In dem Interview erklärte Gassen, dass durch die Teil-Impfpflicht nicht der Wunsch erfüllt werde, die Patienten besser zu schützen. Eher schaffe man dadurch vielleicht sogar ein Versorgungsproblem. Zwar gebe es bei den niedergelassenen Ärzten eine sehr hohe Impfquote von rund 93 Prozent. Dennoch befürchte rund ein Drittel der Arztpraxen, dass es aufgrund der Teil-Impfpflicht zu Versorgungsengpässen kommen könnte. Das habe eine Umfrage ergeben.
Arztpraxen fürchten Versorgungseinschränkungen
Hierbei handelt es sich um eine Blitzumfrage des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (Zi). Ein Drittel der befragten Arztpraxen gab demnach an, dass Störungen im Praxisalltag oder gar Versorgungseinschränkungen für die Patient*innen zu erwarten seien. Mit starken Einschränkungen ist somit wie folgt zu rechnen:
- Hausärztlicher Bereich: 17 Prozent der Praxen erwarten starke Einschränkungen
- Fachärztlicher Bereich: 25 Prozent der Praxen erwarten starke Einschränkungen
- Psychotherapeutischer Bereich: 28 Prozent der Praxen erwarten starke Einschränkungen
„Ich kenne eine Praxis, in der der Arzt und vier seiner Mitarbeiterinnen nicht geimpft sind. Diese Praxis ging ab dem 15. März zunächst komplett vom Netz“, sagte der KBV-Chef. Für die Patienten gebe es dann logischerweise keine Versorgung mehr, weil es keine Reserven mehr an Personal gebe, die einspringen könnten. „Dieses Problem wird dann auch in Pflegeheimen und Krankenhäusern spürbar werden, die Personaldecke ist schon jetzt auf Kante genährt“.
Wie viele Praxen ein ähnliches Problem haben, konnte die KBV auf Nachfrage der Rechtsdepesche nicht beantworten. Beschwerden oder Anfragen gebe es nicht. Man verwies auf die Blitzumfrage des „Zi“, die sich ausführliche mit dem Thema befasst habe.
„Argument für Impfpflicht ist nicht mehr gegeben“
Generell sieht Gassen indes auch keine Begründung mehr für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht: „Das wohl entscheidende Argument für diese Impfpflicht ist mit der Omikron-Variante nicht mehr wirklich gegeben. Die Impfung schützt zwar vor schwerem Verlauf und vor Tod, aber nicht vor Infektion und einer Weitergabe des Virus“, erklärte Gassen.
Bei der Impfung gehe es eher um einen Individualschutz als um einen Kollektivschutz. Er betonte aber auch, dass eine Impfung für Beschäftigte im medizinischen Bereich sinnvoll sei. Dennoch stamme die Auffassung, dass sich medizinisches Personal impfen lassen müsse, um die Patienten nicht anzustecken, aus einer Zeit bevor Omikron dominant war.
Ist eine Viertimpfung sinnvoll?
Zur Wirksamkeit einer Viertimpfung äußerte Gassen sich zurückhaltend. Die Empfehlungen der Stiko zur vierten Impfung bei über 70-Jährigen basiere noch auf relativ wenigen Daten. Es stelle sich die Frage, wie wirksam eine Impfung ist, die alle drei Monate wiederholt werden müsse: „Wenn immer wieder erneute Booster-Impfungen empfohlen werden, kann das auch zum Vertrauensverlust in die gesamte Impfkampagne führen“, sagte Gassen.
Quellen: Welt, RND