Ein Düsseldorfer und katholischer Chefarzt hat nach der Scheidung von seiner Ehefrau ein zweites Mal geheiratet – für das katholische Krankenhaus, an dem er tätig ist, Grund für eine Kündigung. Seit 2000 steht der Chefarzt im Dienst des Krankenhauses. Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, lebte er mit seiner jetzigen Frau von 2006 bis 2008 unverheiratet zusammen. Als die Krankenhauseinrichtung dann von der standesamtlichen Eheschließung im Jahr 2008 mit der zweiten Frau Kenntnis genommen hat, wurde dem Chefarzt das Arbeitsverhältnis gekündigt.
Die Tatsache, dass er eine zweite Ehe eingegangen sei, entspreche nicht den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre, deren Anerkennung und Beachtung gemäß Artikel 4 des Dienstvertrages von den Arbeitnehmern erwartet wird. Der Dienstvertrag beruht auf der Grundordnung (GO) von 1993 des kirchlichen Dienstes, die vom Erzbischof von Köln erlassen worden ist. Eine Kündigung kann nach Artikel 5 Absatz 2 GO in Betracht kommen, wenn aus kirchlicher Sicht schwerwiegende Loyalitätsverstöße vorliegen – darunter kann auch eine nach katholischem Verständnis ungültige Ehe fallen.
In dem Krankenhaus arbeiten auch nicht katholische, wiederverheiratete Chefärzte
Hiergegen richtete sich die Klage des Chefarztes, er hielt die Kündigung für rechtswidrig. Dem stimmte auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfurt in einem Urteil von 2011 zu (Az.: 2 AZR 543/10). Generell müsse abgewogen werden zwischen kirchlichem Selbstverständnis einerseits und der Achtung des Privatlebens sowie den Interessen des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses andererseits. Letzteres überwog, insbesondere war dabei ausschlaggebend, dass das beklagte Krankenhaus beispielsweise auch nicht katholische, wiederverheiratete Ärzte beschäftigt und auch die zweijährige, uneheliche Beziehung des klagenden Chefarztes mit seiner jetzigen Frau toleriert hat. Außerdem wurde berücksichtigt, dass der Kläger nach wie vor zu seinem katholischen Glauben steht.
Das beklagte Krankenhaus hat gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde eingereicht, mit der Folge, dass das Urteil vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahr 2014 in einem Beschluss aufgehoben wurde und das Verfahren erneut an das BAG geleitet wurde.
Doch anstelle, dass das BAG dem Bundesverfassungsgericht folgt, hat es sich Rat bei einer höheren Instanz eingeholt: Jetzt lag es an dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu entscheiden, ob die Loyalitätsanforderungen an Arbeitnehmer je nach Glaubenszugehörigkeit bzw. bei Konfessionslosigkeit unterschiedlich ausfallen dürfen.
Im Konkreten hieß es in der Frage des BAG an den EuGH (Rechtssache C‑68/17):
Ist Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) dahin auszulegen, dass die Kirche für eine Organisation wie die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits verbindlich bestimmen kann, bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten zwischen Arbeitnehmern zu unterscheiden, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören?
Sofern die erste Frage verneint wird:
a) Muss die Bestimmung des nationalen Rechts, wie hier § 9 Absatz 2 AGG, wonach eine solche Ungleichbehandlung aufgrund der Konfessionszugehörigkeit der Arbeitnehmer entsprechend dem jeweiligen Selbstverständnis der Kirche gerechtfertigt ist, im vorliegenden Rechtsstreit unangewendet bleiben?
b) Welche Anforderungen gelten gemäß Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 der RL 2000/78/EG für ein an die Arbeitnehmer einer Kirche oder einer der dort genannten anderen Organisationen gerichtetes Verlangen nach einem loyalen und aufrichtigen Verhalten im Sinne des Ethos der Organisation?
Der Kirche werden Grenzen gesetzt
Das Urteil des EuGH wird erst in wenigen Monaten bekannt gegeben, allerdings gibt es bereits Äußerungen der Generalanwälte, die dem Europäischen Gerichtshof bei ihrer Entscheidung helfen. So hat der Generalanwalt Melchior Wathelet in den gestern veröffentlichten Schlussanträgen erklärt, dass die Kündigung des Chefarztes seitens des Krankenhausträgers als nicht rechtmäßig zu bewerten sei. Unter anderem weil die Vorstellungen des katholischen Glaubens an eine Ehe in dem vorliegenden Fall nicht als berufliche Anforderung ausgemacht werden können. Außerdem stellt seine zweite Ehe kein „erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis“ dar und beeinträchtigt ebenso wenig die Glaubwürdigkeit der Kirche.
Die Kirche wird abermals zurückgewiesen
Erst kürzlich hat es einen ähnlichen Fall gegeben, bei dem es um die Frage ging, ob kirchliche Arbeitgeber die Religion eines Bewerbers als Entscheidungskriterium für eine Anstellung geltend machen dürfen. Auch hier hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Religionszugehörigkeit nur noch in Ausnahmen ein Einstellungskriterium sein darf – und zwar wenn sie „objektiv geboten“ ist, so beispielsweise in der Hospiz- und Palliativversorgung.
Quelle: BAG Az.: 2 AZR 543/10, BVerfG Az.: 2 BvR 661/12, EuGH Rechtssache C‑68/17