Trotz wenig Kontakt zum Vater: Tochter erhält Vorsorgevollmacht
Das spätere Opfer war 88 Jahre alt und litt an mehreren schweren Erkrankungen: So unter anderem an Diabetes mellitus Typ II, einer Fettleber, einer Herzproblematik sowie einem Lendenwirbelsäulensyndrom-Syndrom. Die (zweite) Ehefrau des Mannes war bereits verstorben.
Die angeklagte Tochter hatte allenfalls sporadischen Kontakt zu ihrem Vater. Die Gründe dafür waren zum einen die räumliche Entfernung zum Elternhaus und zu anderen wollte die damalige Ehefrau des Vaters zu ihren Lebzeiten keinen Kontakt zur Tochter ihres Mannes.
Nach Streit in der Familie wurde die Tätigkeit eines Pflegedienstes für den Vater gekündigt. Hier hatte sich die angeklagte Tochter durchgesetzt. Sie trat bestimmend und herrisch auf und wollte ihre Vorstellungen durchbringen.
Zu jener Zeit bestand noch eine Vorsorgevollmacht zugunsten eines Sohnes. Diese wurde auf Drängen der Angeklagten widerrufen. Sie erlangte daraufhin eine Vorsorgevollmacht sowie eine Patientenverfügung vom Vater. Später erhielt sie sogar eine Generalvollmacht des Vaters sowie eine Vollmacht für seine Bankkonten.
Das Vermögen des Vaters betrug circa 735.000 Euro. Mit Zustimmung des Vaters ließ sich die Tochter eine Vorrauserbschaft in Höhe von 20.000 Euro auszahlen. Diesen Betrag hatte sie anschließend auch an die Geschwister überwiesen. Es folgten weitere Überweisungen an alle Geschwister in Höhe von jeweils 92.875,33 Euro.
Kosten für Pflegedienst waren der Tochter zu hoch
Nach einer Oberschenkelhalsfraktur musste der Vater stationär behandelt werden. Nachdem er wieder zu Hause angekommen war, engagierte die Tochter einen neuen Pflegedienst. Allerdings nur für kurze Zeit, da der angeklagten Tochter die Kosten dafür zu hoch erschienen.
Danach kümmerten sich wechselnde Pflegerinnen/Haushaltshilfen um hauswirtschaftliche Tätigkeiten.
Die Vorbereitung der Medikamente übernahm die Angeklagte selbst. Jegliche Einmischung hatte sie sich verbeten. Der gesundheitliche Zustand des Vaters verschlechterte sich nach dem Krankenhausaufenthalt deutlich.
Wie sich später herausstellte, verabreichte die Tochter ihrem Vater in regelmäßigen Abständen sedierende Arzneimittel wie Morphin, Diazepam, Melpreon sowie Diphenhydramin. Teilweise ließ sie die Mittel auch über die ahnungslosen Haushaltshilfen verabreichen.
Lebensbedrohliche Kombination an Arzneimittel verabreicht
In keinem Einzelfall hat die Dosis eine therapeutische Menge überschritten. Die Arzneimittel wurden nicht ärztlich verordnen und können in Kombination einen lebensbedrohlichen Zustand herbeiführen. Das hat die Angeklagte wohl billigend in Kauf genommen.
Sie vertraute darauf, dass der Tod ihres Vaters dadurch nicht eintreten würde, weil sie die Dosierungen nicht zu hoch wählte. Neben den genannten Medikamenten hat sie weitere zentraldämpfende Arzneimittel verabreicht. Eine Urinprobe des Opfers ergab später einen Wert für Benzodiazepine von über 1.000 ng/ml und an Opiaten von über 1.500 ng/ml.
Der nichtsahnende Vater erlitt durch die Medikamente eine deutliche Veränderung in seinem Wohlbefinden in Form einer Sedierung sowie einer nächtlichen Antriebssteigerung und weitergehenden Zerstörung seines Tag-Nacht-Rhythmus. Infolge der Medikation stellte sich bei ihm schließlich eine starke Benommenheit mit abnormer Schläfrigkeit ein, die behandlungsbedürftig war. Es bestand zumindest eine abstrakte Lebensgefahr.
Der Zustand des Vaters erreichte einen Punkt, an dem er nicht mehr reden oder antworten konnte und nur noch Laute von sich gab. Schließlich stürzte er mit dem Kopf gegen einen Heizkörper und erlitt eine Platzwunde, die genäht werden musste.
Täterin beschuldigt eigene Schwester
Daraufhin äußerte die Angeklagte einen Vergiftungsverdacht gegen ihre Schwester, die angeblich an das Erbe wolle. Zu diesem Zeitpunkt lag das bereits erwähnt Ergebnis der Urinuntersuchung noch nicht vor. Erst im Zuge weiterer Klinikaufenthalte gab es den Befund.
Während der ganzen Zeit befand sich der Vater in desolatem Zustand – nicht ansprechbar und lautierend. Nach erneutem Krankenhausaufenthalt starb der Mann schließlich, wobei eine pathologische Todesursache nicht sicher festgestellt werden konnte. Die Tochter mit der Vorsorgevollmacht wurde schließlich von der Staatsanwaltschaft Traunstein wegen Mordes angeklagt. Die Angeklagte gab, an nichts getan zu haben und beantragte Freispruch.
Kein Tötungsvorsatz zu erkennen
Für einen Tötungsvorsatz spricht, dass die Angeklagte mittels der Verabreichung verschiedener sedierender Medikamente dem Vater einer äußerst risikobehaftete Mischung verabreichte. Selbst für Mediziner sind die konkreten Auswirkungen der zu befürchtenden Wechselwirkungen nicht überschaubar.
Aufgrund der ebenfalls gegebenen Fixierung der Angeklagten auf Geld wäre durch einen schnellen Tod des Vaters das Vermögen frühzeitig und in ungehinderter Höhe verfügbar gewesen. Darüber hinaus wollte die Angeklagte auch ihre eigene Schwester verdächtigen und schlecht machen.
Entscheidend gegen einen Tötungsvorsatz spricht jedoch, dass die Angeklagte über einen langen Zeitraum hinweg konstante Dosen der jeweiligen Medikamente verabreichte. Die Mengen lagen hierbei jedenfalls nicht über dem therapeutischen Bereich.
Einige Zeit vor seinem Tod hat sie die Dosen reduziert. Außerdem hatte sie bereits jede Vollmacht – wie die Vorsorgevollmacht, die Generalvollmacht und die Kontovollmacht – erlangt, um auch so an das Vermögen ihres Vaters zu verfügen.
Das Opfer hatte zunächst die fehlerhafte Gabe der Medikamente überlebt und verstarb später wegen unklarer Ursachen. Aus diesem Grund konnte sich die Kammer nicht von einem Tötungsvorsatz überzeugen.
Die Tochter wurde schließlich wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Absatz 1, 224 Absatz 1 Nummer 1 und Nummer 5 StGB schuldig gesprochen. Das Urteil sieht eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten vor. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle: LG Traunstein vom 27. März 2023 – 5 Ks 402 Js 37870/21