Der Handynacken: Eine neue Volkskrankheit?
Wer durch Deutschlands Fußgängerzonen geht, sieht viele hängende Köpfe. Diese Menschen sind nicht etwa alle traurig – Nein, sie schauen auf ihr Handy! In den letzten Jahren ist die Handynutzung in Deutschland und der Welt rapide angestiegen. Rund 3,7 Stunden verbringt der durchschnittliche Handynutzer vor dem kleinen Bildschirm und muss so die meiste Zeit nach unten gucken.
In einer Studie aus dem Jahr 2015 hat der Amerikaner und Wirbelsäulenchirurg Kenneth Hansraj berechnet, dass die Menschen so pro Jahr 700 bis 1400 Stunden zusätzliche Belastung auf ihren Nacken und die Wirbelsäule ausüben. Bei jungen Menschen könnte das sogar noch schlimmer sein: Hansraj spricht von 5000 Stunden in geneigter Position, die man im Extremfall bei Teenagern draufrechnen könne.
Das Phänomen, das dabei auftritt, hat international die Bezeichnung „Text Neck“ bekommen – zu deutsch: Handynacken. Was stellenweise auch „Text Neck Syndrome“ genannt wird, ist durch alle Altersgruppen hinweg zum Problem geworden und betrifft mittlerweile auch viele Kinder. Fünf bis sieben Stunden sollen Kinder und junge Heranwachsende am Tag auf ihr Handy oder vergleichbare Geräte starren. Es wird geschätzt, dass 75 Prozent der weltweiten Bevölkerung den Kopf mehrere Stunden am Tag über ein mobiles Endgerät neigt.
Der stellvertretende Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirugrie, Prof. Dr. Bernd Kladny, erklärte gegenüber der Rechtsdepesche, dass das Phänomen in den vergangenen Jahren immer häufiger auftritt. „Wir können erkennen, dass es eine leichte Zunahme in den vergangenen Jahren an Beschwerden gab, die in Verbindung mit dem Handynacken stehen. Das ist unter anderem auch auf die verschärfte Home-Office-Situation während der Coronapandemie zurückzuführen“, so Kladny. Woher genau die Beschwerden letztlich kommen, sei allerdings nicht genau festzustellen. Die Diagnose „Handynacken“ gebe es so nämlich nicht, und sei deshalb auch nicht statistisch aufgeführt. Medizinisch werde meist ein Halswirbelsäulen-Syndrom (HWS-Syndrom) diagnostiziert.
Handynacken: Die Folgen
Wer den Kopf hängen lässt, kann zwar besser auf das Handy gucken, fügt dem Körper aber unter Umständen massiven Schaden zu. Nackenschmerzen sind dabei das kleinste Übel. Die Position kann Muskelverspannungen, Nacken- und Schulterschmerzen auslösen. Im schlimmsten Fall kann das zu einem Bandscheibenvorfall führen. Ein Wärmekissen, um die Muskeln zu entspannen, reicht dann nicht mehr aus. Es werden Operationen notwendig.
Das Phänomen ist dabei gar nicht so neu, wie man denkt. Eine zusätzliche Belastung auf Nacken und Wirbelsäule ist auch bei der Nutzung von Computern möglich. Die Folgen sind dieselben. Durch das Smartphone hat die Problematik aber eine neue Dimension erfahren; die Zeit in krummer Körperhaltung vor dem Bildschirm ist mittlerweile nicht mehr nur auf die Arbeitszeit im Büro beschränkt.
Handynacken: Das Krankheitsbild
Beim Handynacken handelt es sich also um eine Beschwerde im Bereich der Halswirbelsäule. Medizinisch kann der Begriff Handynacken noch nicht eindeutig zugeordnet werden. Es könnten aber mehrere Komplikationen in Verbindung mit dem Handynacken stehen. Sie können die Augen, das Herz, die Lunge und den Kopf betreffen. Zu den am häufigsten auftretenden Problemen zählen aber Schmerzen im Bewegungsapparat, die durch die Überbelastung des Nackens und Rückens auftreten.
Wie entsteht der Handynacken?
Je tiefer der Kopf hängt, desto höher ist der Druck auf die Halswirbelsäule und den Rücken. Je weiter der Kopf Richtung Brustkorb geneigt ist, desto stärker zieht er an Halswirbelsäule, Nackenmuskeln und Sehnen. Der menschliche Kopf wiegt im Durchschnitt sechs Kilogramm. Beim „Geierhals“ (Kopf und Nacken im 45-Grad-Winkel geneigt – typisch für Handynutzer) wirken bis zu 25 Kilo auf den Nacken und Rücken. Aber schon bei einer Neigung des Kopfes im 15-Grad-Winkel ist die Belastung doppelt so groß wie in neutraler Haltung. Im Extremfall kann sich der Kopf sogar um 60 Grad neigen. Die Hebelwirkung kann in solchen Fällen zu bis zu 30 Kilo zusätzlicher Last auf den Nacken führen. Die Halswirbelsäule muss hier entgegenwirken. Muskeln, Bänder und Gelenkkapseln werden dadurch angespannt, die Gelenke zwischen den Wirbelkörpern geraten unter Druck. Die Winkel der Wirbel zueinander können sich so ändern.
Entscheidend ist nicht nur, wie stark die Neigung des Kopfes ist, sondern auch, wie häufig er geneigt wird. Steigt so die Intensität der Belastung (ergibt sich daraus, wie oft, wie schwer und wie lange der Nacken belastet wird), kann die dadurch auftretende Muskelspannung unter Umständen dazu führen, dass der betroffene Bereich im Nacken nicht ausreichend mit Blut versorgt wird. Die Auswirkungen sind hierbei additiv und können so gleich mehrere Bereiche beeinflussen: Die Halswirbelsäule an sich, ihre Krümmung, die stützenden Bänder, die Sehnen, die Muskulatur und die knöchernen Segmente verändern sich. Dadurch entstehen in der Regel Haltungsschäden und Schmerzen im Nacken und den angrenzenden Bereichen. All das kann eine Vielzahl von Auswirkungen haben.
Symptome und Beschwerden
Gefährlich ist das vor allem, weil die Probleme erst über einen längeren Zeitraum auftreten und in frühen Stadien als „nicht so gravierend“ von Betroffenen eingeschätzt werden. Dabei können gerade mit steigendem Alter sehr schwere Folgen entstehen, die mitunter operative Eingriffe nötig machen. Laut einer aktuellen Studie zum Handynacken bei Kindern und Heranwachsenden werden vor allem folgende Bereiche vom Handynacken beeinflusst:
Schmerzen der Skelettmuskulatur
Schmerzen im Bewegungsapparat vor allem der Skelettmuskulatur zählen zu den häufigsten Beschwerden in Verbindung mit dem Handynacken. Die Schmerzen können dabei im Nacken, den Schultern, dem unteren und oberen Rücken und den Armen auftreten. Wo genau die Schmerzen entstehen, kann sehr unterschiedlich sein. Prinzipiell kann jede Struktur des Nackens, wie etwa die Bandscheiben, Bänder, Muskeln, Facettengelenke und Nervenwurzeln Auslöser für Schmerzen sein. In vielen Fällen kann aber keine systematische Krankheit festgestellt werden.
Betroffene haben meist einen steifen Nacken bzw. Verspannungen im Rücken und Schmerzen im Bereich der Schultern. Die Schmerzen können in Richtung Arme und oberer Rücken strahlen. Dadurch können häufig auch Kopfschmerzen entstehen, wobei die Symptome akut oder chronisch sein können. Durch die bereits angesprochene schlechte Blutversorgung der Muskulatur kann es mitunter auch zu Muskelentzündung und ‑verhärtung kommen. Das führt wiederum zu krampfartigen und stechenden Schmerzen. Schmerzen wiederum führen zu Schonhaltungen, wodurch sich der Rücken des Betroffenen noch stärker krümmt. Der Oberkörper sackt zusammen, was zu zusätzliche Muskelverspannung führen kann. Alle genannten Formen von Schmerzen in Verbindung mit dem Handynacken können akut oder chronisch auftreten.
Langzeitfolgen
Je länger und öfter Handynutzer in Fehlhaltung verharren, desto schwerer können die Folgen sein. In gekrümmter Körperhaltung fallen die Schultern nach vorne, die Halsmuskeln überdehnen und die Brustmuskeln verkürzen sich. Die Wirbelsäule wird dadurch stark belastet. Über Jahre hinweg können so chronische Nacken- und Kopfschmerzen entstehen. Im Extremfall ist es sogar möglich, dass die Bandscheiben frühzeitig verschleißen und es zu einem Bandscheibenvorfall kommt.
Neuere Studien legen darüber hinaus nahe, dass nach vorne gerichtete Körperhaltungen wie beim Handynacken in Verbindung mit einer Hyperkyphose stehen, die mit Herz-Kreislauf-Problemen und Lungenerkrankungen einhergeht. Wer also seinen Kopf senkt und die Schulter nach vorne fallen lässt, schränkt die Muskeln im Brustkorb und ihre Bewegung ein, was es schwerer macht, tief durchzuatmen. Das könnte die Lungenkapazität reduzieren.
In neueren Publikationen zum Handynacken wird außerdem vom sogenannten Handyhorn berichtet. Knapp die Hälfte aller Probanden einer australischen Studie, die sich mit der Handynutzung befasste, wuchsen circa drei Zentimeter große Hörner am unteren Schädel. Diese Veränderungen am Kopfknochen treten deshalb auf, weil im Gegensatz zur Computernutzung das Handy häufig im Gehen oder Stehen verwendet wird.
Damit einher geht ein ständiger Wechsel von Kopfsenkung und Aufrichtung. Durch diesen ständigen Wechsel sorgt der Zug der Sehne auf die Knochenhaut für eine Kalzifizierung. Doch keine Sorge: Die Hörner sind ungefährlich. Dennoch muss beachtet werden, je weiter die Verknöcherungen wachsen, desto kürzer wird der Anteil der elastischen Halsmuskulatur. So können Einschränkungen in der Kopfbeweglichkeit entstehen.
Begleiterkrankungen
In Verbindung mit dem Handynacken und einem übermäßigen Gebrauch des Handys und vergleichbaren Geräten treten außer den oben genannten Problemen weitere Begleiterkrankungen auf. So können beispielsweise die Augen bei Überbelastung trocken werden. Ein Zusammenhang konnte auch zwischen intensiver Handynutzung und Kurzsichtigkeit festgestellt werden, da über einen längeren Zeitraum auf ein sehr nahes Objekt gestarrt wird. Eine weitere Begleiterkrankung kann Übergewicht sein. Wer zu viel auf das Handy guckt, neigt zu Übergewicht, da übermäßige Handynutzung einhergeht mit mangelnder körperlicher Akitivät. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, übergewichtig zu werden.
Wer sollte zum Arzt?
Die Frage, wer wann wegen eines Handynackens zum Arzt gehen sollte, ist eng verbunden mit der Fragen, wann werden akute Schmerzen chronisch? Wer über verspannte Muskeln klagt, muss noch nicht zum Arzt. In der Regel reicht zunächst ein Wärmekissen und Entspannung. Dann sollten die Symptome aber auch nach zwei bis drei Tagen, maximal drei Wochen weg sein. Nichtsdestotrotz kann es passieren, dass bei falscher Belastung die Beschwerden auch schnell wieder zurückkommen können. Geht der Schmerz nicht nach kurzer Zeit weg, sondern bleibt für mehrere Monate, wird von chronischen Schmerzen gesprochen. Strahlen die Schmerzen zum Beispiel in die Arme aus (eventuell treten Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen auf), sollte der Betroffene zum Arzt gehen.
Therapie bei Handynacken
Die Behandlung eines Handynackens ist genauso vielseitig, wie die potenziellen Folgen. Wer also über Beschwerden klagt, hat die Möglichkeit sich in den verschiedensten Bereichen helfen zu lassen.
Physio- und Manuelle Therapie
Bei der manuellen Therapie wird der Bewegungsapparat händisch nach Funktionsstörungen untersucht. Händisch bedeutet, dass Befund und Behandlung mit Hilfe bestimmter Handgriffe und Techniken der Mobilisierung gemacht werden. So sollen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen beseitigt werden, damit Gelenke, Muskeln und Nerven wieder richtig zusammenarbeiten können. Die manuelle Therapie darf nur von speziell dafür weitergebildeten Physiotherapeuten durchgeführt werden. Wurde die Behandlung vom Hausarzt verschrieben, übernimmt in der Regel die Krankenkasse die Kosten.
Bei der Physiotherapie kommen darüber hinaus gezielte Übungen, die Muskeln stärken zum Einsatz. Auch Massagen in Verbindung mit einer physikalischen Untersuchung sind denkbar. Hierbei massiert der Therapeut den betroffenen Bereich und nutzt zusätzlich Wärmeeinwirkung, um Verspannungen und Wirbelblockaden zu lösen.
Parietale Osteopathie
Die parietale Osteopathie hat Ähnlichkeiten zur manuellen Therapie. Die Osteopathie zählt zur Alternativmedizin und betrachtet alle Strukturen des Körpers, nicht nur die Knochen und Muskeln. Der Osteopath untersucht also zum Beispiel, ob ein Organ genügend Platz zum Nachbarorgan oder ‑muskel hat, in welcher Position dazu sich der Knochen befindet und was die Bindegewebshöhlen machen. Wenn alles frei und beweglich ist, geht der Osteopath davon aus, dass auch Schmerzen und andere Probleme des Körpers verschwinden. Die Osteopathie geht also von einem ganzheitlichen Ansatz aus: Werden blockierte Bereiche im Körper gelöst, stellt sich ein Gleichgewicht im Körper ein. Der Beruf des Osteopathen ist allerdings nicht staatlich geregelt. Personen, die überlegen, sich von einem Osteopathen behandeln zu lassen, sollten also auf eine abgeschlossene Ausbildung des Behandelnden achten.
Krankengymnastik
In der Krankengymnastik soll der Patient selbst aktiv werden und Übungen nutzen, um die Beschwerden zu beseitigen. Die Übungen können freie Körperübungen oder Übungen an Geräten sein. Ziel ist es, die Beweglichkeit zu fördern und die Muskeln zu stärken. Durch Krankengymnastik lassen sich zudem Schonhaltungen beheben, die aufgrund starker Schmerzen eingenommen werden. Der große Vorteil der Übungen der Krankengymnastik ist, dass einige auch von zu Hause aus durchgeführt werden können. So kann nicht nur gezielter gegen Beschwerden vorgegangen werden, es ergibt sich auch ein präventiver Aspekt der Übungen.
Medikation
Bei der Behandlung von Beschwerden in Verbindung mit dem Handynacken kommen auch Medikamente zum Einsatz. Sollten Schmerzen durch die genannten Behandlungen nicht gelindert werden, verschreibt der Arzt in der Regel Schmerzmittel. Das können Medikamente zur Entzündungshemmung oder Schmerzlinderung sein, die letztlich dafür sorgen sollen, dass der Patient Kopf und Nacken wieder uneingeschränkt bewegen kann. Bei starken Schmerzen können auch Medikamente zur Muskelentspannung verschrieben werden.
Handynacken: Tipps zur Vorbeugung
Vorbeugung ist das Wichtigste beim Handynacken. Wer ihn ein Mal hat, wird ihn schwer wieder los. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie hat Empfehlungen herausgegeben, um den Handynacken vorzubeugen:
- Bei der Handynutzung regelmäßige Pausen einlegen und hierbei auch Lockerungsübungen machen.
- Mobile Geräte näher vor das Gesicht bringen und lieber Augen als Kopf senken. Darüber hinaus sollte man das Handy lieber hoch halten, anstatt den Kopf zu senken.
- Auf korrekte Sitzposition am Schreibtisch achten. Also Schulter gerade halten, Füße auf dem Boden nebeneinander stellen und den Bildschirm so positionieren, dass der Kopf nicht zu sehr geneigt wird.
- Mindestens ein bis zweimal die Woche Sport treiben, um die Muskeln zu stärken: Ideal sind Schwimmen, Pilates, Walking und Yoga.
- Übungen zum Beispiel Rückengymnastik in den täglichen Tagesaublauf einbringen.
- Aktivität im Alltag fördern. Auch die kleinen Dinge können auf Dauer die Rückenmuskulatur stärken.
- Falsche Bewegung vermeiden, vor allem beim Heben von schweren Gegenständen.