Gesundheits-Apps
Gesund­heits-Apps, von denen bereits eine Vielzahl zur Markt­reife gelangt sind, sollen künftig von den Kranken­kas­sen bezahlt werden. Bild: © Tyler Olson | Dreamstime.com

Von Gesund­heits-Apps bis hin zur elektro­ni­schen Patien­ten­akte

Die Digita­li­sie­rung ist eines der Handlungs­fel­der, mit denen sich in der Pflege inner­halb kurzer Zeit vieles zum Besse­ren wenden lassen könnte. So überrascht es nicht, dass auch Minis­ter Jens Spahn sich dem Thema widmet. Nun macht unser Gesund­heits­mi­nis­ter zwar nicht alles richtig, aber er macht immer­hin sehr viel, und langwei­lig wird es nie mit ihm.

Auch jetzt hat er wieder eine gute Idee: Gesund­heits-Apps, von denen bereits eine Vielzahl zur Markt­reife gelangt sind, sollen künftig von den Kranken­kas­sen bezahlt werden. An den Kosten schei­tert nämlich bisher häufig die Markt­durch­drin­gung, also die Verbrei­tung.

Hoffen wir, dass der Minis­ter damit weiter kommt als mit dem berühmt-berüch­tig­ten § 105 Absatz 2 SGB XI. Dieser bestimmt eigent­lich, dass „bis zum 1. Januar 2018 die Einzel­hei­ten für eine elektro­ni­sche Daten­über­tra­gung“ der Abrech­nung pflege­ri­scher Leistun­gen vorlie­gen sollten. Wer heute diese Einzel­hei­ten sucht, muss beim Blick auf den Kalen­der aller­dings zu der Einsicht kommen, dass der Gesetz­ge­ber manch­mal besser auf Frist­set­zun­gen verzich­tet, als sich mit ihnen vor den Augen der inter­es­sier­ten Öffent­lich­keit zu blamie­ren.

Davon abgese­hen passiert tatsäch­lich gerade viel. Mit dem TSVG, dem Termin­ser­vice- und Versor­gungs­ge­setz, soll bis spätes­tens 2021 endlich die ePA vorlie­gen, also die elektro­ni­sche Patien­ten­akte. Mit ihr sollen sowohl die Versi­cher­ten als auch die medizi­ni­schen Dienst­leis­ter rasch und sicher auf Behand­lungs­da­ten zugrei­fen können, um Trans­pa­renz herzu­stel­len und so die Behand­lungs­si­cher­heit zu erhöhen. Der Zugriff soll dabei mit allen Endge­rä­ten möglich sein, auch mit Smart­phone und Tablet. Ob die Kassen das schaf­fen, steht in den Sternen. Bis heute waren die Kosten­trä­ger nicht einmal in der Lage, Angebote für die Digita­li­sie­rung der sehr viel einfa­che­ren Leistungs­ab­rech­nung aufzu­bauen. Um hier den seit Jahren frustrie­ren­den Entwick­lungs­stau aufzu­lö­sen, hat der Bund nun die Mehrheit an der Gematik übernom­men, jener Gesell­schaft, die in naher Zukunft die Telema­tik-Infra­struk­tur gewähr­leis­ten soll. Ordnungs­recht­lich ist das proble­ma­tisch, zumal der Staat bei Infra­struk­tur­pro­jek­ten nicht gerade für innova­tive Lösun­gen bekannt ist. Pragma­tisch sinnvoll aber ist diese Lösung allemal – schlim­mer konnte es kaum noch kommen.

Keine andere Wahl: Ärzte müssen bei Digita­li­sie­rung mitma­chen

Neben der Idee, die Kranken­kas­sen für Gesund­heits-Apps zahlen zu lassen, gehört zum neues­ten Geset­zes­vor­ha­ben weitaus mehr. Mit dem DGV, also dem Digitale-Versor­gung-Gesetz, will der Minis­ter die Ärzte zwingen, bei der Digita­li­sie­rung mitzu­ma­chen. Wer nicht will, dem droht ab 2020 eine Honorar­kür­zung um 2,5 Prozent. Bisher gibt es nämlich Tausende Praxen, die sich dem aus unter­schied­lichs­ten Gründen verwei­gern. Wenn man der Kassen­ärzt­li­chen Bundes­ver­ei­ni­gung glauben will, ist alles ganz einfach (YouTube: Das Sichere Netz für Ärzte und Psycho­the­ra­peu­ten).

Die Wirklich­keit ist aber deutlich komple­xer als das Erklär­vi­deo. Die von der Kassen­ärzt­li­chen Bundes­ver­ei­ni­gung (KBV) empfoh­le­nen Konnek­to­ren schaf­fen zwar Sicher­heit für das Telema­tik-Netz, machen jedoch gleich­zei­tig Software-Updates für die sonsti­gen notwen­di­gen IT-Programme oder selbst Online-Termin­ver­ein­ba­run­gen für Patien­ten unmög­lich. Auch dazu gibt es inzwi­schen von den betrof­fe­nen Ärzten Videos im Netz.

Man fragt sich natür­lich, wie das Gesund­heits­mi­nis­te­rium die Ärzte mit diesen Fragen allein lassen kann. Das ist, als ob das Verkehrs­mi­nis­te­rium Pendler zwingt, ausnahms­los vom Auto auf die Schiene umzustei­gen, und nur mit den Schul­tern zuckt, wenn der Zug ausfällt. Da künftig auch die Pflege in die Telema­tik-Infra­struk­tur einge­bun­den sein soll, muss hier darauf geach­tet werden, dass das System unter hoher Last wirklich stabil funktio­niert.

Zudem muss darauf geach­tet werden, dass es zur Einbin­dung der Pflege tatsäch­lich kommt. Einiger­ma­ßen sicher ist gemäß dem Referen­ten­ent­wurf bisher nämlich nur ein Modell­pro­gramm zur Nutzung der Telema­tik-Infra­struk­tur in der Alten­pflege, das bis 2022 laufen soll, also noch nicht ein Regel­an­ge­bot in dauer­haf­ter Struk­tur. Wir brauchen aber neben den im DGV geplan­ten Doc-2-Doc-Konfe­ren­zen, also ärztli­chen Online-Konsi­len, solche digita­len Kommu­ni­ka­ti­ons­wege auch Doc-2-Nurse, also zwischen Arzt und Pflege­fach­kräf­ten. Die Pflege­dienste und Pflege­heime müssen an dieses Netz angeschlos­sen werden. Im Gegen­satz zu vielen Kassen ist die Pflege ja längst fit für die Digita­li­sie­rung. Und fit sind übrigens auch die Patien­ten, selbst die Hochalt­ri­gen. Wer Muße hat, möge sich auf YouTube einmal ansehen, wie Oma und Opa online daddeln und dabei riesi­gen Spaß haben.

„Pflege­kräfte sollen nicht nur mehr können, sondern auch mehr dürfen“

Es gibt aber einen ernste­ren Grund, warum es mit der Digita­li­sie­rung der Pflege dringend voran­ge­hen muss. Der Pflege­be­auf­tragte der Bundes­re­gie­rung hatte im Juni 2018, also vor ziemlich genau einem Jahr, erheb­li­ches Aufse­hen erregt mit einigen unortho­do­xen, aber von der Sachkennt­nis des Prakti­kers zeugen­den Vorschlä­gen für eine rasche und spürbare Steige­rung der Attrak­ti­vi­tät des Pflege­be­rufs. Unter den „Fünf Vorschlä­gen für eine gute und verläss­li­che Pflege“ von Andreas Wester­fell­haus fanden sich sowohl mit Blick auf den Pflege­not­stand angemes­sen großzü­gige Rückkehr­prä­mien für Pflege­kräfte als auch Maßnah­men für mehr „Freude am Beruf“. Allein dafür, an diese notwen­dige Freude gedacht zu haben, gebührt ihm Applaus. Zu ihr gehört zweifel­los eine deutli­che Auswei­tung des Kompe­tenz­spek­trums durch Übertra­gung heilbe­ruf­li­cher Tätig­kei­ten.

Pflege­kräfte sollen nicht nur mehr können, sondern auch mehr dürfen. Die Einschrän­kung der pflege­ri­schen Kompe­ten­zen gegen­über jenen der Ärzte in Deutsch­land ist mit Blick auf den Rest der entwi­ckel­ten Welt völlig anachro­nis­tisch. Bei Diabe­ti­kern etwa sind die Pflege­kräfte durch ihre tägli­chen Einsätze viel näher an der Lebens­wirk­lich­keit der Patien­ten als Ärzte und könnten enorm zur Optimie­rung der Versor­gung beitra­gen.

Leider ist bisher keiner der fünf Vorschläge umgesetzt worden. Ob es nun daran liegt, dass der Pflege­be­auf­tragte keine Hausmacht hat im Gesund­heits­mi­nis­te­rium, oder daran, dass er einfach zu schnell und zu innova­tiv ist für die immer noch zwischen Bonn und Berlin geteilte Verwal­tung: Es muss etwas gesche­hen, und zwar mehr als bisher. Die paar Tausend Euro pro Pflege­dienst und Pflege­heim aus dem TSVG sind nicht der notwen­dige große Schritt nach vorn. Dieser gelingt nur, wenn in die Telema­tik-Infra­struk­tur wirklich alle Player vom Versi­cher­ten bis zu Kassen, Pflege­dienst­leis­tern, Ärzten, Klini­ken, Reha-Einrich­tun­gen, Apothe­ken, Thera­peu­ten und Sanitäts­häu­sern einge­bun­den werden. Es ist allen Betei­lig­ten zu wünschen, dass die politisch Verant­wort­li­chen auf ihrem langen Marsch bis zur digita­len Daten­au­to­bahn nicht der Mut verlässt.