immer die medizi­ni­schen Fachan­ge­stell­ten. Wenn’s zum Schaden käme, könnte man behaup­ten, dass nicht hinrei­chend quali­fi­zier­tes Perso­nal die Behand­lung vorge­nom­men hat.“ Wobei man zwischen formel­ler und materi­el­ler Quali­fi­ka­tion unter­schei­den muss: die durch Ausbil­dungs­ab­schluss erlangte formelle Quali­fi­ka­tion, sowie die durch prakti­sche Tätig­keit und Fortbil­dun­gen erlangte materi­elle Quali­fi­ka­tion – ein einleuch­ten­der Unter­schied. „Nicht jeder, der den Führer­schein hat, kann tatsäch­lich gut Auto fahren“, brachte eine Teilneh­me­rin einen anschau­li­chen Vergleich aus dem tägli­chen Leben.

Mit Check­lis­ten, Ausbil­dungs­plä­nen und Haftpflicht­ver­si­che­rung auf der siche­ren Seite

Wegen dieser Tatsa­chen ist Einrich­tun­gen anzura­ten, eine Check­liste zur Delega­tion von Tätig­kei­ten zu führen. Diese sollte die nach objek­ti­ver Risiko­ein­schät­zung festge­stellte Übertrag­bar­keit der Aufgabe definie­ren, sowie die Beherr­schung dieser Aufgabe durch die formelle und materi­elle Quali­fi­ka­tion der Delega­ten. Sowie die ärztli­che Dichte – wie schnell also ein Experte eingrei­fen kann oder sollte, passiert doch einmal etwas. Auf Seiten des Einrich­tungs- oder Klinik­ma­nage­ments empfiehlt sich deshalb ein struk­tu­rier­ter Ausbil­dungs­plan für die Beschäf­tig­ten nebst Befähi­gungs­nach­weis, sowie eine verbind­li­che, sankti­ons­be­werte Dienst­an­wei­sung oder Rundver­fü­gung. Auch eine genau definierte haftpflicht­tech­ni­sche Absiche­rung der Beschäf­tig­ten ist geboten.

Neben der Behand­lung durch nicht ausrei­chend quali­fi­zierte Kräfte, einer mangeln­den oder nicht vorhan­de­nen Dokumen­ta­tion und der Feststel­lung eines „groben Behand­lungs­feh­lers“ sind Aufklä­rungs­feh­ler ein weite­rer großer Punkt, der zur Beweis­las­ter­leich­te­rung und mithin dem Verlust eines Prozes­ses führen kann. Im ärztli­chen Bereich geht häufig wegen mangeln­der Aufklä­rung der Prozess zu Lasten des behan­deln­den Arztes aus, berich­tete Prof. Dr. Großkopf. Bei der Dokumen­ta­tion gelte der Grund­satz, dass alles Relevante festge­hal­ten werden müsse – nicht jedoch „Nicht-Zustände“ oder Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, wie zum Beispiel die Desin­fek­tion der Haut vor der Blutent­nahme.