Über 6000 Forscher, Mediziner, Pflegende und Gesundheitswirtschaftler aus rund 80 Ländern trafen sich vom 11. bis 13. Mai in der Messe Bremen zu Austausch, Networking und Fortbildung. Das Kongressprogramm umfasste rund 1000 deutsch- und englischsprachige Vorträge und Workshops. Der international sehr renommierte Kongress fand in diesem Jahr als Veranstaltungstrio statt, bestehend aus dem 10. Deutschen Wundkongress, dem 26. Kongress der European Wound Management Association (EWMA) und dem 2. WundD.A.CH-Kongress.
Das übergreifende Kongressthema lautete: Patienten, Wunden, Rechte. Bereits in der von EWMA-Altpräsidentin Salla Seppänen und dem amtierenden EWMA-Präsidenten Severin Läuchli gemeinsam moderierten Eröffnungssitzung wurde deutlich betont, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte jedem Mensch das Recht auf Gesundheit verleiht. Mit Bezug auf die Wundversorgung bedeute dies, dass jeder Mensch Zugang zu Präventionsmaßnahmen und zur Behandlung nicht heilender Wunden haben muss. Von zentraler politischer und klinischer Bedeutung sei es dabei die Lebensqualität der Patienten sicherzustellen, so das Credo aller Eröffnungsredner.
Bei der Lebensqualität der Patienten setzt auch die Forschung von Prof. Dr. Manfred Schedlowski an. Er sprach über das Zusammenspiel von Psyche und Wundheilung. Bekannt ist die Verbindung zwischen Gehirn und Immunsystem, dass Stress und chronische Belastungen die Arbeitsweise von Immunzellen stören und damit die Wundheilung verzögern. „Aber auch die Erwartungshaltung des Patienten an ein Medikament oder die Beziehung zwischen Patient und Arzt haben Einfluss auf das Schmerzempfinden und die Lebensqualität.“ Diese sogenannten unspezifischen Behandlungseffekte, die nicht durch Arzneimittel oder Behandlungen hervorgerufen werden, bezeichnen Wissenschaftler als „Placeboantwort“. Sie mache bis zu 70 Prozent des Therapie-Erfolgs aus. „Wir konnten nachweisen, dass eine positive Erwartung an ein Medikament mit Aktivitätsveränderungen in bestimmten Hirnregionen korrespondiert, die schließlich auch die Immunzellen in den entsprechenden Endorganen beeinflussen“, erklärt Schedlowski.
Das anschließende deutschsprachige Programm umfasste insgesamt 44 wissenschaftliche Sitzungen mit 130 Vorträgen sowie 4 Key-Sessions des europäischen Programms. 11 der 44 wissenschaftlichen Sitzungen und 2 der 4 Key-Sessions wurden von den Beiräten des WundD.A.CHs geplant. Entsprechend informieren in diesen Sitzungen führende Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gemeinsam.
Im juristischen Veranstaltungsteil wurden unter der Leitung von Prof. Dr. Volker Großkopf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Bereichen Dokumentation, Schweigepflicht und Aufgabenübertragung herausgestellt und diskutiert. Mit dem Blick auf die Verteilung der Aufgaben zwischen Ärzten und Pflegenden plädierte Großkopf aus deutscher Sicht dafür im konkreten Behandlungssetting zwischen ärztlichem und pflegerischem Personal einen Konsens über die Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen, damit Unstimmigkeiten bezüglich der Therapiewahl nicht zulasten des Patienten gehen.
Ein Vorschlag, den die beiden deutschsprachigen Kollegen in deren heimatliche Diskussionen einbringen werden. Der Schweizer Rechtsanwalt Christian Peter bezog sodann Stellung zur Schweigepflicht: „Bei der Frage, wer Informationen bekommen darf oder nicht, muss man davon ausgehen, dass lediglich innerhalb des Behandlungsteams Behandlungsdetails weitergegeben werden dürfen.“ Insoweit stellt sich die Situation in der D.A.CH.-Region deckungsgleich dar. Ein großer Unterschied wurde jedoch in dem an die Schweigepflicht angrenzenden Rechtsbereich des Einwilligungsmanagements offenbar. Während in Deutschland und Österreich die Einwilligung in eine medizinische Behandlung grundsätzlich nur vom Patienten selbst erteilt werden darf, sieht das schweizerische Recht in bestimmten Fällen eine gesetzliche Einwilligungsermächtigung für nahestehende Angehörige vor.
Dr. Maria-Luise Plank, Rechtsanwältin in Wien, skizzierte sodann die Grundsätze der medizinischen Dokumentation und wies auf die prozessuale Bedeutung von Versäumnissen in der Verschriftlichung der Behandlungsdaten hin. Ihre Aussage, dass Dokumentationsfehler die Beweislast ungünstig auf die Seite der Wundbehandler verlagern, entspricht nach den Aussagen Großkopfs und Peters auch der Praxis in Deutschland und der Schweiz. International übereinstimmend stellten die Rechtsexperten daher die Unverzichtbarkeit der Dokumentation fest und mahnten an, die Dokumentationspflicht sorgfältig wahrzunehmen.
Der medizinische Kongressteil war durch eine enorme Themenbandbreite gekennzeichnet. Neben vielen klassischen Themen der Wundversorgung, wie der Dekubitustherapie, dem Diabetischen Fußsyndrom (DFS), der Wundinfektion oder der Kompressionsbehandlung wurden den Kongressbesuchern in den begleitenden Seminaren und Workshops auch zahlreiche pharmakologische und medizintechnische Innovationen zur Behandlung von chronischen Wundpatienten präsentiert. Beispielsweise ist der Mikrobiologe Dr. Andreas Rüffer der Frage nachgegangen, inwieweit Probiotika wie Bifido- und Laktobakterien bei Wundheilungsstörungen helfen können. Nach seinen Ausführungen ist die Kenntnis über die Art und Zusammensetzung der Darmflora von chronischen Wundpatienten für die Diagnose und Prognose von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Die spezifischen Problemlagen adipöser Patienten wurden vor dem Hintergrund des Zuwachses von Erwachsenen, die in Deutschland unter starkem Übergewicht leiden in verschiedenen Sitzungen thematisiert. Das Übergewicht sei auf dem Wege normaler als das Normgewicht zu werden. Von medizinischer Seite wurde zuächst attestiert, dass Adipositas die Entwicklung der arteriellen Hypertonie und die Manifestierung des Typ-2-Diabetes begünstigt. Typischerweise seien auch die Atmung und Lunge bei Adipositas beeinträchtig.
Bemerkenswert sei, dass in den Krankenhäusern in der Vergangenheit eine deutlich höhere Zahl adipöser Patienten mit Wundheilungsstörungen oder Ulcus cruris zu verzeichnen ist, die die Chirurgen in einer bariatrischen Operation vor besondere Herausforderungen stelle. Längere OP-Zeiten, höherer Blutverlust und ein mehrfach erhöhtes Risiko für postoperative Komplikationen, wie Thrombosen und Infektionen, summieren sich bei den betroffenen Patienten zu einem hohen Gesamtrisiko. Hinzu komme, dass durch die Schwächung der Immunabwehr die Wundheilung bei Adipositaspatienten ein häufiges Problem darstelle und zu einer erhöhten Morbidität führe. Präventive Strategien sollten neben einer Optimierung der Ernährung und präoperativer Antibiotikaprophylaxen auch eine sorgfältige Pflegeberatung und ein effizientes Schnittstellen-Management zwischen den versorgenden Ärzten und dem Wundmanagement beherzigen, so das Credo der Adipositas-Plenen.
In berufspolitischer Hinsicht wurde das Podium des diesjährigen EWMA-Kongress genutzt, um Vergleiche mit nichtärztlichen Berufszweigen in anderen Ländern zu ziehen. In den USA, in Kanada, Großbritannien oder den Niederlanden ist der Berufszweig des Physician Assistant (PA) längst etabliert, der delegierbare Aufgaben des ärztlichen Personals übernimmt. „Die Tätigkeiten reichen von der Anamneseerhebung über kleinere chirurgische Eingriffe wie das Wunddebridement bis zur organisatorischen Leitung eines Wundzentrums“, sagt Dr. Thomas Karbe, Leiter des berufsbegleitenden PA-Bachelorstudiengangs am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Seit 2005 wird die Ausbildung zum „Arzt-Assistenten“ in Deutschland angeboten. „Ganz klar, der Physician Assistant darf und kann den Arzt nicht ersetzen. Aber er kann ihn entlasten“, so Karbe, der damit die Bedeutung des neuen Berufsbilds vor dem Hintergrund des aktuellen Ärztemangels hervorhebt.
Welche Möglichkeiten die Telemedizin der Wundversorgung bietet, dazu präsentierte Dr. Peter Lübke in der gleichnamigen Sitzung ein Beispiel aus der Praxis. Seit 2011 arbeiten er und seine Mitarbeiter am Wundzentrum Mittelsachsen mit einer Webanwendung, die Wunden dokumentiert, Behandlungsdaten speichert und Versorger miteinander vernetzt. „Das System läuft auf den Smartphones unserer Wundschwestern, auf den Klink-Desktops und ‑Tablets. Je nach Nutzerrechten können Ärzte, Pflegende und zum Beispiel Orthopädiehäuser auf die Daten zugreifen“, erläutert Dr. Lübke. Eingesetzt wird die App, die Kosten und Zeit spare, bei allen ambulanten und stationären Patienten.
Wie bereits im vergangenen Jahr wurde auch in diesem Jahr wieder der Einsatz von Sauerstoff in der Wundheilung thematisiert. Dr. Thomas Wild erläuterte in seinem Workshop, warum die Körperzellen für die Infektabwehr und den Gewebeaufbau besonders viel Sauerstoff benötigen. Dass die sogenannte topische Sauerstofftherapie mittels Druckmanschetten eine gute, für den Patienten komfortable, Methode ist, um O2-Defizite auf relativ einfache Weise auszugleichen und damit die Wundheilung zu beschleunigen, präsentierten Margarete Ozimek und Peter Peschel im praktischen Teil der Session.