Formen und Folgen von Gewalt zwischen Bewohnern
Im Rahmen einer Studie sind im Jahre 2017/2018 etwa 1.300 Mitarbeiter von Pflegeheimen in NRW befragt worden, ob sie in den letzten vier Wochen Gewalt zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern ihrer Einrichtung beobachten konnten. Die Gewalt äußerte sich dabei in unterschiedlichen Weisen. Die am häufigsten auftretende Form zwischen Pflegebedürftigen ist die verbale Gewalt: Schreien, Beleidigen, Bedrohen, Kommandieren. Etwas seltener, aber immer noch häufig auftretend, ist die körperliche Gewalt. Hier ist vor allem das Schlagen und Treten von Bewohnern zu nennen, aber auch Spucken, an den Haaren ziehen oder das Verletzen anderer mit dem Besteck oder dem eigenen Rollator ist oft zu beobachten. Rund zehn Prozent der befragten Mitarbeiter berichteten sogar von sexueller Gewalt unter ihren Heimbewohnern.
Gerade Menschen mit Demenz fallen häufig der Gewalt anderer zum Opfer. Gewalt zwischen Pflegeheimbewohnern kann diverse Folgen haben. Neben den körperlichen und psychischen Schäden der Betroffenen, leiden diejenigen, die Gewalt beobachten ebenfalls unter Angst vor ihren Mitbewohnern. Beugt man der Gewalt nicht vor, sinkt die Lebensqualität und das Gewaltpotenzial steigt durch Frustration weiter an. Schließlich führt ein gewaltbefallenes Arbeitsklima auch zu Personalausfällen oder gar Kündigungen.
Was sind die Auslöser? Wer übt Gewalt aus?
Typische Ursachen für Gewalt sind zum einen situativ- und zum anderen verhaltensbedingt. Streit über Plätze in Gemeinschaftsräumen, Missverständnisse durch Demenz oder Hörschwäche, Uneinigkeit beim Heizen oder Lüften des Zimmers oder auch Lärm und Platzmangel im Gemeinschaftsraum sind Beispiele, in denen eine (Streit-)Situation die Bereitschaft einer gewaltbereiten Person begünstigen kann.
Zu den verhaltenstypischen Auslösern zählen in erster Linie die Verletzung von Privatsphären, die Nutzung von Fremdeigentum oder das Einmischen in Diskussionen, Unterhaltungen oder Aktivitäten durch andere Personen. Aggressives Verhalten oder lautes Rufen und ständiges Umherlaufen – Letzteres tritt gerade bei Demenzerkrankten häufiger auf – können ebenfalls Gewaltsituationen hervorrufen. Auch Langeweile kann schnell zu aggressivem Bewohnerverhalten führen.
Gefährdet, Gewalt auszuüben, sind vor allem Personen die kognitiv eingeschränkt, von Schmerzen betroffen, unzufrieden, frustriert oder depressiv, eifersüchtig, intolerant, ungeduldig oder bereits früher aggressiv gewesen sind. Auch Personen mit ganz anderen Merkmalen können Gewalt ausüben. Typischerweise fühlen sich gewaltbereite Bewohner jedoch durch ihre seelische oder körperliche Situation belastet, was zu erhöhtem aggressiven Verhalten und zur Gewaltausübung führen kann.
Gewalt erkennen und vorbeugen
Plötzliche Verletzungen am Körper der Patienten können ein Indiz für unbemerkte Gewalt zwischen den Bewohnern darstellen. Sexuelle Übergriffe lassen sich durch Schädigungen im Genitalbereich oder an der Unterwäsche des oder der Betroffenen vermuten. Anzeichen auf Gewalt spiegeln sich jedoch auch häufig im Verhalten der Opfer wider. Häufig sind diese aufgewühlt, ängstlich, depressiv oder selbst aggressiv. Schlechter Schlaf, Appetit-Veränderungen oder Weigerungen zur Entkleidung für Pflege können ebenfalls darauf hindeuten, dass die Person kürzlich Opfer von körperlicher, verbaler oder sexueller Gewalt wurde. Hierbei ist jedoch Vorsicht zu genießen, da die oben genannten Symptome auch durch altersbedingte körperliche Veränderungen oder Medikamenteneinwirkung ausgelöst werden können.
Natürlich ist jede Gewaltsituation, je nachdem welche Personen beteiligt sind, unterschiedlich aufzuarbeiten. Es gilt, für jede Person und für jeden Fall individuelle Maßnahmen zur Gewaltprävention zu finden. Ein paar Grundregeln zur Konfliktvermeidung können jedoch schon helfen, die Streitigkeiten zu entspannen:
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Den Umgang miteinander beeinflussen
- Respektvoll und zugewandt handeln, hektisches und gereiztes Verhalten vermeiden
- Personen ansprechen, wenn ihr Verhalten zu einem Konflikt führen könnte
- Beziehungen zwischen den Bewohnern stärken, zum Beispiel auf gemeinsame Interessen hinweisen
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Auslöser vermeiden
- Regeln einführen, um Streitigkeiten zu umgehen, zum Beispiel bei der Platzreservierung in Gemeinschaftsräumen
- Personen räumlich trennen, wenn zwischen diesen Streitigkeiten bestehen
- Lärm, Stress und Hektik vermeiden, zum Beispiel durch die Verlängerung der Essenszeit
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Bedürfnisse beachten
- Individuelle Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten
- Dinge „zum Mitnehmen“ für Menschen mit Demenz bereitlegen
- Gefährdete Personen unterstützen, zum Beispiel Grenzen aufzuzeigen
- Bewohner möglichst gut kennen, um Konflikte besser absehen zu können
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Kompetenzen verbessern
- Fortbildungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten
- Beauftragte zur Prävention von Konflikten und Gewalt qualifizieren
- Fallbesprechungen einführen
- Wissen erweitern, zum Beispiel über deeskalierende Kommunikation, Auswirkungen von Lärm, etc.
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Rahmenbedingungen gestalten
- Respekt- und vertrauensvolle Kommunikation fördern
- Personaleinsatz angemessen planen, Beschäftigte entlasten
- Richtlinien und Verfahren zum Umgang mit Konflikten und Gewalt festlegen
- Wohnbereiche für Menschen mit Demenz einrichten
Akute Konflikte lösen
Nicht immer lässt sich ein Konflikt bereits im Vorfeld unterbinden. Damit diese jedoch nicht in Gewalt ausarten, ist es wichtig, die Streitigkeit zügig zu unterbinden und die Streithähne auseinander zu bringen. Zur Deeskalation können weitere Pflegekräfte herangezogen werden, die ein gutes Verhältnis zu den Betroffenen haben. Beim Eingriff ist dabei ein ruhiges und einfühlsames Verhalten notwendig. Opfern von Gewalt sollte Trost gespendet werden. Bösartiges Schimpfen oder hektisches Verhalten gilt als kontraproduktiv – jedoch sollte man der Person deutlich machen, dass ihr Verhalten inakzeptabel ist und sie zum Beispiel um Verständnis für das Verhalten dementer Bewohner bitten. Bei Verletzungen durch Gewalt ist ärztliche Hilfe anzufordern.
Zur Aufarbeitung des Streitfalls muss zunächst der Auslöser gefunden werden. Dabei empfiehlt sich, die Bewohner mit gezielten Ja-Nein-Fragen zur Situation zu befragen und zunächst die Aspekte anzusprechen, die sich schnell und einfach lösen lassen. Ist die Ursache gefunden, so sollten die am Streit beteiligten Personen zu einem gemeinsamen, sachlichen Austausch zusammengeführt werden.
Es wird ebenfalls geraten, den Vorfall detailliert zu dokumentieren und die Pflegeleitung sowie die Angehörigen des Bewohners zeitnah in Kenntnis über den Vorfall zu setzen, um gemeinsam über Eventualitäten wie die Information der Polizei zu entscheiden.
Weiter Tipps zum Umgang mit Gewalt zwischen Pflegebedürftigen finden Sie auf der Homepage des ZQP und unter www.pflege-gewalt.de.
Quelle: ZQP