Zwangsbehandlung
Auch Menschen mit Demenz haben immer noch das Recht, eine Behand­lung zu verwei­gern. Bild: Dimaberkut/Dreamstime

Grund­sätz­lich gilt: Jeder Mensch darf sich aus freiem Willen gegen eine medizi­ni­sche Behand­lung entschei­den. Das greift auch bei Patien­ten, die – zum Beispiel aufgrund einer Demenz – nicht in der Lage sind, den Sinn der Behand­lung zu begrei­fen: Sie haben immer noch das Recht, eine Behand­lung zu verwei­gern.

Unter bestimm­ten Vorraus­set­zun­gen kann aller­dings eine Zwangs­be­hand­lung – also eine ärztli­che Maßnahme gegen den Willen des Patien­ten – durch­ge­führt werden.

Zwangs­be­hand­lung: Freier und natür­li­cher Wille

Jede ärztli­che Behand­lung darf nur mit einer wirksa­men Einwil­li­gung des Patien­ten durch­ge­führt werden. Menschen gelten dann als einwil­li­gungs­fä­hig, wenn sie in der Lage sind, den Sinn und das Ziel der geplan­ten Behand­lung zu verste­hen, den Behand­lungs­er­folg gegen eventu­elle Kompli­ka­tio­nen abzuwä­gen und auf dieser Basis eine Entschei­dung zu treffen.

Die Vernünf­tig­keit der Entschei­dung muss dabei am subjek­ti­ven Normen- und Werte­sys­tem des Patien­ten gemes­sen werden: Jemand, der sich beispiels­weise gegen eine Opera­tion zuguns­ten einer homöo­pa­thi­schen Thera­pie entschei­det, hat trotz­dem ein Recht darauf, dass seine Entschei­dung respek­tiert wird – auch dann, wenn sie einem selbst völlig unver­ständ­lich erscheint.

Damit die Einwil­li­gung wirksam ist, muss der Patient über alle notwen­di­gen Infor­ma­tio­nen verfü­gen. Es muss also vor der Behand­lung ein Beratungs­ge­spräch statt­fin­den, in dem unter anderem

  • Wirkun­gen und Neben­wir­kun­gen der Medika­tion,
  • Ablauf,
  • Risiken und
  • Nachbe­hand­lung der Opera­tion,

also generell Vor- und Nachteile jeder geplan­ten Maßnahme, erläu­tert werden.

Dieses Gespräch muss vom behan­deln­den Arzt selbst durch­ge­führt werden, damit der Patient die Möglich­keit hat, Fragen zu stellen. Dabei muss der Arzt eine Sprache wählen, die für den Patien­ten auch verständ­lich ist, also medizi­ni­sche Fachbe­griffe meiden.

Die Einsichts­fä­hig­keit des Patien­ten und die Fähig­keit, nach dieser Einsicht zu handeln, sind die Vorraus­set­zun­gen für seinen freien Willen. Ein Mensch, der krank­heits­be­dingt nicht in der Lage ist, die Erklä­run­gen des Arztes zu begrei­fen, kann aller­dings immer noch einen natür­li­chen Willen äußern, zum Beispiel durch das Wegdre­hen des Kopfes bei der Medika­men­ten­gabe oder abweh­rende Handbe­we­gun­gen.

Diese Unter­schei­dung ist relevant für die Recht­mä­ßig­keit einer Zwangs­be­hand­lung, da ein Mensch niemals gegen den eigenen freien Willen, wohl aber unter bestimm­ten Vorraus­set­zun­gen gegen den natür­li­chen Willen behan­delt werden darf.

Grund­le­gende recht­li­che Vorraus­set­zun­gen der Zwangs­be­hand­lung

Grund­sätz­lich gelten für jede Behand­lung gegen den natür­li­chen Willen des Patien­ten bestimmte Rahmen­be­din­gun­gen. Diese gelten sowohl für die ärztli­che Behand­lung mit Medika­men­ten als auch für eine Opera­tion sowie für alle anderen medizi­ni­sche Maßnah­men bei körper­li­chen oder psychi­schen Erkran­kun­gen.

  • Die Zwangs­be­hand­lung darf ausschließ­lich im Rahmen einer statio­nä­ren Aufnahme in ein Kranken­haus erfol­gen, in dem dem nicht nur die ärztli­che Behand­lung selbst, sondern auch die erfor­der­li­che Nachbe­hand­lung durch­ge­führt werden kann. Zwangs­be­hand­lun­gen, die in einer Pflege­ein­rich­tung oder ambulant erfol­gen, sind nicht zuläs­sig.
  • Sie muss von einem Gericht geneh­migt worden sein. Diese Geneh­mi­gung darf nicht über die aktuelle Situa­tion hinaus erfol­gen, sondern gilt immer nur für die konkrete Maßnahme. Der Patient muss vom Gericht gehört worden sein und auch nach dem Urteil die Gelegen­heit haben, sich juris­tisch zu wehren. Zwischen Urteil und Beginn der Behand­lung müssen also mindes­tens einige Tage liegen.
  • Eine Zwangs­be­hand­lung ohne gericht­li­che Geneh­mi­gung ist nur dann zuläs­sig, wenn eine akute Notsi­tua­tion vorliegt, also eine schwer­wie­gende Gefahr für den Patien­ten oder Dritte dringend abgewen­det werden muss. In diesem Fall darf die Klinik die Zwangs­be­hand­lung vorläu­fig vorneh­men, muss die gericht­li­che Zustim­mung aber unver­züg­lich, also inner­halb weniger Tage, einho­len.
  • Eine Zwangs­be­hand­lung ist es laut Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt auch dann schon, wenn der Patient der Behand­lung zustimmt, um Zwangs­maß­nah­men zu vermei­den. Eine unter Druck gegebene Einwil­li­gung ist ungül­tig, der Patient darf also nicht vor die Wahl gestellt werden, entwe­der zuzustim­men oder gegen seinen Willen behan­delt zu werden. Inner­halb eines bestimm­ten Rahmens muss auch die „Freiheit zur Krank­heit“ akzep­tiert werden. So darf ein Mensch mit leich­ten Wahnvor­stel­lun­gen nicht zwangs­be­han­delt werden, es sei denn, es besteht die Gefahr einer Selbst­ver­let­zung.

Zwangs­be­hand­lung bei Betreu­ung

Auch bei Menschen, die zum Beispiel durch das Vorlie­gen einer Demenz unter Betreu­ung stehen, sind bei der Durch­füh­rung einer Zwangs­be­hand­lung bestimmte Vorraus­set­zun­gen notwen­dig. Das Betreu­ungs­ver­hält­nis bedeu­tet also nicht automa­tisch, dass der Betreuer über den Willen des Patien­ten hinweg entschei­den darf.

In § 1832 BGB „Ärztli­che Zwangs­maß­nah­men“ sind folgende Punkte zu Recht­mä­ßig­keit von ärztli­chen Zwangs­maß­nah­men aufge­führt:

  • Die ärztli­che Zwangs­maß­nahme muss notwen­dig sein, um einen drohen­den erheb­li­chen gesund­heit­li­chen Schaden von der betrof­fe­nen Person abzuwen­den. Es reicht also nicht aus, dass die Behand­lung aus medizi­ni­scher Sicht sinnvoll ist: Wenn bei Unter­blei­ben der Behand­lung keine wesent­li­chen gesund­heit­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen zu erwar­ten sind, muss der natür­li­che Wille des Patien­ten respek­tiert werden.
  • Die betrof­fene Person kann aufgrund einer psychi­schen Krank­heit oder einer geisti­gen oder seeli­schen Behin­de­rung die Notwen­dig­keit der ärztli­chen Maßnahme nicht erken­nen oder nicht nach dieser Einsicht handeln. Es liegt auch keine Patien­ten­ver­fü­gung vor, die gegen die Zwangs­be­hand­lung spricht.
  • Die Behand­lung muss alter­na­tiv­los sein, die Abwen­dung des Schadens kann also nicht durch eine andere ärztli­che Maßnahme erreicht werden, die den natür­li­chen Willen des Patien­ten nicht entge­gen­steht.
  • Der zu erwar­tende Nutzen der Behand­lung muss deutlich größer sein als die zu erwar­ten­den Beein­träch­ti­gun­gen bei Nicht-Behand­lung. Bei dieser Abwägung müssen nicht nur die gesund­heit­li­chen Folgen, sondern auch Risiken und Neben­wir­kun­gen der ärztli­chen Maßnah­men berück­sich­tigt werden.