Der Pflegenotstand ist auf jeden Fall in der Politik angekommen: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wirbt weltweit um Pflegekräfte. Nach einer Reise nach Brasilien mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) nutzte er auch eine Indienreise für ein G20-Ministertreffen, um jungen Menschen die Einwanderung nach Deutschland schmackhaft zu machen.
Dafür will er den Weg durch den „deutschen Vorschriften-Dschungel“ erleichtern – einer der Gründe, weshalb Deutschland besonders für Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern wenig attraktiv ist. „Warum sollte eine brasilianische Krankenpflegerin monatelang auf deutsche Behörden warten, wenn der Weg nach Portugal, Kanada oder in die USA viel unkomplizierter ist?“ fragen Heil und Baerbock in einem Gastbeitrag für die FAZ. Ihr Ziel: Durch eine Digitalisierung des Visa-Verfahrens sollen bis Ende 2024 viermal so viele Visa für Fachkräfte bearbeitet werden wie bisher.
Hohe Zugangsvoraussetzungen für ausländische Fachkräfte
Speziell für Pflegekräfte sind die Zugangsvoraussetzungen hoch. Für eine staatliche Zulassung zur Berufsausübung müssen sie laut make-it-in-germany.com, einem Informationsportal der Bundesregierung für ausländische Fachkräfte, folgende Kriterien erfüllen:
- Anerkannter Abschluss: Der Abschluss als Pflegekraft aus dem Herkunftsland muss in Deutschland anerkannt werden. Die zuständige Behörde prüft, ob der Berufsabschluss gleichwertig zu deutschen Abschlüssen ist. Falls nicht, können eine Kenntnisprüfung oder ein Anpassungslehrgang absolviert werden. Der Antrag für die berufliche Anerkennung wird bei der zuständigen Stelle des Bundeslandes, in dem die Beschäftigung erfolgen soll, gestellt. Die erteilte Anerkennung gilt deutschlandweit.
- Ausreichende Deutschkenntnisse: Je nach Bundesland werden Kenntnisse auf dem Niveau B2 oder B1 nach dem Gemeinsamen europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GER) benötigt.
- Gesundheitliche Eignung: Wer in Deutschland pflegen will, braucht eine Bescheinigung eines deutschen Arztes, um die körperliche und geistige Eignung für die Pflege nachzuweisen.
- Persönliche Eignung: Dafür benötigt man einen Nachweis der Straffreiheit, der durch ein Führungszeugnis aus dem Heimatland oder je nach Situation durch ein deutsches polizeiliches Führungszeugnis erbracht werden kann.
Bürokratie erschwert die Zuwanderung
Besonders die Anerkennung der Qualifikation ist oft problematisch. Die Prüfung durch die zuständige Aufsichtsbehörde kann Monate dauern und endet dann doch zumeist mit der Verpflichtung zur Ableistung eines Anpassungslehrgangs.
Denn da die in Deutschland praktizierte duale Pflegeausbildung in ihrer Form fast einzigartig ist, haben selbst hochqualifizierte ausländische Fachkräfte mit Universitätsabschluss oft Probleme, mehr als eine Teilanerkennung in Deutschland zu erhalten.
Zwar macht das am 7. Juli im Bundestag beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Zuwanderung für Pflegeassistenzkräfte leichter – aber für Pflegefachkräfte ändert sich dadurch nichts.
Sprache als Zuwanderungshürde
Die größte Hürde ist allerdings die Sprache. Viele Fachkräfte reisen mit Sprachkenntnissen auf B1-Niveau ein – was bedeutet, dass sie im Heimatland schon einige Monate Deutsch gelernt haben –, nur um dann festzustellen, dass dies im Pflegealltag nicht ausreicht.
B1-Kenntnisse bedeuten laut dem Europäischen Referenzrahmen, dass man „die Hauptpunkte verstehen kann, wenn klare Standardsprache verwendet wird und es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht.“
Die Kenntnisse decken jedoch gerade medizinische Fachbegriffe nicht ab. Und auch das spontane Gespräch mit Muttersprachlern ohne grössere Anstrengung auf beiden Seiten ist erst mit dem nächsthöheren Niveau B2 erfüllt – dabei ist es gerade das, was die oft älteren Patientinnen und Patienten erwarten.
Auch die Beschaffung der notwendigen Gesundheitsbescheinigung eines deutschen Arztes – eventuell noch ohne deutsche Krankenversicherung – und der Erwerb eines Führungszeugnisses sind fast unüberwindbare Hürden für Menschen, die nicht fließend deutsch sprechen.
Schreckt zunehmender Rechtspopulismus ausländische Fachkräfte ab?
Und dann gibt es da noch ein weiteres Problem: Wie rassistisch ist Deutschland? Viele Deutsche sind der Meinung, dass Deutschland gerade für Menschen aus Lateinamerika, den Philippinen oder Indien das Paradies auf Erden sei, weshalb man Zuwanderung streng kontrollieren müsse. So hatte Alexander Throm, Innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Anfang des Jahres davor gewarnt, dass der Verzicht auf einen in Deutschland anerkannten Abschluss „eine Zuwanderung in die Sozialsysteme“ zur Folgen haben könne.
Deutschlands Attraktivität als Einwanderungsland ist dabei geringer als oft vermutet. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier hatte im Gespräch unter anderem mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe vor der abschreckenden Wirkung gewarnt, die der Aufschwung der AfD auf dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland haben könnte.
„Unser Land braucht ganz dringend nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte auf allen Ebenen, damit der Wohlstand erhalten werden kann. Die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland wird nicht in ausreichendem Umfang gelingen, wenn eine Abschottungspartei wie die AfD immer größeren Zuspruch findet – und Polarisierung in den Vordergrund rückt“, erklärte Malmendier.
Deutschland mit seiner komplizierten Sprache, seiner Bürokratie und seiner unzureichenden Kinderbetreuung habe es ohnehin schwer, Fachkräfte zum Kommen und zum Bleiben zu bewegen, führte das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus.
„Die Willkommenskultur lässt zu wünschen übrig. Und wenn jetzt noch nationalistische Kräfte auf dem Vormarsch sind, wird es sicherlich nicht einfacher – gerade in Regionen, wo wir gerne größere Unternehmen mit höheren Löhnen ansiedeln würden“, so Malmendier.
Und so könnte der entscheidende Punkt bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte nicht nur die Sprache sein: Es braucht eine Gesellschaft, die bereit ist, an der Integration aktiv mitzuarbeiten.
Quellen: dpa, Deutschlandfunk, Bundesministerium für Arbeit und Soziales