Versorgungsbrüche
Versor­gungs­brü­che müssen unbedingt vermie­den werden Bild: Philip Schmitz

Die Verband­mit­tel­de­fi­ni­tion

Es ist die Aufgabe des Gemein­sa­men Bundes­aus­schus­ses (G‑BA) als exeku­ti­ves Spitzen­or­gan der Selbst­ver­wal­tung die Inhalte der Verband­mit­tel­de­fi­ni­tion gemäß § 31 Absatz 1a SGB V in der Arznei­mit­tel-Richt­li­nie (AM-RL) zu konkre­ti­sie­ren.

„Verband­mit­tel sind Gegen­stände einschließ­lich Fixier­ma­te­rial, deren Haupt­wir­kung darin besteht, oberflä­chen­ge­schä­digte Körper­teile zu bedecken, Körper­flüs­sig­kei­ten von oberflä­chen­ge­schä­dig­ten Körper­tei­len aufzu­sau­gen oder beides zu erfül­len. Die Eigen­schaft als Verband­mit­tel entfällt nicht, wenn ein Gegen­stand ergän­zend weitere Wirkun­gen entfal­tet, die ohne pharma­ko­lo­gi­sche, immuno­lo­gi­sche oder metabo­li­sche Wirkungs­weise im mensch­li­chen Körper der Wundhei­lung dienen, beispiels­weise, indem er eine Wunde feucht hält, reinigt, geruchs­bin­dend, antimi­kro­biell oder metall­be­schich­tet ist.“

Nach der Abgren­zungs-Syste­ma­tik sollen die Kosten für physi­ka­lisch wirkende Verband­mit­tel der AM-RL (Anlage Va, Teil 1, (einein­deu­tige) Verband­mit­tel) weiter­hin unver­än­dert im Rahmen der gesetz­li­chen Vorschrif­ten von den Kosten­trä­gern übernom­men werden.

Das heißt, dass die Patien­ten weiter­hin Verband­mit­tel beanspru­chen können, deren Haupt­wir­kung darauf abzielt die Wunde abzude­cken und das Wundex­su­dat aufzu­sau­gen.

Ferner fallen jene Verband­mit­tel in die Kosten­über­nahme gemäß AM-RL (Anlage Va, Teil 2), die darüber hinaus gegen über dem „klassi­schen“ Verband­mit­tel auch noch ergän­zende Eigen­schaf­ten aufwei­sen, wie beispiels­weise reini­gende oder feucht haltende Produkte, Produkte mit antiad­hä­si­ven Eigen­schaf­ten, reini­gende oder geruchs­bin­dende Produkte sowie reini­gende oder Wundex­su­dat-bindende Produkte.

Ein weite­res Beispiel für Verband­mit­tel mit ergän­zen­den Eigen­schaf­ten sind antimi­kro­biell wirkende Wundauf­la­gen, sofern kein direk­ter Wundkon­takt besteht oder die antimi­kro­biell wirkende Kompo­nente nicht in die Wunde abgege­ben wird.

Die präzise Katego­ri­sie­rung von Verband­mit­teln durch den Gemein­sa­men Bundes­aus­schuss ist ein wesent­li­cher Schritt zur Sicher­stel­lung einer klaren und effek­ti­ven Versor­gung. Durch die Unter­schei­dung zwischen physi­ka­li­schen und nicht-physi­ka­li­schen Verband­mit­teln können Patien­ten die für ihre Wundhei­lungs­pro­zesse notwen­di­gen Produkte erhal­ten.

Nicht physi­ka­lisch wirkende Verband­mit­tel

An dem Beispiel der antimi­kro­biell wirken­den Produkte zeigt sich in beson­de­rem Maße die Proble­ma­tik der Auftei­lung in physi­ka­lisch und nicht physi­ka­li­sche wirkende Verband­mit­tel. Als nicht physi­ka­lisch wirkend werden laut Gemein­sa­mer Bundes­aus­schusss solche Verband­mit­tel bezeich­net, die eine immuno­lo­gi­sche, pharma­ko­lo­gi­sche und metabo­li­sche Wirkung in der Wunde entfal­ten. Diese werden als Produkt­gruppe in der AM-RL (Anlage Va, Teil 3) aufge­führt.

Laien­haft gespro­chen bedeu­tet dies, dass die Verband­mit­tel dieser Anlage mit der Wunde inter­agie­ren und hierdurch eine wundhei­lende Wirkung erzie­len. Nach dem gesetz­ge­be­ri­schen Willen soll genau diese heilende Wirkung durch Studien höchst­mög­li­cher Evidenz von den Produkt­her­stel­lern nachge­wie­sen werden. Zur Führung dieses Wirksam­keits­nach­wei­ses hat der Gemein­same Bundes­aus­schuss ursprüng­lich eine einjäh­rige Übergangs­frist für die betrof­fe­nen Produkte vorge­se­hen.

Während der Corona­pan­de­mie stellte sich jedoch die syste­ma­ti­sche Unter­su­chung der Wirksam­keit mangels ausrei­chen­der Proban­ten­zah­len als proble­ma­tisch dar, so dass die Frist bis zum 2. Dezem­ber 2024 ausge­dehnt worden ist. Es ist davon auszu­ge­hen, dass es sich hierbei nun um die letzt­ma­lige Frist­ver­län­ge­rung handelt. Mithin müssen die Verband­mit­tel-Herstel­ler, die nicht-physi­ka­li­sche Produkte zu ihrem Versor­gungs­pro­gramm zählen, in den nächs­ten Monaten die Wirksam­keit ihrer Produkte gegen­über dem Gemein­sa­men Bundes­aus­schuss darle­gen.

Die Unter­schei­dung zwischen physi­ka­lisch und nicht-physi­ka­lisch wirken­den Verband­mit­teln wirft wichtige Fragen hinsicht­lich der Wirksam­keit und Kosten­er­stat­tung auf. Insbe­son­dere die Heraus­for­de­rung, die Effek­ti­vi­tät von Produk­ten mit immuno­lo­gi­schen, pharma­ko­lo­gi­schen oder metabo­li­schen Wirkun­gen zu belegen, unter­streicht die Notwen­dig­keit evidenz­ba­sier­ter Studien.

Das Studi­en­de­sign in der Wundver­sor­gung

Proble­ma­tisch hierbei wird es sein, wie das Studi­en­de­sign ausse­hen soll und welche Endpunkte in den Studien angestrebt werden. Dominiert die vollum­fäng­li­che Wundhei­lung das Studi­en­de­sign würden rezidive Verläufe gegebe­nen­falls dazu führen, dass der Nachweis der Wirksam­keit nicht geführt werden kann. Insbe­son­dere im Fall chroni­scher Wunden kann nicht immer der Endpunkt „Wundhei­lung“ im Rahmen einer rando­mi­siert kontrol­lier­ten Studie (RCT) erreicht werden, zum Beispiel im Fall nur inter­me­diär angewen­de­ter Wundpro­dukte.

Am jewei­li­gen medizi­ni­schen Thera­pie­ziel orien­tierte Endpunkte könnten für die Festset­zung des Studi­en­end­punk­tes zu einem diffe­ren­zier­ten Gesamt­bild und einem auf die Wundsi­tua­tion angepass­ten Produkt­spek­trum beitra­gen.

Aus diesem Grunde hat der Gemein­same Bundes­aus­schuss, vergleich­bar dem Angebot im Bereich der Arznei­mit­tel-Versor­gung, Beratungs­mög­lich­kei­ten für die Indus­trie einge­führt. Ob dies schluss­end­lich zielfüh­rend sein und zur Verfah­rens­be­schleu­ni­gung beitra­gen wird, bleibt abzuwar­ten.

Die Entwick­lung eines geeig­ne­ten Studi­en­de­signs für die Wirksam­keits­be­wer­tung von Verband­mit­teln ist eine komplexe, aber entschei­dende Aufgabe. Die Fokus­sie­rung auf Endpunkte, die dem medizi­ni­schen Thera­pie­ziel entspre­chen, kann zu einem diffe­ren­zier­ten Verständ­nis der Produkt­wirk­sam­keit führen.

Vermei­dung von Versor­gungs­brü­chen

Das gemein­same Ziel aller Betei­lig­ten sollte es sein, Versor­gungs­brü­che zu vermei­den. Die Diskus­sion um die richti­gen Endpunkte, die ausrei­chende Zeit zur Inanspruch­nahme des Beratungs­rechts sowie das Aufset­zen von Studien darf nicht auf dem Rücken der Patien­ten ausge­tra­gen werden. Evidenz besteht aus mehr als nur aus reinen RCT-Studien. Auch gut dokumen­tierte Anwen­dungs­be­ob­ach­tun­gen oder pharma­öko­no­mi­sche Studien, die die (Kosten)Effektivität nachwei­sen, sollten in einem so neuen Bereich wie der Nutzen­be­wer­tung von Medizin­pro­duk­ten in Betracht gezogen werden.

Um die Versor­gungs­si­cher­heit mit Verband­mit­teln nach dem GSAV zu stärken, ist es entschei­dend, dass alle Betei­lig­ten im Gesund­heits­we­sen eng zusam­men­ar­bei­ten. Die Integra­tion moder­ner Verband­mit­tel, die auf die Bedürf­nisse von Patien­ten mit chroni­schen Wunden abgestimmt sind, spielt dabei eine zentrale Rolle. Die konti­nu­ier­li­che Entwick­lung und Verfüg­bar­keit innova­ti­ver Verband­mit­tel sind essen­ti­ell, um Versor­gungs­brü­che zu verhin­dern und eine hochwer­tige Patien­ten­ver­sor­gung zu gewähr­leis­ten. Chroni­sche Wunden benöti­gen mehr als Verband­mit­tel, die bedecken und aufsau­gen. Die Konti­nui­tät der Versor­gung ist für den Heilungs­er­folg der klinisch und ambulant versorg­ten Wundpa­ti­en­ten von heraus­ra­gen­der Bedeu­tung.

Fazit

Abschlie­ßend bleibt zu hoffen, dass sich einer­seits die Verband­mit­tel-Herstel­ler den Heraus­for­de­run­gen evidenz­ba­sier­ter Studien stellen aber auch anderer­seits der Gemein­same Bundes­aus­schuss, das Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­rium sowie die politi­schen Akteure im Gesund­heits­be­reich die anste­hen­den und zu lösen­den Frage­stel­lun­gen im Sinne einer siche­ren Patien­ten­ver­sor­gung klären werden.

Es gibt viel zu tun – packen wir es an!

FAQ

Was sind die Haupt­ziele des Geset­zes zur Sicher­heit in der Arznei­mit­tel­ver­sor­gung (GSAV)?

Das GSAV zielt darauf ab, die Sicher­heit in der Versor­gung mit Arznei­mit­teln und Verband­mit­teln zu erhöhen, indem es klare Richt­li­nien für die Überwa­chung und Erstat­tung festlegt.

Wie werden Verband­mit­tel unter dem GSAV klassi­fi­ziert?

Verband­mit­tel werden in physi­ka­lisch und nicht-physi­ka­lisch wirkende Katego­rien einge­teilt, basie­rend auf ihrer Haupt­wir­kung und zusätz­li­chen Eigen­schaf­ten, die die Wundhei­lung unter­stüt­zen. Verband­mit­tel dürfen auch ergän­zende Eigen­schaf­ten aufwei­sen, ohne pharma­ko­lo­gi­sche, immuno­lo­gi­sche, metabo­li­sche Wirkungs­weise in der Wunde zu entfal­ten. Nach der Abgren­zungs-Syste­ma­tik sollen die Kosten für physi­ka­lisch wirkende Verband­mit­tel der AM-RL (Anlage Va, Teil 1, (einein­deu­tige) Verband­mit­tel) weiter­hin unver­än­dert im Rahmen der gesetz­li­chen Vorschrif­ten von den Kosten­trä­gern übernom­men werden.

Was sind die Heraus­for­de­run­gen bei der Evidenz­ba­sie­rung von nicht-physi­ka­lisch wirken­den Verband­mit­teln?

Die Haupt­her­aus­for­de­run­gen liegen in der Gestal­tung geeig­ne­ter Studien, um die Wirksam­keit dieser Produkte nachzu­wei­sen, insbe­son­dere in Anbetracht der Vielfalt der Wunden und der indivi­du­el­len Patien­ten­be­dürf­nisse.

Von Prof. Dr. Volker Großkopf und Michael Schanz