In dem bis vor den XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ausgetragenen Rechtsstreit ging es um eine Rechtsbeschwerde in einem betreuungsrechtlichen Fall. Geklagt hat eine Frau, die im September 2015 vom Betroffenen, der unter anderem an einer kognitiven Störung im Rahmen einer vaskulären Enzephalopathie leidet, eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erhielt.
Knapp zweieinhalb Jahre später, Anfang 2018, widerrief der Betroffene jedoch diese Vollmacht wieder. Kurz darauf erteilte er seinem Sohn eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.
Bevollmächtigte wollte ihre Absetzung nicht hinnehmen
Die nun entbundene Frau ging rechtlich gegen ihre Absetzung und die Ernennung des Sohnes vor. Im März 2018 landete das Verfahren vor dem zuständigen Amtsgericht Bremen-Blumenthal. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung und der persönlichen Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht zunächst einen Berufsbetreuer bestellt. Gegen diese Entscheidung haben der Betroffene mit dem Ziel, die Betreuung wieder aufzuheben, und die Frau mit dem Ziel, wieder selbst zur Betreuerin bestellt zu werden, Beschwerde beim Landgericht Bremen eingelegt.
Das anschließenden Verfahren vor dem Landgericht führte zur ersatzlosen Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung: Die im Jahre 2018 erfolgte Übertragung der Vollmacht auf den Sohn sei weiterhin wirksam. Denn es könne nicht ausreichend sicher festgestellt werden, dass dessen Vater zu diesem Zeitpunkt nicht mehr geschäftsfähig war.
Keine partielle Geschäftsfähigkeit
Zwar war die vom Amtsgericht beauftragte und vom Landgericht ergänzend befragte Sachverständige davon ausgegangen, dass der Mann im März 2018 keine wirksamen Vollmachten mehr habe erteilen können: Denn aufgrund seiner Einschränkungen sei dieser nicht mehr in der Lage gewesen, die weitreichenden Folgen einer Generalvollmacht zu überblicken. Gleichwohl hielt sie den Betroffenen für weniger komplexe Geschäfte durchaus für geschäftsfähig.
Das Landgericht stellte jdoch fest, dass eine solche „partielle Geschäftsfähigkeit“, die nach dem Schwierigkeitsgrad des Geschäfts differenziere, für den Begriff der Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nummer 2 BGB nicht anerkannt sei. Im konkreten Fall käme hinzu, dass auch die Aussagen der vom Gericht vernommenen Notare sowie der Ärztin des Betroffenen gegen eine Geschäftsunfähigkeit zu jenem Zeitpunkt sprächen, so das Gericht.
Freiheit der Willenserklärung ist entscheidend
Entscheidend sei, so das Landgericht, ob der Wille zum Zeitpunkt der Erklärung frei und unbeeinflusst durch Dritte gebildet werden kann. „Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit sind nicht primär die Fähigkeiten des Verstands des Betroffenen ausschlaggebend, sondern die Freiheit des Willensentschlusses.“
Dieser Sichtweise hat sich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen. Die obersten Zivilrichter hatte nun in der von der Frau gegen die Entscheidung des Landgerichts angestrengte Rechtsbeschwerde zu entscheiden. Die Bundesrichter beanstandeten die Entscheidung der Vorinstanz jedoch nicht und wiesen deshalb die Beschwerde zurück (Az.: XII ZB 106/20).
Zugleich stellten der Bundesgerichtshof noch einmal klar, dass die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nummer 2 BGB kein medizinischer Befund ist, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat. Auch die hier für die Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen maßgebliche Frage, ob eine Person allgemein für alle schwierigen Geschäfte geschäftsunfähig, für alle einfacheren Geschäfte dagegen geschäftsfähig sein kann, ist eine rechtliche.
Quelle: BGH