Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wird eine neue Definition für Verbandmittel in das Sozialrecht einziehen, die die entscheidende Grundlage für den diesbezüglichen Leistungsanspruch der gesetzlich versicherten Patienten etabliert. Bis zur Abstimmung im Bundesrat am 28.6.2019 hatten einige Bundesländer versucht, den Vermittlungsausschuss einzuberufen, um dem Gesetzentwurf auf der Schlussgeraden noch eine andere Wendung zu geben.
Dieses Vorhaben ist jedoch gescheitert. Zwar stehen nach der Definition des § 31 Absatz 1a SGB V weiterhin Verbandmaterialien zur Auswahl, die ergänzende weitere Wirkungen entfalten, indem sie beispielsweise eine Wunde feucht halten, reinigen, Gerüche binden und über eine antimikrobielle oder metallische Beschichtung verfügen – allerdings nur, wenn sie keine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungsweise im menschlichen Körper entfalten.
Weist das Verbandmittel die letztgenannten Eigenschaften auf, bedeutet das jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers noch nicht per se, dass es damit auch der Verordnungsfähigkeit entzogen ist. Vielmehr können derartige Verbände, die pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirken und damit mehr können als nur aufsaugen und bedecken, auch weiterhin verordnungsfähig bleiben. Voraussetzung ist hierfür jedoch, dass die Hersteller der betreffenden Verbandmittel einen über Studien und ggf. über Literatur belegten Wirksamkeitsnachweis erbringen.
Der G‑BA ist gefragt
In der vom Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Fassung des GSAV wird im § 31 Absatz 1a Satz 4 SGB V folgende Fristenregelung ausgewiesen: „bis zum … [einsetzen: Datum des letzten Tages des zwölften auf die Verkündung folgenden Monats]“[1]. Konkret bedeutet diese verklausulierte Terminbestimmung, dass eine Frist mit einer Laufzeit von einem Jahr nach der Ausfertigung, Gegenzeichnung der zur Staatsleitung berufenen Organe (Artikel 58 GG) und anschließender Verkündung im Bundesgesetzblatt (Artikel 82 GG) zu laufen beginnt.
Innerhalb dieser nach Verkündung des GSAV (voraussichtlich: im September 2019) beginnenden zwölfmonatigen Frist, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G‑BA) auf Grundlage des § 31 Absatz 1a SGB V die Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) dahingehend zu konkretisieren, welche Verbandmittel weiterhin verordnungsfähig bleiben und welche Verbandmittel als „sonstige Produkte zur Wundbehandlung“ einzustufen sind und damit dem Erfordernis des Wirksamkeitsnachweises unterliegen.
Es wäre wünschenswert, wenn der G‑BA innerhalb des Zeitfensters dieser Frist auch die Voraussetzungen des Studiendesigns für den Wirksamkeitsnachweis bekannt geben würde. Nur so werden die Hersteller der „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“ in die Lage versetzt, den geforderten Wirksamkeitsnachweis sachadäquat zu erbringen. Denn die sich an die Umsetzungsfrist für den G‑BA anschließende Übergangsfrist von 12 Monaten (§ 31 Absatz 1a Satz 5 SGB V), ist äußerst knapp bemessen.
Alle Verbandmittel bleiben weiterhin verordnungsfähig
An dieser Stelle ist dezidiert darauf hinzuweisen, dass die sonstigen „verbandmittelähnlichen“ Produkte für die gesetzlich vorgesehene Übergangsfrist von 12 Monaten wie bisher zulasten der gesetzlichen Krankenversicherer verordnungsfähig bleiben. Eine Verordnungsfähigkeit der Produkte mit nicht nur physikalischer Wirkungsweise ist auch nach dem Ablauf dieser Übergangsfrist gegeben, wenn die Hersteller den therapeutischen Nutzen und die medizinische Notwendigkeit ihrer Produkte belegen können. Vor dem Hintergrund, dass jede Fristbestimmung im Sinne der rechtlichen Befriedung eine Zeitspanne zu definieren hat, innerhalb derer bestimmte Handlungen zur Wahrung von rechtlichen Positionen getroffen werden können, wirft dieser zeitliche Fahrplan auch juristische Bedenken auf.
Vorbehaltlich der Fragestellung, ob bereits vorhandene Studienergebnisse anerkannt werden, kann die Bemessung eines nur einjährigen Zeitraums zur Durchführung eines Wirksamkeitsnachweises mit Studien höchstmöglicher Evidenz als zu knapp angesehen werden. Nur wenn den Herstellern ein solcher Wirksamkeitsnachweis gelingt, werden sich ihre Produkte am Markt behaupten und über die AM-RL den gesetzlich versicherten Patienten zur Versorgung erhalten bleiben.
Die Crux an dieser Situation ist allerdings, dass der G‑BA bislang seinem Regelungsauftrag zur Erstellung eines Leitfadens zur Durchführung des Wirksamkeitsnachweises noch nicht nachgekommen ist. Vergegenwärtigt man sich, dass immer wieder die Behauptung in den Raum gestellt wird, eine Evidenzbasierung sei im Bereich der Wundversorgung nicht zu erzielen, hegt dies die Befürchtung, dass die Bewältigung der strukturellen Herausforderung zur Erstellung valider Studien geraume Zeit in Anspruch nehmen wird. Außerdem müssen die inhaltlichen Erhebungsparameter für den in einem Studienprogramm durchzuführenden Wirksamkeitsnachweis objektiv so ausgestaltet sein, dass deren Absolvierung tatsächlich auch möglich ist. Ansonsten steht die Befürchtung im Raum, dass die betroffenen Hersteller eine – unter Umständen auch zivilrechtlich bedeutsame – verfassungsrechtliche Beschränkung ihres Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Artikel 14 GG) geltend machen könnten.
Um eine Unterbrechung der Patientenversorgung mit innovativen Verbandmitteln zu vermeiden – welche für den einzelnen Patienten gravierende Folgen haben könnte – sollte die Zeitspanne der Übergangsfrist nochmals kritisch hinterfragt und die Anforderungen des Wirksamkeitsnachweis den Besonderheiten im Bereich der Wundversorgung entsprechen.
Von Prof. Dr. Volker Großkopf und Michael Schanz
Anmerkung:
- Die ursprünglich gesetzte Frist zum 1. Juli 2019 ist nicht eingehalten worden.