Eine Frau wurde wegen Unterleibsbeschwerden in eine Klinik gebracht. Dort sollte zunächst eine Bauchspiegelung zur Diagnose durchgeführt werden. Je nach Befund könnte dann gegebenenfalls die Entfernung des Eierstocks erfolgen, sagten ihr die Ärzte.
Die Patientin gab an, Zeugin Jehovas zu sein und deswegen Bluttransfusionen – sollten diese notwendig werden – abzulehnen. In ihrer Krankenakte hatte sie eine Erklärung hinterlegt, mit der Überschrift „Verweigerung der Zustimmung zur Bluttransfusion“. Auch eine Patientenverfügung lag vor – die Anweisung war klar: „kein Blut“.
Die geplante Bauchspiegelung wurde schließlich durchgeführt und in Zuge dessen eine breitflächige Verwachsung in der Darmgegend der Frau gelöst. Schon am Folgetag ging es ihr immer schlechter – sie hatte Fieber und erbrach. Die Patientin wurde auf die Intensivstation verlegt und später notfallmäßig operiert. Hierbei erkannten die Ärzte einen Darmdurchbruch.
Bluttransfusion gegen Patientenwillen
Vor der Operation konnte die Patientin noch eine Einverständniserklärung unterschreiben, erneut mit klarer Angabe: „auf keinen Fall Bluttransfusion erwünscht!!“ Der Arzt versicherte ihr, dass so operiert werde, dass keine Bluttransfusion vonnöten sei. Und tatsächlich: die Operation gelang ohne Bluttransfusion.
Nach dem Eingriff traten allerdings Komplikationen auf. Die Situation der Patientin verschlechterte sich dramatisch; sie wurde bewusstlos. Die Ärzte kamen zu dem Schluss, dass eine Rettung ihres Lebens nun doch nur mit einer Bluttransfusion und weiteren Eingriffen möglich sei.
Da die Frau nicht mehr selbst in weitere Behandlungen einwilligen konnte, wandten sich die Ärzte an das Betreuungsgericht und erklärten die Situation. Das Gericht bestellte den Ehemann der Frau als vorläufigen Betreuer, damit die Ärzte mit ihm die neue Lage besprechen konnten. Der Ehemann willigte schließlich in eine Bluttransfusion ein. Die Ärzte konnten die Frau retten.
In der Folge kam es während ihres Klinikaufenthalts zu weiteren Eingriffen, die erneute Bluttransfusionen notwendig machten. Unter anderem musste ihr ein künstlicher Darmausgang gelegt werden, nachdem dieser an der genähten Stelle aufgebrochen war.
Zeugin Jehovas geht rechtlich gegen Lebensretter vor
Die Frau entschloss sich schließlich dazu, rechtlich gegen die Ärzte vorzugehen. Dass es nach dem Eingriff zu Komplikationen mit Blutverlust gekommen war, führte sie auf Fehler der Ärzte zurück. Außerdem hätten die Ärzte mit der Gabe einer Bluttransfusion gegen ihren ausdrücklichen Patientenwillen verstoßen. Die Einwilligung ihres Ehemannes hätten die Ärzte erschlichen. Zudem sei sie nicht richtig über die Behandlung aufgeklärt worden. Bei richtiger Aufklärung, über alle Risiken des operativen Eingriffs, hätte sie sich dagegen entschieden.
Vor Gericht forderte die Frau Schmerzensgeld wegen fehlerhafter Behandlung, Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte und mangelnder Aufklärung.
Gericht weist Klage ab
Das Landesgericht in erster Instanz hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht München hat in der Berufung dem erstinstanzlichen Urteil zugestimmt.
Die Frau sei sehr wohl richtig über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt worden. In der schriftlichen Aufklärung hieß es zwar tatsächlich nur: „Auf mögliche, seltene Komplikationen, die im Zusammenhang mit der Operation auftreten können, sowie auf weitere eventuell notwendig werdende Maßnahmen bin ich hingewiesen worden“. Allerdings erfolgte in der mündlichen Aufklärung durch die Ärzte der Hinweis auf das Risiko eines Darmdurchbruchs. Das konnte eine Zeugin zur Überzeugung des Gerichts versichern.
Bleibt noch der Vorwurf der fehlerhaften Behandlung und der Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Eine fehlerhafte Behandlung konnte das Gericht nach einem Sachverständigengutachten nicht erkennen. Die Ärzte haben den Darmdurchbruch nicht fehlerhaft verursacht oder zu spät erkannt. Auch im Umgang mit dem Blutverlust der Patientin waren die Ärzte korrekt vorgegangen – ferner zeigte sich, dass die Ärzte keine andere Möglichkeit mehr hatten, als die Gabe einer Bluttransfusion.
Ärzte unterliegen nicht vollständig dem Glauben der Patientin
Aus einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte ergab sich ebenfalls kein Schadensersatz für die Frau. Das Gericht führt hierzu aus, dass eine Bluttransfusion gegen den ausdrücklichen Willen der Patientin aus rechtlicher Sicht tatsächlich unzulässig wäre.
Das ergibt sich zum einen aus Art. 2 GG, der die Selbstbestimmung der Patientin betrifft und aus Art. 4 GG, der die Religionsfreiheit betrifft. Das bedeutet: Wenn ein Zeuge Jehovas eine Bluttransfusion aus religiösen Gründen verweigert, haben die Ärzte sich grundsätzlich an den Wunsch des Patienten zu halten. Auch dann, wenn die Bluttransfusion das einzige Mittel wäre, um dem Patienten das Leben zu retten.
Der hier vorliegende Fall erweiste sich allerdings als weniger eindeutig, entsprechend müssen zur rechtlichen Beurteilung einige weitere Aspekte zusätzlich betrachtet werden. Dazu ein Ausschnitt aus der Urteilsbegründung:
OLG München – Az: 1 U 4705/98
„Mutet ein Zeuge Jehovas einem nicht dieser Glaubensrichtung angehörenden Arzt zu, gegebenenfalls seine Behandlung zu übernehmen, und konfrontiert er ihn hierbei mit seiner eine Bluttransfusion verweigernden Patientenverfügung, kann er nicht davon ausgehen, auch wenn seine Erklärung eindeutig sein sollte, dass der Arzt sich in jedem denkbaren Fall unter Ausschaltung seines ärztlichen Gewissens gleichsam maschinenhaft daran halten und ihn im Falle des Falles auch sterben lassen würde.“
Das Gericht führte weiter aus, dass Zeugen Jehovas, die tatsächlich auch für ihren Glauben sterben würden, zugemutet werden kann, sich in Obhut von Ärzten zu begeben, die dem Glaubensimperativ folgen und den Patienten nach dessen Wunsch sterben lassen. Dass die hier betroffenen Ärzte ihren Berufsethos beiseite legen und zu einem „willenlosen Spielball“ der Patientenverfügung werden, stehe entgegen jeden ärztlichen Gewissens, so das Gericht.
Was die Patientin allerdings sehr wohl von den Ärzten verlangen konnte, war die Wahl einer Behandlung, bei der es nach Möglichkeit keine Überschneidung mit den Glaubenssätzen der Patientin gab. Das war vorliegend der Fall. Zwar kam es zu Komplikationen, die eine Bluttransfusion nötig machten, allerdings war das Risiko derart gering, dass von den Ärzten nicht verlangt werden konnte, die Behandlung deshalb auszuschlagen.
Was ist aber mit der Patientenverfügung? Nach Auffassung des Gerichts war durch die Komplikationen eine Situation entstanden, die die bestehende Willenserklärung der Patientin unwirksam machte und eine neue Entscheidung erforderte. Die Klägerin konnte nicht selbst darauf eingehen, da sie bewusstlos war. Entsprechend richtig haben die Ärzte gehandelt, sich ans Betreuungsgericht zu wenden.
Keine Bindung an Patientenverfügung
Eine Bindung an die Patientenverfügung bestand für die Ärzte nicht. Diese enthielt zum einen nur beliebige Ausdrucke mit einem vorgefertigten Text. Der einzige Rückschluss auf die Patientin war nur über die Eintragung der persönlichen Daten der Frau möglich.
Zum anderen wurde eine entsprechende Freizeichnungsklausel in der Patientenverfügung der komplexen Situation, in der sich die Ärzte befanden, nicht gerecht. Diese Klausel sollte die Ärzte vor Konsequenzen nach der unterlassenen Bluttransfusion schützen. Das Gericht wies jedoch ausdrücklich darauf hin, dass die Ärzte im konkreten Fall mit einer Reihe an Vorwürfen und Fragen konfrontiert waren: Wurde die Patientin richtig aufgeklärt? Ist ein Behandlungsfehler schuld an der Situation der Patientin?
Eine für den Arzt befriedigende Hilfestellung für sein Handeln ergebe sich nach Überzeugung des Gerichts nicht aus der genannten Freizeichnungsklausel. Die lautet im übrigend so: „Ich befreie hiermit die Ärzte, Anästhesisten, Krankenhäuser und deren Personal von jeglicher Verantwortung für Schäden, die bei kunstgerechter Versorgung auf meine Ablehnung von Bluttransfusionen zurückgeführt werden könnten“.
So könne es laut Gericht bei Unterlassung einer Bluttransfusion auch schnell zum Vorwurf der fahrlässigen Tötung kommen. Um sich dem nicht auszusetzen, war es legitim, dass die Ärzte eine Bluttransfusion durchführten.
Immer wieder Konflikte mit Zeugen Jehovas
Das hier diskutierte Urteil ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es zu Rechtsstreitigkeiten zwischen Zeugen Jehovas und Klinikpersonal – die mitunter ganz anders ausgehen können.
So hat der Europäische Gerichtshof (EGMR) in einem Fall aus Spanien zu Gunsten einer Zeugin Jehovas entschieden. Der Gerichtshof erkannte in der widerwilligen Gabe einer Bluttransfusion einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Der Gerichtshof stellte hier allerdings fest – im Unterschied zum Fall des OLG München -, dass die Genehmigung für die Bluttransfusion aus einem Entscheidungsprozess resultierte, der durch die Auslassung wesentlicher Informationen über die dokumentierten Wünsche der Patientin beeinträchtigt war.
In einem Fall aus Dänemark entschied der EGMR wiederum zum Nachteil eines Zeugen Jehovas. Hier hatten die Ärzte einem bewusstlosen Patienten – trotz gegenteiliger Patientenverfügung – eine Bluttransfusion verabreicht, nach dem dieser vom Dach fiel und innere Blutungen erlitt. Trotz allem starb der Mann. Seine hinterbliebene Frau scheiterte vor Gericht, weil es dänisches Recht ist, dass nur eine aktuelle Patientenerklärung von den Ärzten berücksichtigt werden muss.
Im Zweifelsfall haben Kliniken sogar die Möglichkeit, die Behandlung eines Zeugen Jehovas abzulehnen. So geschehen in Hamburg. Wie der NDR berichtete, hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die Operation eines Zeugen Jehovas abgelehnt, weil dieser ebenfalls keine Bluttransfusionen wollte.
Zwar gibt es in den Kliniken mittlerweile Handlungsempfehlungen […] zum Umgang mit Zeugen Jehovas, allerdings besteht immer auch die Möglichkeit eine Behandlung abzulehnen. Nämlich dann, wenn die Ärzte glauben, den Wünschen eines Patienten nicht adäquat folgen zu können.
FAQ
Warum wollen Zeugen Jehovas keine Bluttransfusion?
Zeugen Jehovas lehnen Bluttransfusionen aus religiösen Gründen ab. Daher entscheiden sich viele bewusst, selbst in lebensbedrohlichen Situationen auf Bluttransfusionen zu verzichten, um ihrer religiösen Überzeugung treu zu bleiben.
Dürfen Zeugen Jehovas Bluttransfusionen ablehnen?
Zeugen Jehovas haben das Recht, Bluttransfusionen abzulehnen, da dies durch das Grundrecht auf Selbstbestimmung (Art. 2 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) geschützt ist. Einer Patientenverfügung, die den Verzicht auf Bluttransfusionen ausdrücklich festlegt, müssen die behandelnden Ärzte folgen. Allerdings müssen dabei klare und aktuelle Anweisungen vorliegen, da ungenaue oder veraltete Patientenverfügungen in komplexen medizinischen Situationen rechtlich problematisch sein können.
Müssen Krankenhäuser den Wünschen der Zeugen Jehovas folgen?
Krankenhäuser sind grundsätzlich verpflichtet, die Patientenverfügungen und Wünsche von Zeugen Jehovas zu respektieren, insbesondere wenn sie eindeutig formuliert sind. Allerdings kann es Ausnahmen geben, wenn der Zustand des Patienten nicht mehr durch die ursprüngliche Verfügung abgedeckt ist oder wenn Ärzte sich in einer moralischen oder rechtlichen Konfliktsituation befinden. Auch ist es möglich die Behandlung eines Zeugen Jehovas von vornherein abzulehnen, wenn davon ausgegangen wird, den Wünschen des Patienten nicht gerecht werden zu können.
Quelle: OLG München – 1 U 4705/98