Rechtsdepesche: Ab welchem Alter ist ein Anstieg des Sturzrisikos zu verzeichnen und woran liegt das?
PD Dr. Helmut Frohnhofen: Ab der Lebensmitte nehmen die Funktions- und Leistungsfähigkeit vieler Organe diskret, aber kontinuierlich ab. Irgendwann ist eine kritische Grenze erreicht. Für das sichere und balancierte Laufen sind sowohl eine gute Funktion des Nervensystems als auch eine stabile Muskulatur wichtig. Von Bedeutung sind aber auch die Sehfähigkeit und das Herz-Kreislaufsystem. In all´ diesen Bereichen kommt es durch den Alterungsprozess zu leichten Veränderungen. Bei dem einem etwas früher, beim dem anderen später.
Überlagert werden diese Faktoren von zusätzlich auftretenden Krankheiten und eventuell verabreichten Medikamenten. Generell kann gesagt werden, dass ein gesunder älterer Mensch diesen kritischen Bereich ungefähr ab dem 80. Lebensjahr erreicht. Das ist in etwa die Altersgrenze zu der das Sturzrisiko auch bei fehlenden sonstigen Erkrankungen deutlich ansteigt. Liegen sonstige Erkrankungen vor, wie beispielsweise eine Herzschwäche, oder wurde ein Schlaganfall erlitten, führt dies zu einer deutlich früheren Sturzrisikosteigerung. Tröstlich ist, dass durch die Kenntnis dieser Zusammenhänge diesem Risiko entgegen gearbeitet werden kann.
Rechtsdepesche: Welche Möglichkeiten gibt es, dass Risiko der Sturzneigung zu ermitteln und welche Maßnahmen können ergriffen werden, um im Alter das Sturzrisiko zu minimieren?
Frohnhofen: Die Sturzgefährdung kann aus einfachen Tests abgeleitet werden. Zum Beispiel sollte ein 80-jähriger in einer Art Seiltänzerschritt zehn Sekunden auf einem Fuß frei stehen können. Auch sollte ein gesunder, hoch betagter Mensch aus dem Sitzen ohne Armeinsatz innerhalb von zehn Sekunden 5mal aufstehen können. Wer das schafft, hat eigentlich kein erhöhtes Sturzrisiko.
Sind Probleme vorhanden, kann mit regelmäßigem Training wirksam vorgebeugt werden. Nicht übermäßig, aber regelmäßig sollte die Muskulatur trainiert und Gymnastik gemacht werden. Hierfür sind Physio- und Ergotherapeuten eigentlich prädestiniert. Die bieten ein breites Trainingsspektrum an, mit dem am besten frühzeitig angefangen wird. Salopp ausgedrückt: spätestens ab dem 70. Lebensjahr sollte regelmäßig die Muckibude besucht werden.
Auch aus medizinischer Sicht bestehen gute Möglichkeiten das Sturzrisiko zu minimieren. Die Einnahme von Schlafmitteln oder Antidepessiva, Neuroleptika, Sedativa usw. sollte besser kontrolliert und tendenziell reduziert werden, denn mit dem Einsatz von beruhigenden Medikamenten geht eine Erhöhung des Sturzrisikos einher. Besonderes Augenmerk ist auch auf den Blutdruck und die Kreislaufmedikamente zu richten. Fällt der Blutdruck im Stehen stark ab, stellt dies einen deutlichen Risikofaktor für einen Sturz dar. Deshalb muss der Blutdruck bei älteren Menschen auch im Stehen gemessen werden.
Natürlich ist daneben auch auf die äußeren Rahmenbedingungen zu achten, dass sicheres Schuhwerk getragen wird und die Beleuchtungsverhältnisse so optimal wie möglich gestaltet sind.
Nicht vergessen werden darf, dass unsere motorischen Leistungen im Gehirn verankert sind. Insofern ist körperliches Training auch als Gedächtnisleistung zu verstehen. Das heißt, auch die motorischen Abläufe, müssen immer wieder trainiert werden, damit sie sich einspielen.
Rechtsdepesche: Sind dementiell erkrankte Menschen deshalb auch einem höheren Sturzrisiko ausgesetzt?
Frohnhofen: Ja, das ist richtig. Bei Menschen mit Gedächtnisproblemen funktioniert oft auch das motorische Gedächtnis nicht. Gerade demenzkranke Menschen haben aufgrund der Veränderungen in ihrem Nervensystem erhebliche Probleme hinsichtlich der Koordination ihrer Bewegungsabläufe. Leider sind bei dementiell erkrankten Menschen Einbußen in punkto sicherer Körperbalance, richtiger Wahrnehmung und Einschätzung von Entfernungen zu verzeichnen. Das führt dazu, dass die in früheren Jahren routinierten Bewegungsabläufe gestört sind und die Reaktionsmuster auf Gefahrensituationen nicht mehr so flüssig funktionieren. Damit steigt das Sturzrisiko ganz erheblich.
Rechtsdepesche: Sehr geehrter Herr Dr. Frohnhofen, vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch.
Das Interview führte Michael Schanz.