Grundsätzlich gilt: Jeder Mensch darf sich aus freiem Willen gegen eine medizinische Behandlung entscheiden. Das greift auch bei Patienten, die – zum Beispiel aufgrund einer Demenz – nicht in der Lage sind, den Sinn der Behandlung zu begreifen: Sie haben immer noch das Recht, eine Behandlung zu verweigern.
Unter bestimmten Vorraussetzungen kann allerdings eine Zwangsbehandlung – also eine ärztliche Maßnahme gegen den Willen des Patienten – durchgeführt werden.
Zwangsbehandlung: Freier und natürlicher Wille
Jede ärztliche Behandlung darf nur mit einer wirksamen Einwilligung des Patienten durchgeführt werden. Menschen gelten dann als einwilligungsfähig, wenn sie in der Lage sind, den Sinn und das Ziel der geplanten Behandlung zu verstehen, den Behandlungserfolg gegen eventuelle Komplikationen abzuwägen und auf dieser Basis eine Entscheidung zu treffen.
Die Vernünftigkeit der Entscheidung muss dabei am subjektiven Normen- und Wertesystem des Patienten gemessen werden: Jemand, der sich beispielsweise gegen eine Operation zugunsten einer homöopathischen Therapie entscheidet, hat trotzdem ein Recht darauf, dass seine Entscheidung respektiert wird – auch dann, wenn sie einem selbst völlig unverständlich erscheint.
Damit die Einwilligung wirksam ist, muss der Patient über alle notwendigen Informationen verfügen. Es muss also vor der Behandlung ein Beratungsgespräch stattfinden, in dem unter anderem
- Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikation,
- Ablauf,
- Risiken und
- Nachbehandlung der Operation,
also generell Vor- und Nachteile jeder geplanten Maßnahme, erläutert werden.
Dieses Gespräch muss vom behandelnden Arzt selbst durchgeführt werden, damit der Patient die Möglichkeit hat, Fragen zu stellen. Dabei muss der Arzt eine Sprache wählen, die für den Patienten auch verständlich ist, also medizinische Fachbegriffe meiden.
Die Einsichtsfähigkeit des Patienten und die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, sind die Vorraussetzungen für seinen freien Willen. Ein Mensch, der krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, die Erklärungen des Arztes zu begreifen, kann allerdings immer noch einen natürlichen Willen äußern, zum Beispiel durch das Wegdrehen des Kopfes bei der Medikamentengabe oder abwehrende Handbewegungen.
Diese Unterscheidung ist relevant für die Rechtmäßigkeit einer Zwangsbehandlung, da ein Mensch niemals gegen den eigenen freien Willen, wohl aber unter bestimmten Vorraussetzungen gegen den natürlichen Willen behandelt werden darf.
Grundlegende rechtliche Vorraussetzungen der Zwangsbehandlung
Grundsätzlich gelten für jede Behandlung gegen den natürlichen Willen des Patienten bestimmte Rahmenbedingungen. Diese gelten sowohl für die ärztliche Behandlung mit Medikamenten als auch für eine Operation sowie für alle anderen medizinische Maßnahmen bei körperlichen oder psychischen Erkrankungen.
- Die Zwangsbehandlung darf ausschließlich im Rahmen einer stationären Aufnahme in ein Krankenhaus erfolgen, in dem dem nicht nur die ärztliche Behandlung selbst, sondern auch die erforderliche Nachbehandlung durchgeführt werden kann. Zwangsbehandlungen, die in einer Pflegeeinrichtung oder ambulant erfolgen, sind nicht zulässig.
- Sie muss von einem Gericht genehmigt worden sein. Diese Genehmigung darf nicht über die aktuelle Situation hinaus erfolgen, sondern gilt immer nur für die konkrete Maßnahme. Der Patient muss vom Gericht gehört worden sein und auch nach dem Urteil die Gelegenheit haben, sich juristisch zu wehren. Zwischen Urteil und Beginn der Behandlung müssen also mindestens einige Tage liegen.
- Eine Zwangsbehandlung ohne gerichtliche Genehmigung ist nur dann zulässig, wenn eine akute Notsituation vorliegt, also eine schwerwiegende Gefahr für den Patienten oder Dritte dringend abgewendet werden muss. In diesem Fall darf die Klinik die Zwangsbehandlung vorläufig vornehmen, muss die gerichtliche Zustimmung aber unverzüglich, also innerhalb weniger Tage, einholen.
- Eine Zwangsbehandlung ist es laut Bundesverfassungsgericht auch dann schon, wenn der Patient der Behandlung zustimmt, um Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. Eine unter Druck gegebene Einwilligung ist ungültig, der Patient darf also nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder zuzustimmen oder gegen seinen Willen behandelt zu werden. Innerhalb eines bestimmten Rahmens muss auch die „Freiheit zur Krankheit“ akzeptiert werden. So darf ein Mensch mit leichten Wahnvorstellungen nicht zwangsbehandelt werden, es sei denn, es besteht die Gefahr einer Selbstverletzung.
Zwangsbehandlung bei Betreuung
Auch bei Menschen, die zum Beispiel durch das Vorliegen einer Demenz unter Betreuung stehen, sind bei der Durchführung einer Zwangsbehandlung bestimmte Vorraussetzungen notwendig. Das Betreuungsverhältnis bedeutet also nicht automatisch, dass der Betreuer über den Willen des Patienten hinweg entscheiden darf.
In § 1832 BGB „Ärztliche Zwangsmaßnahmen“ sind folgende Punkte zu Rechtmäßigkeit von ärztlichen Zwangsmaßnahmen aufgeführt:
- Die ärztliche Zwangsmaßnahme muss notwendig sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden von der betroffenen Person abzuwenden. Es reicht also nicht aus, dass die Behandlung aus medizinischer Sicht sinnvoll ist: Wenn bei Unterbleiben der Behandlung keine wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind, muss der natürliche Wille des Patienten respektiert werden.
- Die betroffene Person kann aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln. Es liegt auch keine Patientenverfügung vor, die gegen die Zwangsbehandlung spricht.
- Die Behandlung muss alternativlos sein, die Abwendung des Schadens kann also nicht durch eine andere ärztliche Maßnahme erreicht werden, die den natürlichen Willen des Patienten nicht entgegensteht.
- Der zu erwartende Nutzen der Behandlung muss deutlich größer sein als die zu erwartenden Beeinträchtigungen bei Nicht-Behandlung. Bei dieser Abwägung müssen nicht nur die gesundheitlichen Folgen, sondern auch Risiken und Nebenwirkungen der ärztlichen Maßnahmen berücksichtigt werden.