Eigentlich sind das Ärzte- und das Pflegepersonal fein raus, wenn es zu Haftungs- und Schadensersatz-Prozessen wegen vermuteter Pflege- oder Behandlungsfehler kommt, betonte Prof. Dr. Volker Großkopf in seinem Seminar „Aufgabenmigration: Problemlösung oder Haftungsfalle?“ auf der am Samstag (23. Januar) gestarteten Winterakademie.
„Der Kläger muss grundsätzlich alle Schadensersatz-begründenden Voraussetzungen beweisen“. Die da wären: den Schaden selbst, die Verletzung der Sorgfaltspflicht, das Verschulden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Schaden und Behandlungsfehler. Die Kausalität ist immer nur dann gegeben, wenn der Schaden bei ordnungsgemäßem Handeln „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden“ worden wäre.
Haftungsrechtliche Komfortzone für Ärzteschaft und Pflege
„Dort rollt die Kugel meist ins Aus“, wie der Rechtsanwalt und Dozent der Katholischen Hochschule (KatHO) NRW, Abteilung Köln, aus seiner langjährigen Erfahrung weiß. „Wir sind also auf Ärzte- oder Pfleger-Seite in einem zivilrechtlichen Haftungsprozess in einer recht komfortablen Situation, weil die klägerische Seite zunächst alles beweisen muss.“
Wenn nur das große ‚Aber‘ nicht wäre: Stellt sich nämlich heraus, dass die behandelnde Person nicht formell und/oder materiell für die von ihr geleistete Aufgabe qualifiziert war, kehrt sich die Beweislast um – und der Schadensersatz-Anspruch ist dann nur noch sehr schwierig abzuwenden. „Durch die Beweislastumkehr wird die rechtlich entspannte Verteidigungslage zum Albtraum“, so Prof. Dr. Großkopf. Kurzum: „Wenn nicht hinreichend qualifiziertes Personal eingesetzt wurde, verlieren Sie in aller Regel den Prozess.“
Entscheidend ist die formelle Qualifikation und das tatsächliche Können
Durch die im Einrichtungs- oder Praxis-Alltag allgegenwärtige Delegation von Aufgaben – entweder von ärztlichen Tätigkeiten auf Pflegefachkräfte oder sogar, wie anlässlich Corona in der Berliner Charité, von pflegerischen Tätigkeiten auf aushelfende Ärzte – droht diese Situation jedoch permanent, sollte es einmal zum Schaden kommen. „Ich beispielsweise habe noch nie erlebt, dass ein Arzt persönlich mich impfte. Das machen immer die medizinischen Fachangestellten. Wenn’s zum Schaden käme, könnte man behaupten, dass nicht hinreichend qualifiziertes Personal die Behandlung vorgenommen hat.“ Wobei man zwischen formeller und materieller Qualifikation unterscheiden muss: die durch Ausbildungsabschluss erlangte formelle Qualifikation, sowie die durch praktische Tätigkeit und Fortbildungen erlangte materielle Qualifikation – ein einleuchtender Unterschied. „Nicht jeder, der den Führerschein hat, kann tatsächlich gut Auto fahren“, brachte eine Teilnehmerin einen anschaulichen Vergleich aus dem täglichen Leben.
Mit Checklisten, Ausbildungsplänen und Haftpflichtversicherung auf der sicheren Seite
Wegen dieser Tatsachen ist Einrichtungen anzuraten, eine Checkliste zur Delegation von Tätigkeiten zu führen. Diese sollte die nach objektiver Risikoeinschätzung festgestellte Übertragbarkeit der Aufgabe definieren, sowie die Beherrschung dieser Aufgabe durch die formelle und materielle Qualifikation der Delegaten. Sowie die ärztliche Dichte – wie schnell also ein Experte eingreifen kann oder sollte, passiert doch einmal etwas. Auf Seiten des Einrichtungs- oder Klinikmanagements empfiehlt sich deshalb ein strukturierter Ausbildungsplan für die Beschäftigten nebst Befähigungsnachweis, sowie eine verbindliche, sanktionsbewerte Dienstanweisung oder Rundverfügung. Auch eine genau definierte haftpflichttechnische Absicherung der Beschäftigten ist geboten.
Neben der Behandlung durch nicht ausreichend qualifizierte Kräfte, einer mangelnden oder nicht vorhandenen Dokumentation und der Feststellung eines „groben Behandlungsfehlers“ sind Aufklärungsfehler ein weiterer großer Punkt, der zur Beweislasterleichterung und mithin dem Verlust eines Prozesses führen kann. Im ärztlichen Bereich geht häufig wegen mangelnder Aufklärung der Prozess zu Lasten des behandelnden Arztes aus, berichtete Prof. Dr. Großkopf. Bei der Dokumentation gelte der Grundsatz, dass alles Relevante festgehalten werden müsse – nicht jedoch „Nicht-Zustände“ oder Selbstverständlichkeiten, wie zum Beispiel die Desinfektion der Haut vor der Blutentnahme.