Bluttransfusion
Bluttrans­fu­sio­nen können Leben retten. Einige Patien­ten wollen das aber gar nicht. Bild: Bennett Rampelt/Dall‑E KI

Eine Frau wurde wegen Unter­leibs­be­schwer­den in eine Klinik gebracht. Dort sollte zunächst eine Bauch­spie­ge­lung zur Diagnose durch­ge­führt werden. Je nach Befund könnte dann gegebe­nen­falls die Entfer­nung des Eierstocks erfol­gen, sagten ihr die Ärzte.

Die Patien­tin gab an, Zeugin Jehovas zu sein und deswe­gen Bluttrans­fu­sio­nen – sollten diese notwen­dig werden – abzuleh­nen. In ihrer Kranken­akte hatte sie eine Erklä­rung hinter­legt, mit der Überschrift „Verwei­ge­rung der Zustim­mung zur Bluttrans­fu­sion“. Auch eine Patien­ten­ver­fü­gung lag vor – die Anwei­sung war klar: „kein Blut“.

Die geplante Bauch­spie­ge­lung wurde schließ­lich durch­ge­führt und in Zuge dessen eine breit­flä­chige Verwach­sung in der Darmge­gend der Frau gelöst. Schon am Folge­tag ging es ihr immer schlech­ter – sie hatte Fieber und erbrach. Die Patien­tin wurde auf die Inten­siv­sta­tion verlegt und später notfall­mä­ßig operiert. Hierbei erkann­ten die Ärzte einen Darmdurch­bruch.

Bluttrans­fu­sion gegen Patien­ten­wil­len

Vor der Opera­tion konnte die Patien­tin noch eine Einver­ständ­nis­er­klä­rung unter­schrei­ben, erneut mit klarer Angabe: „auf keinen Fall Bluttrans­fu­sion erwünscht!!“ Der Arzt versi­cherte ihr, dass so operiert werde, dass keine Bluttrans­fu­sion vonnö­ten sei. Und tatsäch­lich: die Opera­tion gelang ohne Bluttrans­fu­sion.

Nach dem Eingriff traten aller­dings Kompli­ka­tio­nen auf. Die Situa­tion der Patien­tin verschlech­terte sich drama­tisch; sie wurde bewusst­los. Die Ärzte kamen zu dem Schluss, dass eine Rettung ihres Lebens nun doch nur mit einer Bluttrans­fu­sion und weite­ren Eingrif­fen möglich sei.

Da die Frau nicht mehr selbst in weitere Behand­lun­gen einwil­li­gen konnte, wandten sich die Ärzte an das Betreu­ungs­ge­richt und erklär­ten die Situa­tion. Das Gericht bestellte den Ehemann der Frau als vorläu­fi­gen Betreuer, damit die Ärzte mit ihm die neue Lage bespre­chen konnten. Der Ehemann willigte schließ­lich in eine Bluttrans­fu­sion ein. Die Ärzte konnten die Frau retten.

In der Folge kam es während ihres Klinik­auf­ent­halts zu weite­ren Eingrif­fen, die erneute Bluttrans­fu­sio­nen notwen­dig machten. Unter anderem musste ihr ein künst­li­cher Darmaus­gang gelegt werden, nachdem dieser an der genäh­ten Stelle aufge­bro­chen war.

Zeugin Jehovas geht recht­lich gegen Lebens­ret­ter vor

Die Frau entschloss sich schließ­lich dazu, recht­lich gegen die Ärzte vorzu­ge­hen. Dass es nach dem Eingriff zu Kompli­ka­tio­nen mit Blutver­lust gekom­men war, führte sie auf Fehler der Ärzte zurück. Außer­dem hätten die Ärzte mit der Gabe einer Bluttrans­fu­sion gegen ihren ausdrück­li­chen Patien­ten­wil­len versto­ßen. Die Einwil­li­gung ihres Eheman­nes hätten die Ärzte erschli­chen. Zudem sei sie nicht richtig über die Behand­lung aufge­klärt worden. Bei richti­ger Aufklä­rung, über alle Risiken des opera­ti­ven Eingriffs, hätte sie sich dagegen entschie­den.

Vor Gericht forderte die Frau Schmer­zens­geld wegen fehler­haf­ter Behand­lung, Verlet­zung ihrer Persön­lich­keits­rechte und mangeln­der Aufklä­rung.

Gericht weist Klage ab

Das Landes­ge­richt in erster Instanz hat die Klage abgewie­sen. Das Oberlan­des­ge­richt München hat in der Berufung dem erstin­stanz­li­chen Urteil zugestimmt.

Die Frau sei sehr wohl richtig über die Risiken des Eingriffs aufge­klärt worden. In der schrift­li­chen Aufklä­rung hieß es zwar tatsäch­lich nur: „Auf mögli­che, seltene Kompli­ka­tio­nen, die im Zusam­men­hang mit der Opera­tion auftre­ten können, sowie auf weitere eventu­ell notwen­dig werdende Maßnah­men bin ich hinge­wie­sen worden“. Aller­dings erfolgte in der mündli­chen Aufklä­rung durch die Ärzte der Hinweis auf das Risiko eines Darmdurch­bruchs. Das konnte eine Zeugin zur Überzeu­gung des Gerichts versi­chern.

Bleibt noch der Vorwurf der fehler­haf­ten Behand­lung und der Verlet­zung der Persön­lich­keits­rechte. Eine fehler­hafte Behand­lung konnte das Gericht nach einem Sachver­stän­di­gen­gut­ach­ten nicht erken­nen. Die Ärzte haben den Darmdurch­bruch nicht fehler­haft verur­sacht oder zu spät erkannt. Auch im Umgang mit dem Blutver­lust der Patien­tin waren die Ärzte korrekt vorge­gan­gen – ferner zeigte sich, dass die Ärzte keine andere Möglich­keit mehr hatten, als die Gabe einer Bluttrans­fu­sion.

Ärzte unter­lie­gen nicht vollstän­dig dem Glauben der Patien­tin

Aus einer Verlet­zung der Persön­lich­keits­rechte ergab sich ebenfalls kein Schadens­er­satz für die Frau. Das Gericht führt hierzu aus, dass eine Bluttrans­fu­sion gegen den ausdrück­li­chen Willen der Patien­tin aus recht­li­cher Sicht tatsäch­lich unzuläs­sig wäre.

Das ergibt sich zum einen aus Art. 2 GG, der die Selbst­be­stim­mung der Patien­tin betrifft und aus Art. 4 GG, der die Religi­ons­frei­heit betrifft. Das bedeu­tet: Wenn ein Zeuge Jehovas eine Bluttrans­fu­sion aus religiö­sen Gründen verwei­gert, haben die Ärzte sich grund­sätz­lich an den Wunsch des Patien­ten zu halten. Auch dann, wenn die Bluttrans­fu­sion das einzige Mittel wäre, um dem Patien­ten das Leben zu retten.

Der hier vorlie­gende Fall erweiste sich aller­dings als weniger eindeu­tig, entspre­chend müssen zur recht­li­chen Beurtei­lung einige weitere Aspekte zusätz­lich betrach­tet werden. Dazu ein Ausschnitt aus der Urteils­be­grün­dung:

OLG München – Az: 1 U 4705/98

„Mutet ein Zeuge Jehovas einem nicht dieser Glaubens­rich­tung angehö­ren­den Arzt zu, gegebe­nen­falls seine Behand­lung zu überneh­men, und konfron­tiert er ihn hierbei mit seiner eine Bluttrans­fu­sion verwei­gern­den Patien­ten­ver­fü­gung, kann er nicht davon ausge­hen, auch wenn seine Erklä­rung eindeu­tig sein sollte, dass der Arzt sich in jedem denkba­ren Fall unter Ausschal­tung seines ärztli­chen Gewis­sens gleich­sam maschi­nen­haft daran halten und ihn im Falle des Falles auch sterben lassen würde.“

Das Gericht führte weiter aus, dass Zeugen Jehovas, die tatsäch­lich auch für ihren Glauben sterben würden, zugemu­tet werden kann, sich in Obhut von Ärzten zu begeben, die dem Glaubens­im­pe­ra­tiv folgen und den Patien­ten nach dessen Wunsch sterben lassen. Dass die hier betrof­fe­nen Ärzte ihren Berufs­ethos beiseite legen und zu einem „willen­lo­sen Spiel­ball“ der Patien­ten­ver­fü­gung werden, stehe entge­gen jeden ärztli­chen Gewis­sens, so das Gericht.

Was die Patien­tin aller­dings sehr wohl von den Ärzten verlan­gen konnte, war die Wahl einer Behand­lung, bei der es nach Möglich­keit keine Überschnei­dung mit den Glaubens­sät­zen der Patien­tin gab. Das war vorlie­gend der Fall. Zwar kam es zu Kompli­ka­tio­nen, die eine Bluttrans­fu­sion nötig machten, aller­dings war das Risiko derart gering, dass von den Ärzten nicht verlangt werden konnte, die Behand­lung deshalb auszu­schla­gen.

Was ist aber mit der Patien­ten­ver­fü­gung? Nach Auffas­sung des Gerichts war durch die Kompli­ka­tio­nen eine Situa­tion entstan­den, die die bestehende Willens­er­klä­rung der Patien­tin unwirk­sam machte und eine neue Entschei­dung erfor­derte. Die Kläge­rin konnte nicht selbst darauf einge­hen, da sie bewusst­los war. Entspre­chend richtig haben die Ärzte gehan­delt, sich ans Betreu­ungs­ge­richt zu wenden.

Keine Bindung an Patien­ten­ver­fü­gung

Eine Bindung an die Patien­ten­ver­fü­gung bestand für die Ärzte nicht. Diese enthielt zum einen nur belie­bige Ausdru­cke mit einem vorge­fer­tig­ten Text. Der einzige Rückschluss auf die Patien­tin war nur über die Eintra­gung der persön­li­chen Daten der Frau möglich.

Zum anderen wurde eine entspre­chende Freizeich­nungs­klau­sel in der Patien­ten­ver­fü­gung der komple­xen Situa­tion, in der sich die Ärzte befan­den, nicht gerecht. Diese Klausel sollte die Ärzte vor Konse­quen­zen nach der unter­las­se­nen Bluttrans­fu­sion schüt­zen. Das Gericht wies jedoch ausdrück­lich darauf hin, dass die Ärzte im konkre­ten Fall mit einer Reihe an Vorwür­fen und Fragen konfron­tiert waren: Wurde die Patien­tin richtig aufge­klärt? Ist ein Behand­lungs­feh­ler schuld an der Situa­tion der Patien­tin?

Eine für den Arzt befrie­di­gende Hilfe­stel­lung für sein Handeln ergebe sich nach Überzeu­gung des Gerichts nicht aus der genann­ten Freizeich­nungs­klau­sel. Die lautet im übrigend so: „Ich befreie hiermit die Ärzte, Anästhe­sis­ten, Kranken­häu­ser und deren Perso­nal von jegli­cher Verant­wor­tung für Schäden, die bei kunst­ge­rech­ter Versor­gung auf meine Ableh­nung von Bluttrans­fu­sio­nen zurück­ge­führt werden könnten“.

So könne es laut Gericht bei Unter­las­sung einer Bluttrans­fu­sion auch schnell zum Vorwurf der fahrläs­si­gen Tötung kommen. Um sich dem nicht auszu­set­zen, war es legitim, dass die Ärzte eine Bluttrans­fu­sion durch­führ­ten.

Immer wieder Konflikte mit Zeugen Jehovas

Das hier disku­tierte Urteil ist kein Einzel­fall. Immer wieder kommt es zu Rechts­strei­tig­kei­ten zwischen Zeugen Jehovas und Klinik­per­so­nal – die mitun­ter ganz anders ausge­hen können.

So hat der Europäi­sche Gerichts­hof (EGMR) in einem Fall aus Spanien zu Gunsten einer Zeugin Jehovas entschie­den. Der Gerichts­hof erkannte in der wider­wil­li­gen Gabe einer Bluttrans­fu­sion einen Verstoß gegen die Europäi­sche Menschen­rechts­kon­ven­tion.

Der Gerichts­hof stellte hier aller­dings fest – im Unter­schied zum Fall des OLG München -, dass die Geneh­mi­gung für die Bluttrans­fu­sion aus einem Entschei­dungs­pro­zess resul­tierte, der durch die Auslas­sung wesent­li­cher Infor­ma­tio­nen über die dokumen­tier­ten Wünsche der Patien­tin beein­träch­tigt war.

In einem Fall aus Dänemark entschied der EGMR wiederum zum Nachteil eines Zeugen Jehovas. Hier hatten die Ärzte einem bewusst­lo­sen Patien­ten – trotz gegen­tei­li­ger Patien­ten­ver­fü­gung – eine Bluttrans­fu­sion verab­reicht, nach dem dieser vom Dach fiel und innere Blutun­gen erlitt. Trotz allem starb der Mann. Seine hinter­blie­bene Frau schei­terte vor Gericht, weil es dänisches Recht ist, dass nur eine aktuelle Patien­ten­er­klä­rung von den Ärzten berück­sich­tigt werden muss.

Im Zweifels­fall haben Klini­ken sogar die Möglich­keit, die Behand­lung eines Zeugen Jehovas abzuleh­nen. So gesche­hen in Hamburg. Wie der NDR berich­tete, hat das Univer­si­täts­kli­ni­kum Hamburg-Eppen­dorf die Opera­tion eines Zeugen Jehovas abgelehnt, weil dieser ebenfalls keine Bluttrans­fu­sio­nen wollte.

Zwar gibt es in den Klini­ken mittler­weile Handlungs­emp­feh­lun­gen […] zum Umgang mit Zeugen Jehovas, aller­dings besteht immer auch die Möglich­keit eine Behand­lung abzuleh­nen. Nämlich dann, wenn die Ärzte glauben, den Wünschen eines Patien­ten nicht adäquat folgen zu können.

FAQ

Warum wollen Zeugen Jehovas keine Bluttrans­fu­sion?

Zeugen Jehovas lehnen Bluttrans­fu­sio­nen aus religiö­sen Gründen ab. Daher entschei­den sich viele bewusst, selbst in lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen auf Bluttrans­fu­sio­nen zu verzich­ten, um ihrer religiö­sen Überzeu­gung treu zu bleiben.

Dürfen Zeugen Jehovas Bluttrans­fu­sio­nen ableh­nen?

Zeugen Jehovas haben das Recht, Bluttrans­fu­sio­nen abzuleh­nen, da dies durch das Grund­recht auf Selbst­be­stim­mung (Art. 2 GG) und die Religi­ons­frei­heit (Art. 4 GG) geschützt ist. Einer Patien­ten­ver­fü­gung, die den Verzicht auf Bluttrans­fu­sio­nen ausdrück­lich festlegt, müssen die behan­deln­den Ärzte folgen. Aller­dings müssen dabei klare und aktuelle Anwei­sun­gen vorlie­gen, da ungenaue oder veral­tete Patien­ten­ver­fü­gun­gen in komple­xen medizi­ni­schen Situa­tio­nen recht­lich proble­ma­tisch sein können.

Müssen Kranken­häu­ser den Wünschen der Zeugen Jehovas folgen?

Kranken­häu­ser sind grund­sätz­lich verpflich­tet, die Patien­ten­ver­fü­gun­gen und Wünsche von Zeugen Jehovas zu respek­tie­ren, insbe­son­dere wenn sie eindeu­tig formu­liert sind. Aller­dings kann es Ausnah­men geben, wenn der Zustand des Patien­ten nicht mehr durch die ursprüng­li­che Verfü­gung abgedeckt ist oder wenn Ärzte sich in einer morali­schen oder recht­li­chen Konflikt­si­tua­tion befin­den. Auch ist es möglich die Behand­lung eines Zeugen Jehovas von vornher­ein abzuleh­nen, wenn davon ausge­gan­gen wird, den Wünschen des Patien­ten nicht gerecht werden zu können.

Quelle: OLG München – 1 U 4705/98