Zuwanderung
In Deutsch­land herrscht ein Mangel an Fachräf­ten – auch in der Pflege. Kann die Zuwan­de­rung auslän­di­scher Kräfte helfen? Bild: Frank Harms/Dreamstime.com

Der Pflege­not­stand ist auf jeden Fall in der Politik angekom­men: Bundes­ar­beits­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) wirbt weltweit um Pflege­kräfte. Nach einer Reise nach Brasi­lien mit Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) nutzte er auch eine Indien­reise für ein G20-Minis­ter­tref­fen, um jungen Menschen die Einwan­de­rung nach Deutsch­land schmack­haft zu machen.

Dafür will er den Weg durch den „deutschen Vorschrif­ten-Dschun­gel“ erleich­tern – einer der Gründe, weshalb Deutsch­land beson­ders für Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern wenig attrak­tiv ist. „Warum sollte eine brasi­lia­ni­sche Kranken­pfle­ge­rin monate­lang auf deutsche Behör­den warten, wenn der Weg nach Portu­gal, Kanada oder in die USA viel unkom­pli­zier­ter ist?“ fragen Heil und Baerbock in einem Gastbei­trag für die FAZ. Ihr Ziel: Durch eine Digita­li­sie­rung des Visa-Verfah­rens sollen bis Ende 2024 viermal so viele Visa für Fachkräfte bearbei­tet werden wie bisher.

Hohe Zugangs­vor­aus­set­zun­gen für auslän­di­sche Fachkräfte

Spezi­ell für Pflege­kräfte sind die Zugangs­vor­aus­set­zun­gen hoch. Für eine staat­li­che Zulas­sung zur Berufs­aus­übung müssen sie laut make-it-in-germany.com, einem Infor­ma­ti­ons­por­tal der Bundes­re­gie­rung für auslän­di­sche Fachkräfte, folgende Krite­rien erfül­len:

  • Anerkann­ter Abschluss: Der Abschluss als Pflege­kraft aus dem Herkunfts­land muss in Deutsch­land anerkannt werden. Die zustän­dige Behörde prüft, ob der Berufs­ab­schluss gleich­wer­tig zu deutschen Abschlüs­sen ist. Falls nicht, können eine Kennt­nis­prü­fung oder ein Anpas­sungs­lehr­gang absol­viert werden. Der Antrag für die beruf­li­che Anerken­nung wird bei der zustän­di­gen Stelle des Bundes­lan­des, in dem die Beschäf­ti­gung erfol­gen soll, gestellt. Die erteilte Anerken­nung gilt deutsch­land­weit.
  • Ausrei­chende Deutsch­kennt­nisse: Je nach Bundes­land werden Kennt­nisse auf dem Niveau B2 oder B1 nach dem Gemein­sa­men europäi­scher Referenz­rah­men für Sprachen (GER) benötigt.
  • Gesund­heit­li­che Eignung: Wer in Deutsch­land pflegen will, braucht eine Beschei­ni­gung eines deutschen Arztes, um die körper­li­che und geistige Eignung für die Pflege nachzu­wei­sen.
  • Persön­li­che Eignung: Dafür benötigt man einen Nachweis der Straf­frei­heit, der durch ein Führungs­zeug­nis aus dem Heimat­land oder je nach Situa­tion durch ein deutsches polizei­li­ches Führungs­zeug­nis erbracht werden kann.

Bürokra­tie erschwert die Zuwan­de­rung

Beson­ders die Anerken­nung der Quali­fi­ka­tion ist oft proble­ma­tisch. Die Prüfung durch die zustän­dige Aufsichts­be­hörde kann Monate dauern und endet dann doch zumeist mit der Verpflich­tung zur Ableis­tung eines Anpas­sungs­lehr­gangs.

Denn da die in Deutsch­land prakti­zierte duale Pflege­aus­bil­dung in ihrer Form fast einzig­ar­tig ist, haben selbst hochqua­li­fi­zierte auslän­di­sche Fachkräfte mit Univer­si­täts­ab­schluss oft Probleme, mehr als eine Teilan­er­ken­nung in Deutsch­land zu erhal­ten.

Zwar macht das am 7. Juli im Bundes­tag beschlos­sene Fachkräf­te­ein­wan­de­rungs­ge­setz die Zuwan­de­rung für Pflege­as­sis­tenz­kräfte leich­ter – aber für Pflege­fach­kräfte ändert sich dadurch nichts.

Sprache als Zuwan­de­rungs­hürde

Die größte Hürde ist aller­dings die Sprache. Viele Fachkräfte reisen mit Sprach­kennt­nis­sen auf B1-Niveau ein – was bedeu­tet, dass sie im Heimat­land schon einige Monate Deutsch gelernt haben –, nur um dann festzu­stel­len, dass dies im Pflege­all­tag nicht ausreicht.

B1-Kennt­nisse bedeu­ten laut dem Europäi­schen Referenz­rah­men, dass man „die Haupt­punkte verste­hen kann, wenn klare Standard­spra­che verwen­det wird und es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht.“

Die Kennt­nisse decken jedoch gerade medizi­ni­sche Fachbe­griffe nicht ab. Und auch das spontane Gespräch mit Mutter­sprach­lern ohne grössere Anstren­gung auf beiden Seiten ist erst mit dem nächst­hö­he­ren Niveau B2 erfüllt – dabei ist es gerade das, was die oft älteren Patien­tin­nen und Patien­ten erwar­ten.

Auch die Beschaf­fung der notwen­di­gen Gesund­heits­be­schei­ni­gung eines deutschen Arztes – eventu­ell noch ohne deutsche Kranken­ver­si­che­rung – und der Erwerb eines Führungs­zeug­nis­ses sind fast unüber­wind­bare Hürden für Menschen, die nicht fließend deutsch sprechen.

Schreckt zuneh­men­der Rechts­po­pu­lis­mus auslän­di­sche Fachkräfte ab?

Und dann gibt es da noch ein weite­res Problem: Wie rassis­tisch ist Deutsch­land? Viele Deutsche sind der Meinung, dass Deutsch­land gerade für Menschen aus Latein­ame­rika, den Philip­pi­nen oder Indien das Paradies auf Erden sei, weshalb man Zuwan­de­rung streng kontrol­lie­ren müsse. So hatte Alexan­der Throm, Innen­po­li­ti­scher Sprecher der CDU/CSU-Bundes­tags­frak­tion, Anfang des Jahres davor gewarnt, dass der Verzicht auf einen in Deutsch­land anerkann­ten Abschluss „eine Zuwan­de­rung in die Sozial­sys­teme“ zur Folgen haben könne.

Deutsch­lands Attrak­ti­vi­tät als Einwan­de­rungs­land ist dabei gerin­ger als oft vermu­tet. Die Wirtschafts­weise Ulrike Malmen­dier hatte im Gespräch unter anderem mit den Zeitun­gen der Funke Medien­gruppe vor der abschre­cken­den Wirkung gewarnt, die der Aufschwung der AfD auf dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland haben könnte.

„Unser Land braucht ganz dringend nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeits­kräfte auf allen Ebenen, damit der Wohlstand erhal­ten werden kann. Die Anwer­bung von Arbeits­kräf­ten aus dem Ausland wird nicht in ausrei­chen­dem Umfang gelin­gen, wenn eine Abschot­tungs­par­tei wie die AfD immer größe­ren Zuspruch findet – und Polari­sie­rung in den Vorder­grund rückt“, erklärte Malmen­dier.

Deutsch­land mit seiner kompli­zier­ten Sprache, seiner Bürokra­tie und seiner unzurei­chen­den Kinder­be­treu­ung habe es ohnehin schwer, Fachkräfte zum Kommen und zum Bleiben zu bewegen, führte das Mitglied im Sachver­stän­di­gen­rat zur Begut­ach­tung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Entwick­lung aus.

„Die Willkom­mens­kul­tur lässt zu wünschen übrig. Und wenn jetzt noch natio­na­lis­ti­sche Kräfte auf dem Vormarsch sind, wird es sicher­lich nicht einfa­cher – gerade in Regio­nen, wo wir gerne größere Unter­neh­men mit höheren Löhnen ansie­deln würden“, so Malmen­dier.

Und so könnte der entschei­dende Punkt bei der Anwer­bung auslän­di­scher Fachkräfte nicht nur die Sprache sein: Es braucht eine Gesell­schaft, die bereit ist, an der Integra­tion aktiv mitzu­ar­bei­ten.

Quellen: dpa, Deutsch­land­funk, Bundes­mi­nis­te­rium für Arbeit und Sozia­les