Vollmachtmissbrauch
Anwäl­tin Hilde­gard Winne­beck hat den Verein „Initia­tive gegen Vollmacht­miss­brauch“ gegrün­det. Bild: Privat

Vollmacht­miss­brauch ist kein Einzel­fall

Rechts­de­pe­sche: Sehr geehrte Frau Winne­beck, Sie haben im vergan­ge­nen Jahr die „Initia­tive gegen Vollmacht­miss­brauch e.V.“ gegrün­det. Was hat Sie dazu veran­lasst?

Winne­beck: Nach eigenen Recher­chen zum Thema waren es die dann entstan­de­nen Kontakte zum Landes­kri­mi­nal­amt (LKA) Berlin. Dort beschäf­tigt sich eine spezia­li­sierte Einheit inner­halb des Betrugs­de­zer­nats mit Vollmacht­miss­brauch. Das ist bisher einzig­ar­tig in Deutsch­land.

In der Berli­ner Polizei­be­hörde laufen viele Fälle auf, die leider allzu oft im Nirwana landen, denn das LKA Berlin ist nun mal eben nicht für ganz Deutsch­land zustän­dig. Betrof­fene und Angehö­rige stehen oft allein da mit dem Thema und haben kein Forum. Nicht zuletzt deshalb wurde ich ermutigt dem Thema über eine bundes­weite Inter­es­sen­ge­mein­schaft Gehör zu verschaf­fen, so dass sich die Betrof­fe­nen finden, Erfah­run­gen austau­schen und Unter­stüt­zung erfah­ren.

Und letzt­lich müssen auch Gesetz­ge­ber, Justiz und relevante Behör­den für das Thema sensi­bi­li­siert werden, was trotz der verhee­ren­den Auswir­kun­gen und der weiten Verbrei­tung kein angemes­se­nes Forum hat.

Rechts­de­pe­sche: Welche Defizite erleben Sie denn im Umgang mit Vorsor­ge­voll­mach­ten?

Winne­beck: Das fängt schon bei der Erstel­lung der Vollmacht an. Da wird nicht geprüft, ob die Erklä­rung unter Manipu­la­tion, Druck, Geschäfts­un­fä­hig­keit oder sonsti­gen fragwür­di­gen Umstän­den abgege­ben wurde. Es geht dann weiter bei der Ausle­gung der Vollmach­ten.

Geschäfts­part­ner, auch die Gerichte, Betreuer oder Betreu­ungs­be­hör­den nehmen es mit dem Inhalt nicht genau genug. Es wird allzu oft nur auf die Überschrift der Vollmacht geschaut. Der Bevoll­mäch­tigte erhält dann einen Freifahrt­schein. Die Vollmacht kann da schnell zu einer Carte Blanche werden mit unlimi­tier­ten Freihei­ten.

Täter gehen immer ähnlich vor

Rechts­de­pe­sche: Mit wie vielen Fällen haben Sie es denn in Ihrem Verein zu tun und wie ist die Resonanz?

Winne­beck: Unser Verein „Initia­tive gegen Vollmacht­miss­brauch e.V.“ ist seit Anfang des Jahres online. Seither sind die schrift­li­chen Anfra­gen und Hinweise im guten dreistel­li­gen Bereich angelangt und steigen exponen­ti­ell. Inter­es­sant dabei ist, dass die meisten, die sich melden den Eindruck haben, dass genau ihr Fall auf der Webseite beschrie­ben wird. Tatsäch­lich spielen sich die Fälle fast immer erstaun­lich ähnlich ab. Es sind also keines­wegs Einzel­fälle.

Auch ansons­ten ist die Resonanz enorm. Das LKA Berlin und auch Projekte von mehre­ren Minis­te­rien, wie zum Beispiel der „Wegwei­ser Demenz“ des Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­ri­ums, verwei­sen auf unsere Seite. Gerichte und Staats­an­walt­schaf­ten führen uns als gemein­nüt­zige Organi­sa­tion, die dann bei der Aufer­le­gung von Aufla­gen etc. berück­sich­tigt werden kann. Das alles freut uns sehr und zeigt, dass wir etwas richtig machen. Manchen ist aller­dings unsere Aufklä­rungs­ar­beit, die auch mit der Kritik einher­geht, ein Dorn im Auge.

Rechts­de­pe­sche: Wo liegt denn der Schwer­punkt des Vollmacht­miss­brauchs? Können Sie da Beispiele nennen?

Winne­beck: Am Ende ist immer das Vermö­gen des Opfers das Ziel der Täter. Der Weg dorthin, führt sehr oft über physi­sche und psychi­sche Gewalt. Und das wird unter­schätzt. Es geschieht immer in drei Schrit­ten. Zunächst verschafft sich der der Täter eine Position, in der er allein agieren kann. Er schleicht sich an, macht sich beliebt und tritt in der Helfer- und Gutmensch-Rolle auf. Auf diese Art und Weise wird die Gunst des Seniors gewon­nen.

Den Opfern werden im Alltag zuneh­mend Tätig­kei­ten abgenom­men. Der Verlust an Selbst­stän­dig­keit ist dadurch vorpro­gram­miert und inten­diert. Aus der ursprüng­li­chen Hilfe wird dann Abhän­gig­keit und schließ­lich Manipu­la­tion. Der Weg zur Abschot­tung als zweiter Schritt ist dann nicht mehr weit. Und da fängt der eigent­li­che Missbrauch an! In diesem Moment werden dann typischer­weise bisher Vertraute diffa­miert und neue Vollmach­ten erstellt.

„General­voll­macht ist Einfalls­tor für den Missbrauch“

Dem Opfer wird vermit­telt, dass seine Unter­schrift die weitere Hilfe sicher­stellt, und nur eine Formsa­che sei. Oftmals handelt es sich dann um eine General­voll­macht. Die ist das Einfalls­tor für den Vollmacht­miss­brauch. Das Opfer wird nun in all seinen Lebens­be­rei­chen allein durch den Täter verwal­tet. Der hat dann auch die Befug­nis, Dritte komplett auszu­sper­ren und auszu­gren­zen und den Blick hinter die Kulis­sen zu unter­bin­den, was er dann auch regel­mä­ßig tut, um sich unlieb­same Zeugen vom Hals zu halten. Die Ausplün­de­rung des Vermö­gens erfolgt regel­mä­ßig über zwei Schie­nen. Zunächst verbraucht der Täter meist unbemerkt das Vermö­gen des Opfers durch Anschaf­fun­gen, die nach außen den Eindruck erwecken, als dass sie für das Opfer seien, tatsäch­lich aber dem Täter zuflies­sen. Als Beispiele können hier Aufwen­dun­gen für exorbi­tante Lebens­hal­tungs­kos­ten oder der Erwerb von Kraft­fahr­zeu­gen, die ausschließ­lich nur vom Täter genutzt werden, genannt werden. Dazu kommen die konti­nu­ier­li­chen Barab­he­bun­gen vom Konto der Senio­rin­nen und Senio­ren unter dem Vorwand das Geld sei ihnen überge­ben worden, sie wüssten es nur nicht mehr oder hätten es verlegt. Letzt­lich werden auch Schen­kun­gen von Immobi­lien und testa­men­ta­ri­sche Verfü­gun­gen vorge­nom­men, durch die die erbbe­rech­tig­ten Nachkom­men um ihr Erbe geprellt werden.

Während­des­sen erklärt der Täter, der Senior wolle seine frühe­ren Freunde oder gar die Kinder nicht mehr sehen, denn die wollten nur an sein Geld und ihn in ein Heim abschie­ben. Genau dort finden sich die Oper dann auch später meist vermö­gens­los wieder; ohne Kontakt nach außen aber auf Veran­las­sung seines Bevoll­mäch­tig­ten. Die Kinder dürfen nicht mehr zu ihm, auch wenn der Täter schon über alle Berge ist. Kontakt­ver­bote wirken fort, denn bis dahin ist der Senior so beschä­digt, dass er selbst nichts mehr rückgän­gig machen kann.

Rechts­de­pe­sche: Das klingt nach einem gehöri­gen Maß an subtil-krimi­nel­ler Energie. Wie ist denn die Reaktion der Betreu­ungs­ge­richte auf diese Missbrauchs­fälle? Werden von den Betreu­ungs­rich­tern auch Straf­ver­fah­ren einge­lei­tet?

Opfer werden mit Medika­men­ten ruhig gestellt

Winne­beck: Leider kommt dies nur äußerst selten vor. Die Betreu­ungs­ge­richte und auch die Betreu­ungs­be­hör­den schei­nen auf dem straf­recht­li­chen Auge blind zu sein. Dabei sind im Umfeld des Vollmacht­miss­brauchs sehr viele Delikte relevant und nach Feststel­lun­gen der Polizei­hoch­schule Münster mit einer überpro­por­tio­na­len Häufig­keit im häusli­chen Bereich vertre­ten.

Bei den Straf­ta­ten gegen die körper­li­che Unver­sehrt­heit sind zunächst die Körper­ver­let­zun­gen durch pharma­ko­lo­gi­schen Substanz­miss­brauch hervor­zu­he­ben. Ich meine damit die wider­recht­li­che Ruhig­stel­lung der Betrof­fe­nen durch Medika­tio­nen, wie zum Beispiel mit Neuro­lep­tika oder sonsti­gen Sedativa, die sich dann nicht mehr wehren können. Das ist mit einem verschrei­bungs­wil­li­gen Arzt, einer Story über einen aggres­si­ven Patien­ten oder guten Kontak­ten mit Zugriff zu Pharmaka und der Vollmacht zur Gesund­heits­sorge hinter verschlos­se­nen Türen allzu leicht möglich.

Und dabei unter­liegt die Verab­rei­chung von Medika­men­ten wie Neuro­lep­tika stren­gen Vorschrif­ten, denn das Schädi­gungs­po­ten­zial ist enorm. Das hat schon das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt im Jahr 2011 klarge­stellt. Werden Medika­mente mit dem primä­ren Ziel der Ruhig­stel­lung verab­reicht, wird das straf­recht­lich unumstrit­ten als freiheits­ent­zie­hende Maßnahme – also Freiheits­be­rau­bung im Sinne von § 239 StGB – gewer­tet, aber leider von den Staats­an­walt­schaf­ten nur äußerst selten verfolgt.

In diesem Bereich ist auch zu befürch­ten, dass solche Medika­men­ten­cock­tails zum Tod führen. Dann sind wir bei den Tötungs­de­lik­ten. Wir haben festge­stellt, dass auffäl­lig oft die Opfer dann plötz­lich verster­ben und schnell einge­äschert werden, wenn Gerichte oder Staats­an­walt­schaf­ten doch noch die Ermitt­lun­gen aufneh­men und Fragen stellen. Das ist schon sehr, sehr bedrü­ckend. Am Ende ist in allen Fällen das Vermö­gen der Opfer geschä­digt.

Das heißt: die Vermö­gens­straf­ta­ten wie Diebstahl, Unter­schla­gung, Betrug und Untreue stehen immer im Zentrum der Ermitt­lun­gen. Es ist in vielen Fällen mehr als auffäl­lig, dass alte Damen und Herren, die einmal sehr wohlha­bend waren, von einem Wohltä­ter abgeschot­tet werden und am Ende ihres Lebens auf einmal entrei­chert und mittel­los daste­hen. Gar nicht so selten kommt es auch zu Urkun­den­fäl­schun­gen. Sei es nun durch die Täter selbst oder durch die Veran­las­sung der Opfer durch Zwang oder unter Medika­men­ten oder auch schon unter Geschäfts­un­fä­hig­keit Unter­schrif­ten zu leisten.

„Kinder sind von Vollmacht und Kontakt abgeschnit­ten

Man darf nicht unter­schät­zen, dass solche Vollmach­ten auch wie ein Straf­ver­fol­gungs­hin­der­nis wirken. Die Kinder sind meist von Vollmacht und Kontakt abgeschnit­ten und können für ihre Eltern nichts mehr tun. Staats­an­wälte und Richter geben sich mit dieser Situa­tion leider allzu oft zufrie­den. Zum Glück gibt es aber auch immer wieder positive Beispiele, in denen sich die Justiz­or­gane nicht von Betreu­ern oder Bevoll­mäch­tig­ten hinter’s Licht führen lassen und gründ­lich durch­grei­fen.

Den zweiten Teil des Inter­views können Sie in Kürze hier auf rechtsdepesche.de lesen.

Zur Person: Hilde­gard Winne­beck hat in Trier, Regens­burg und Montreal studiert. Das Rechts­wis­sen­schafts­stu­dium hat sie mit dem zweiten Staats­examen in München abgeschlos­sen und ist als Rechts­an­wäl­tin zugelas­sen. Nach Statio­nen in Mexiko und Kanada ist sie seit vielen Jahren im inter­na­tio­na­len Finanz­ge­schäft in verschie­de­nen Positio­nen zu Hause.