Was ist passiert?
Bei einer Patientin wurden rezidivierende Abzesse in der linken Brust festgestellt, weshalb diese im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes bei mehreren operativen Eingriffen gespalten werden mussten. Nach der letzten Operation reinigten Ärzte die Wunde täglich mit dem Wunddesinfektionsmittel Octenisept. Bei einer dieser Reinigungen passierte nun der Fauxpas: Statt zur Flasche Octenisept griffen die Ärzte zur Terralin Liquid. Dabei handelt es sich um ein handelsübliches Desinfektionsmittel zur Reinigung von Oberflächen.
Sofort spülten die Ärzte die Wunde mehrmals mit einer Kochsalzlösung aus. Zu großen Schmerzen und Schäden in der Wunde führte die Verwechslung trotzdem. Die Patientin konnte aber nur wenige Tage später aus der stationären Behandlung entlassen werden. Außergerichtlich zahlte ihr die Haftpflichtversicherung ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro.
Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro gefordert
Vor dem Landesgericht Köln klagte die Patientin gegen den Krankenhausträger und forderte ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro. Zur Begründung ihrer Klage sagte sie, dass sich die Heilung der Wunde durch die Verwendung des Flächendesinfektionsmittels um gut sechs Monate verzögerte. Außerdem habe sie noch immer Schmerzen in der linken Brust.
Zudem klagte die Patientin auf Feststellung der Erstattungspflicht für sämtliche materielle Schäden, die durch die fehlerhafte Behandlung entstanden sind, sollten diese nicht auf Dritte übertragen werden. Das Gericht hat dem Feststellungsantrag erstgerichtlich stattgegeben und die Beklagte zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 4.000 Euro verurteilt.
Gegen dieses Urteil legte die Patientin Berufung ein. Das Oberlandesgericht in Köln hat in zweiter Instanz das Urteil angepasst: Ferner sieht das Gericht ein Schmerzensgeld von 5.500 Euro für angemessen. Zusammen mit der Zahlung der Haftpflichtversicherung von 500 Euro ergibt das ein Schmerzensgeld von 6.000 Euro. Nach § 253 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch steht der Betroffenen ein Ausgleich für immaterielle Schäden zu. Außerdem sollen hiernach Unannehmlichkeiten, seelische Belastungen und sonstige Unwohlgefühle wiedergutgemacht werden.
Die Begründung des Gerichtsurteils
Das OLG sieht in diesem Fall einen groben Behandlungsfehler bei den Ärzten. Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn mehrere Dinge gegeben sind:
- Ein eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse
- Der Fehler ist aus objektiver Sicht nicht nachzuvollziehen und darf einem Arzt nicht unterlaufen
Laut Urteilsbegründung ist die Verwechslung eines Flächendesinfektionsmittels und eines Antiseptikums nach diesem Sinne nicht nachzuvollziehen. Allein ein Blick auf das Etikett hätte genügt, um zu erkennen um welches Mittel es sich handelte. Zudem werde das Mittel vorher in eine Spritze abgefüllt, wo der Fehler auch hätte auffallen müssen.
Das Octenisept und Terralin liquid in optisch ähnlichen Flaschen enthalten ist, macht eine Kontrolle des Etiketts umso wichtiger. Daran hätten die Ärzte denken müssen. Und auch dass das Flächendesinfektionsmittel auf dem Wagen mit Verbandszeug neben die Desinfektionsmittel zur Behandlung von Patienten gestellt wurde, ist laut Gericht nicht nachzuvollziehen.
Beweislastumkehr nur teilweise angebracht
In Fällen dieser Art ist es Aufgabe der klagenden Person, das fehlerhafte Verhalten der Ärzte zu beweisen. Gelingt dies, kommt es zu einer Beweislastumkehr und die Ärzte müssen beweisen, dass sie nicht fehlerhaft gehandelt haben. Im Fall vor dem OLG Köln ist das der Patientin nur zum Teil gelungen. Denn die Beweislastumkehr erstreckt sich auch auf Sekundärschäden, die aus der Primärverletzung – durch die fehlerhafte Behandlung der Wunde – entstehen können.
So ist nach Ansicht des Gerichts eine Beweislastumkehr dahingehend begründet, dass der Behandlungsfehler (also die fälschliche Verwendung des Flächendesinfektionsmittels) dazu geeignet ist, das Gewebe um die Wunde oberflächlich zu verätzen. Zudem habe die Spülung in der Brust unstreitig zu sofortigen starken Schmerzen bei der Patientin geführt. Auch dass der Wundheilungsprozess durch die Spülung um sechs Monate verzögert wurde und es im Zuge dessen zu anhaltenden Schmerzen kam, konnte vom Gericht zweifelsfrei festgestellt werden.
Die Wunde wurde verätzt
Eine Beweislastumkehr in Bezug auf die von der Klägerin angegebenen dauerhaften Folgen und Schäden durch den Behandlungsfehler verneint das Gericht allerdings. Die Patientin hatte angegeben, dass sich Fisteln in der Brust gebildet hätten, die zusätzliche Schmerzen verursachen. Zudem käme es nach der fehlerhaften Behandlung zu Missempfindungen in der linken Brust. Nach dem Gutachten eines Sachverständigen seien dies keine typischen Sekundärschäden, die sich aus dem Primärschaden hätten ergeben können. Entsprechend sieht das Gericht hier keine Beweislastumkehr.
Die Höhe des Schmerzensgelds wurde somit nach folgenden Gesichtspunkten ermittelt:
- Die unmittelbaren Schmerzen der Patientin bei der Spülung mit dem falschen Desinfektionsmittel
- Den um sechs Monate verzögerten Heilungsprozess
Quelle: OLG Köln vom 27.6.2012 – 5 U 38/10