Vollmachtmissbrauch
Anwäl­tin Hilde­gard Winne­beck hat den Verein „Initia­tive gegen Vollmacht­miss­brauch“ gegrün­det. Bild: Privat

Defizite im Rechts­sys­tem bei Vollmacht­miss­brauch

Rechts­de­pe­sche: In unserem ersten Gesprächs­teil haben sie erschre­ckende Beispiele von Vollmacht­miss­brauchs­fäl­len gegen Senio­rin­nen und Senio­ren benannt. Wenden wir nun unseren Blick auf die gesetz­li­che Betreu­ung. Welche Erfah­run­gen haben Sie hierzu in Ihrem Verein gemacht? Besteht auch hier die Gefahr des Vollmacht­miss­brauchs?

Winne­beck: Es ist bedau­er­lich, aber auch unter den Betreu­ern gibt es schwarze Schafe, die ja eigent­lich den Vollmacht­miss­brauch verhin­dern sollen. In den Tages­zei­tun­gen finden sich – auch über betreu­ungs­be­auf­tragte Anwälte – immer mehr Artikel, in denen beschrie­ben wird, wie die zur Vermö­gens­sorge bestell­ten Betreuer das Vermö­gen ihrer Schütz­linge haben verschwin­den lassen und sich selbst reich­lich bedient haben.

Und das, vor den Augen der Betreu­ungs­rich­ter. Die sind nämlich verpflich­tet , die Ausübung der Betreu­ung zu überwa­chen. Das funktio­niert leider nicht immer so, wie vom Gesetz­ge­ber gewünscht. Dahin­ter verbirgt sich das mensch­li­che Problem des Einge­ständ­nis­ses von Fehlern, denn immer­hin ist der Betreuer vom Betreu­ungs­rich­ter ausge­wählt und einge­setzt worden.

Der Richter müsste dann einge­ste­hen, dass er den Falschen beauf­tragt und das womög­lich erst zu spät gemerkt hat. Die vornehmste Aufgabe des Richters, nämlich die Meinung zu ändern, wenn er neue Tatsa­chen findet, kommt dann zu kurz. Ich gehe von einer sehr hohen Dunkel­zif­fer an Missbräu­chen in Betreu­ungs­ver­hält­nis­sen aus, die dann nicht aufge­klärt werden, wenn die Gerichte nicht hinse­hen.

Eine Betreu­ungs­an­wäl­tin berich­tet mir kürzlich, dass gerade in den Betreu­un­gen die Ausplün­de­rei erst recht losginge. Auch hier hat sich der Gesetz­ge­ber in Präven­tion versucht und die Betreuer zur Auskunft an Angehö­rige verpflich­tet. Dennoch verwei­gert mancher Betreuer diese Auskunft und das teilweise mit Wissen der Betreu­ungs­ge­richte. Da klaffen der gesetz­li­che Anspruch und die Wirklich­keit weit ausein­an­der.

Rechts­de­pe­sche: Das neue Betreu­ungs­recht räumt dem Willen der Betrof­fe­nen seit dem 1. Januar 2023 einen deutlich höheren Stellen­wert ein. Was halten Sie davon? Wird die Reali­tät diesem Anspruch gerecht?

Winne­beck: Davon halte ich eigent­lich sehr viel. Die neue Reform des Vormund­schafts- und Betreu­ungs­rechts war ja gut gemeint, indem auf die Stärkung der Selbst­be­stim­mung und Autono­mie unter­stüt­zungs­be­dürf­ti­ger Menschen gesetzt worden ist. Die Betreu­ung und Vollmacht­aus­übung soll sich seither am Willen der betreu­ten Person orien­tie­ren. Damit sollte verhin­dert werden, dass Betreuer und Bevoll­mäch­tigte ihren eigenen Willen dem Betrof­fe­nen aufzwin­gen.

Jetzt ist das gesamte Spektrum der Bedürf­nisse dieses betreu­ten Menschen zu sehen. Es ist nicht Sinn und Zweck einer Vollmacht oder Betreu­ung dafür zu sorgen, dass jemand einfach nur etwas zu essen, zu trinken und ein Bett hat, also „versorgt“ ist. Das greift zu kurz. Die Menschen sind unter­schied­lich. Und dies muss durch den Willen der Betreu­ten respek­tiert werden. Wird dieser nicht klar etwa in der Vollmacht formu­liert, muss der Wille biogra­fisch ermit­telt werden. Hierbei sind die Lebens­weise, frühere Äußerun­gen, ethische oder religiöse Überzeu­gun­gen, sonstige persön­li­che Wertvor­stel­lun­gen, die soziale Stellung und das Umfeld des Betreu­ten zu berück­sich­ti­gen.

Der Gesetz­ge­ber wollte damit verhin­dern, dass den Menschen die einheit­li­che Kappe einer Minimal­ver­sor­gung überge­stülpt wird. Leider sehen wir davon wenig. Es scheint, dass noch immer der Bevoll­mäch­tigte oder Betreuer ungehin­dert willkür­lich entschei­den kann, wie der Betrof­fene zu leben hat. Proble­ma­tisch ist es aber auch, dass mit dieser Regel der Willens­be­ach­tung auch dem Vollmacht­miss­brauch Vorschub geleis­tet werden kann. Gerade bei der Erstel­lung von (Neu-)Vollmachten in vulner­ablen Situa­tio­nen, ist es sehr leicht, den Willen des alten Menschen manipu­la­tiv zu beugen und ihm hinter­lis­tig eine Unter­schrift zu entlo­cken, deren Auswir­kun­gen er kaum überschauen kann und die vielleicht gerade nicht seinem Willen entspre­chen.

Zur Rolle des Pflege­per­so­nals

Rechts­de­pe­sche: Sehen Sie denn auch das Perso­nal in den statio­nä­ren Pflege­ein­rich­tun­gen zur Obhut über die Vermö­gen ihrer Bewoh­ner mit Vorsor­ge­voll­macht in der Pflicht?

Winne­beck: Grund­sätz­lich sind die Beschäf­tig­ten in den Pflege­ein­rich­tun­gen natür­lich nicht zustän­dig für die Verwal­tung des Vermö­gens ihrer Bewoh­ner. Aber: wenn in den Pflege­ein­rich­tun­gen die typischen Elemente des Vollmacht­miss­brauchs angewandt und durch­ge­setzt werden, dann wird es kritisch. Wir erleben regel­mä­ßig, dass Angehö­rige in Pflege­ein­rich­tun­gen der Besuch der verwand­ten Bewoh­ner unter­sagt wird.

Meist unter faden­schei­ni­gen Ausre­den. Und hier muss unmiss­ver­ständ­lich gesagt werden, dass sich die Pflegen­den nicht zum Handlan­ger derje­ni­gen machen dürfen, die unbedingt abschot­ten wollen. Es ist wichtig, dass in den Heimen ein Klima der Offen­heit herrscht. Und wenn wir über Vollmacht­miss­brauch sprechen, müssen wir uns vor Augen halten, dass dieje­ni­gen, die einen alten Menschen unter der Maßgabe von Besuchs­ver­bo­ten und gegen seinen Willen in ein Heim gebracht haben, oftmals nicht an dessen Wohl inter­es­siert sind.

Manche Pflege­ein­rich­tun­gen gehor­chen allzu bereit­wil­lig den Weisun­gen, denn so haben sie freie Hand im Umgang mit dem Bewoh­ner. Der Täter ist ohnehin nicht am Schick­sal inter­es­siert. Auch das ist nicht erlaubt und wird dennoch so prakti­ziert. Ich kenne einen Fall indem es ausge­reicht hat, dass der Sohn behaup­tet hat, seine Schwes­ter sei nicht bevoll­mäch­tigt und mit dieser Vorspie­ge­lung ein Besuchs­ver­bot gegen sie durch­ge­setzt hat. Erst nach dem Tod erfuhr die Tochter, dass die Mutter ihre Vollmacht nie wider­rief und immer auf ihre Hilfe gewar­tet hat. Das Gericht sah auch hier keinen Grund einzu­schrei­ten. Das ist eine Tragö­die.

Was Angehö­rige tun können

Rechts­de­pe­sche: Können Sie Tipps zum Abfas­sen einer rechts­si­che­ren Vorsor­ge­voll­macht geben?

Winne­beck: Ja. Das große Einfalls­tor ist immer die Abschot­tung. Aus meiner Sicht kann dem wirksam begeg­net werden, wenn zwei Bevoll­mäch­tigte einsetzt werden, die sich gegen­sei­tig kontrol­lie­ren müssen. Werden die Abschot­tungs­mög­lich­kei­ten aufge­bro­chen und dadurch die Sachver­halte trans­pa­rent, wirkt dies als Abschre­ckung. Es ebnet den Gang zum Betreu­ungs­ge­richt und die Ahndung straf­recht­lich relevan­ter Missbräu­che werden leich­ter.

Je präzi­ser und belast­ba­rer die Beschrei­bung der Verfeh­lun­gen ausfällt, desto höher sind die Erfolgs­aus­sich­ten bei der Justiz. Die gegen­sei­tige Kontrolle der Vorsor­ge­be­voll­mäch­tig­ten trägt auch zur Vermei­dung von unrecht­mä­ßi­gen Vermö­gens­ver­schie­bun­gen bei. Müssen im Innen­ver­hält­nis Ausga­ben und Verfü­gun­gen abgespro­chen werden, kann nicht einer allein das Vermö­gen verschleu­dern. Er würde sich straf­bar machen.

Der Bundes­ge­richts­hof hat in diesem Jahr entschie­den, dass bei dem Verstoß gegen eine solche Absprach­e­pflicht die Vollmacht entzo­gen werden kann. Leider haben wir aber auch hier Betreu­ungs­rich­ter erlebt, die es schlicht­weg ignorie­ren, wenn ein Bevoll­mäch­tig­ter sämtli­che Entschei­dun­gen im Allein­gang trifft und den Mitbe­voll­mäch­tig­ten ausschließt. Damit haben sich dann neben dem Bevoll­mäch­tig­ten auch noch die Richter über den Willen des Betrof­fe­nen hinweg­ge­setzt. Das vom Betrof­fe­nen sicher aus gutem Grund gewollte Vier-Augen-Prinzip zur Absiche­rung gegen Missbrauch der Vollmacht wird damit ausge­he­belt statt durch­ge­setzt. Dann hat das Gericht den Bock zum Gärtner werden lassen und genau die Situa­tion geschaf­fen, die der Betrof­fene vermei­den wollte. Der Wille des Vulner­ablen ist eben nur so viel wert, wie der Richter willens ist, ihm zur Wirkung zu verhel­fen.

Rechts­de­pe­sche: Das Unrecht der Betrof­fe­nen wiegt schwer. Wie reagie­ren die Missbrauchs­op­fer?

Winne­beck: Am Ende gibt es mehrere Opfer und Geschä­digte. Für die Betrof­fe­nen selbst ist das natür­lich ein Desas­ter. Oft wird ihr gesam­tes Lebens­werk und ihr Lebens­ent­wurf unwie­der­bring­lich zerstört. Viele haben für einen angeneh­men Lebens­abend oder Ruhestand vorge­sorgt, der sich nach den Vermö­gens­ver­schie­bun­gen ganz anders darstel­len kann. In nahezu allen Fällen gab es zwischen den Bevoll­mäch­tig­ten und Vollmacht­ge­bern eine vertrau­ens­volle Vorbe­zie­hung.

Die Erkennt­nis, dass dieses Vertrauen zutiefst erschüt­tert ist, fällt vielen alten Menschen schwer und stürzt sie in tiefe Krisen, aus denen sie sich nicht mehr befreien können. Entwe­der werden sie zum hilflo­sen Pflege­fall oder verar­men. Einsprin­gen müssen die gleich mit betro­ge­nen Kindern, die das fehlende Geld für die Sorge aufbrin­gen müssen und am Ende die Sozial­kas­sen. Das ganze Thema hat insoweit auch eine gewich­tige volks­wirt­schaft­li­che Kompo­nente, wenn Menschen ohne Not und gegen ihren Willen in Heime gebracht werden, die dann aus Mitteln der Sozial­kas­sen finan­ziert werden müssen.

Und dann sind da die Angehö­ri­gen, die unsäg­lich darun­ter leiden, dass sie auf einmal durch die Abschot­tung ihre Liebs­ten – meist sind es die Eltern, Großel­tern, die Tante oder der Onkel – nicht mehr errei­chen können. Sie ahnen, dass sie in eine Falle geraten sind. Fast immer werden sie von den Tätern mit Diffa­mie­run­gen überzo­gen. Sie veraus­ga­ben sich mental und finan­zi­ell durch schier unend­li­che Gerichts­ver­fah­ren, um ihre Angehö­ri­gen aus einer solchen Falle zu holen und schei­tern an der „Akten­lage“.

Vom Gericht werden sie oft erst gar nicht betei­ligt, zumal wenn sie keine Vollmacht mehr besit­zen. Dabei sehen die Verfah­rens­vor­schrif­ten Verfah­ren in Famili­en­sa­chen und in den Angele­gen­hei­ten der freiwil­li­gen Gerichts­bar­keit diese auf Antrag ausdrück­lich vor. Das muss man sich einmal vorstel­len! Wir kennen einige Fälle, in denen die Gerichte es immer wieder abgelehnt haben einzu­schrei­ten. Irgend­wann haben die Kinder dann durch Dritte erfah­ren, dass ihre Eltern verstor­ben, einge­äschert und irgendwo begra­ben sind und dass sie selbst­ver­ständ­lich enterbt wurden. Weitere Infor­ma­tio­nen hat der Bevoll­mäch­tigte unter­sagt. Die Kinder müssen dann damit klarkom­men, nie zu erfah­ren, ob ihre Eltern nicht einem Gewalt­ver­bre­chen zum Opfer gefal­len sind. Oft zerbre­chen sie daran.

„Die Fälle müssen von Politik und Justiz ernst­ge­nom­men werden“

Rechts­de­pe­sche: Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Winne­beck: Wir von der Initia­tive gegen Vollmacht­miss­brauch wünschen uns, dass die Fälle von der Politik und der Justiz ernst genom­men werden. Die Schäden für die Betei­lig­ten und auch für die Allge­mein­heit sind enorm. Es handelt sich auch keines­falls um Einzel­fälle, nur weil so wenige Fälle aufge­klärt werden. Wir sehen, dass im Ausland der Manipu­la­tion und der Ausnut­zung von Vulner­ablen recht­zei­tig der Riegel durch die Andro­hung schar­fer straf­recht­li­cher Konse­quen­zen vorge­scho­ben wird.

In Frank­reich ist beispiels­weise mit dem Artikel „abus de faiblesse“ die Ausnut­zung von Schwä­che, insbe­son­dere bei schutz­be­dürf­ti­gen Menschen unter strenge Strafen gestellt. „Undue influence“ und „Explo­ita­tion and elder abuse“ sind ähnli­che Konstrukte im ameri­ka­ni­schen Recht, die auf die Verhin­de­rung einer unange­mes­se­nen Beein­flus­sung zur finan­zi­el­len Ausbeu­tung älterer und vulnerabler Menschen abzie­len.

In vielen Ländern wird schon weit vor der Geschäfts­un­fä­hig­keit geschaut, auf welche Art und Weise jemand einen alten Menschen entwe­der in Abhän­gig­keit bringt oder dessen Schwä­che ausnutzt. Das würde ich mir für Deutsch­land auch wünschen.

Natür­lich ist in Deutsch­land auch die Justiz gefor­dert, denn sehr oft könnte dem Vollmacht­miss­brauch durch recht­zei­ti­ges Eingrei­fen jegli­cher Boden entzo­gen werden. Leider dauern die Verfah­ren in Deutsch­land viel zu lange, so dass das Opfer eine Entschei­dung meist nicht mehr erleben und bis dahin nicht nur der finan­zi­el­len Ausbeu­tung, sondern auch körper­li­cher und seeli­scher Gewalt ungeschützt ausge­setzt ist. Mit dem Tod wird die Akte geschlos­sen. Das ist natür­lich nicht Sinn und Zweck des Betreu­ungs­rechts.

Im Betreu­ungs­recht gilt die Amtser­mitt­lungs­pflicht. Der viel zitier­ten richter­li­chen Unabhän­gig­keit sind hier vom Gesetz­ge­ber Grenzen gesetzt worden. Der Betrof­fene hat einen Justiz­ge­wäh­rungs­an­spruch, der sich aus dem Grund­ge­setz und der europäi­schen Menschen­rechts­kon­ven­tion ablei­tet, wenn das Gericht rechts­für­sor­gend tätig wird. Das heißt, dass Gericht hat in betreu­ungs­recht­li­chen Fällen eigen­stän­dig zu ermit­teln und dafür Sorge zu tragen, dass dem Willen des Betrof­fe­nen durch eine umfas­sende Sachver­halts­fest­stel­lung und entspre­chende Entschei­dung Rechnung getra­gen wird.

Dennoch bürden die Gerichte immer wieder den Angehö­ri­gen eine Beweis­last auf, die sie kaum erfül­len können, wenn sie selbst vom Betreu­ten fern gehal­ten werden sind oder sie gar vom Verfah­ren ausge­schlos­sen sind. Wir wünschen uns die Einfüh­rung von echten Eilver­fah­ren und echte Amtser­mitt­lun­gen in diesen Fällen, damit der Schutz der Senio­ren keine leere Geset­zes­hülle ist.

Rechts­de­pe­sche: Ich denke, dass wir ein wichti­ges Schlag­licht in eine dunkle Ecke des Rechts gewor­fen haben. Sehr geehrte Frau Winne­beck, herzli­chen Dank für die klaren und wichti­gen Worte.

Zur Person: Hilde­gard Winne­beck hat in Trier, Regens­burg und Montreal studiert. Das Rechts­wis­sen­schafts­stu­dium hat sie mit dem zweiten Staats­examen in München abgeschlos­sen und ist als Rechts­an­wäl­tin zugelas­sen. Nach Statio­nen in Mexiko und Kanada ist sie seit vielen Jahren im inter­na­tio­na­len Finanz­ge­schäft in verschie­de­nen Positio­nen zu Hause.