Die Verbandmitteldefinition
Es ist die Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses (G‑BA) als exekutives Spitzenorgan der Selbstverwaltung die Inhalte der Verbandmitteldefinition gemäß § 31 Absatz 1a SGB V in der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) zu konkretisieren.
„Verbandmittel sind Gegenstände einschließlich Fixiermaterial, deren Hauptwirkung darin besteht, oberflächengeschädigte Körperteile zu bedecken, Körperflüssigkeiten von oberflächengeschädigten Körperteilen aufzusaugen oder beides zu erfüllen. Die Eigenschaft als Verbandmittel entfällt nicht, wenn ein Gegenstand ergänzend weitere Wirkungen entfaltet, die ohne pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungsweise im menschlichen Körper der Wundheilung dienen, beispielsweise, indem er eine Wunde feucht hält, reinigt, geruchsbindend, antimikrobiell oder metallbeschichtet ist.“
Nach der Abgrenzungs-Systematik sollen die Kosten für physikalisch wirkende Verbandmittel der AM-RL (Anlage Va, Teil 1, (eineindeutige) Verbandmittel) weiterhin unverändert im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften von den Kostenträgern übernommen werden.
Das heißt, dass die Patienten weiterhin Verbandmittel beanspruchen können, deren Hauptwirkung darauf abzielt die Wunde abzudecken und das Wundexsudat aufzusaugen.
Ferner fallen jene Verbandmittel in die Kostenübernahme gemäß AM-RL (Anlage Va, Teil 2), die darüber hinaus gegen über dem „klassischen“ Verbandmittel auch noch ergänzende Eigenschaften aufweisen, wie beispielsweise reinigende oder feucht haltende Produkte, Produkte mit antiadhäsiven Eigenschaften, reinigende oder geruchsbindende Produkte sowie reinigende oder Wundexsudat-bindende Produkte.
Ein weiteres Beispiel für Verbandmittel mit ergänzenden Eigenschaften sind antimikrobiell wirkende Wundauflagen, sofern kein direkter Wundkontakt besteht oder die antimikrobiell wirkende Komponente nicht in die Wunde abgegeben wird.
Die präzise Kategorisierung von Verbandmitteln durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ist ein wesentlicher Schritt zur Sicherstellung einer klaren und effektiven Versorgung. Durch die Unterscheidung zwischen physikalischen und nicht-physikalischen Verbandmitteln können Patienten die für ihre Wundheilungsprozesse notwendigen Produkte erhalten.
Nicht physikalisch wirkende Verbandmittel
An dem Beispiel der antimikrobiell wirkenden Produkte zeigt sich in besonderem Maße die Problematik der Aufteilung in physikalisch und nicht physikalische wirkende Verbandmittel. Als nicht physikalisch wirkend werden laut Gemeinsamer Bundesausschusss solche Verbandmittel bezeichnet, die eine immunologische, pharmakologische und metabolische Wirkung in der Wunde entfalten. Diese werden als Produktgruppe in der AM-RL (Anlage Va, Teil 3) aufgeführt.
Laienhaft gesprochen bedeutet dies, dass die Verbandmittel dieser Anlage mit der Wunde interagieren und hierdurch eine wundheilende Wirkung erzielen. Nach dem gesetzgeberischen Willen soll genau diese heilende Wirkung durch Studien höchstmöglicher Evidenz von den Produktherstellern nachgewiesen werden. Zur Führung dieses Wirksamkeitsnachweises hat der Gemeinsame Bundesausschuss ursprünglich eine einjährige Übergangsfrist für die betroffenen Produkte vorgesehen.
Während der Coronapandemie stellte sich jedoch die systematische Untersuchung der Wirksamkeit mangels ausreichender Probantenzahlen als problematisch dar, so dass die Frist bis zum 2. Dezember 2024 ausgedehnt worden ist. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei nun um die letztmalige Fristverlängerung handelt. Mithin müssen die Verbandmittel-Hersteller, die nicht-physikalische Produkte zu ihrem Versorgungsprogramm zählen, in den nächsten Monaten die Wirksamkeit ihrer Produkte gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss darlegen.
Die Unterscheidung zwischen physikalisch und nicht-physikalisch wirkenden Verbandmitteln wirft wichtige Fragen hinsichtlich der Wirksamkeit und Kostenerstattung auf. Insbesondere die Herausforderung, die Effektivität von Produkten mit immunologischen, pharmakologischen oder metabolischen Wirkungen zu belegen, unterstreicht die Notwendigkeit evidenzbasierter Studien.
Das Studiendesign in der Wundversorgung
Problematisch hierbei wird es sein, wie das Studiendesign aussehen soll und welche Endpunkte in den Studien angestrebt werden. Dominiert die vollumfängliche Wundheilung das Studiendesign würden rezidive Verläufe gegebenenfalls dazu führen, dass der Nachweis der Wirksamkeit nicht geführt werden kann. Insbesondere im Fall chronischer Wunden kann nicht immer der Endpunkt „Wundheilung“ im Rahmen einer randomisiert kontrollierten Studie (RCT) erreicht werden, zum Beispiel im Fall nur intermediär angewendeter Wundprodukte.
Am jeweiligen medizinischen Therapieziel orientierte Endpunkte könnten für die Festsetzung des Studienendpunktes zu einem differenzierten Gesamtbild und einem auf die Wundsituation angepassten Produktspektrum beitragen.
Aus diesem Grunde hat der Gemeinsame Bundesausschuss, vergleichbar dem Angebot im Bereich der Arzneimittel-Versorgung, Beratungsmöglichkeiten für die Industrie eingeführt. Ob dies schlussendlich zielführend sein und zur Verfahrensbeschleunigung beitragen wird, bleibt abzuwarten.
Die Entwicklung eines geeigneten Studiendesigns für die Wirksamkeitsbewertung von Verbandmitteln ist eine komplexe, aber entscheidende Aufgabe. Die Fokussierung auf Endpunkte, die dem medizinischen Therapieziel entsprechen, kann zu einem differenzierten Verständnis der Produktwirksamkeit führen.
Vermeidung von Versorgungsbrüchen
Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten sollte es sein, Versorgungsbrüche zu vermeiden. Die Diskussion um die richtigen Endpunkte, die ausreichende Zeit zur Inanspruchnahme des Beratungsrechts sowie das Aufsetzen von Studien darf nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. Evidenz besteht aus mehr als nur aus reinen RCT-Studien. Auch gut dokumentierte Anwendungsbeobachtungen oder pharmaökonomische Studien, die die (Kosten)Effektivität nachweisen, sollten in einem so neuen Bereich wie der Nutzenbewertung von Medizinprodukten in Betracht gezogen werden.
Um die Versorgungssicherheit mit Verbandmitteln nach dem GSAV zu stärken, ist es entscheidend, dass alle Beteiligten im Gesundheitswesen eng zusammenarbeiten. Die Integration moderner Verbandmittel, die auf die Bedürfnisse von Patienten mit chronischen Wunden abgestimmt sind, spielt dabei eine zentrale Rolle. Die kontinuierliche Entwicklung und Verfügbarkeit innovativer Verbandmittel sind essentiell, um Versorgungsbrüche zu verhindern und eine hochwertige Patientenversorgung zu gewährleisten. Chronische Wunden benötigen mehr als Verbandmittel, die bedecken und aufsaugen. Die Kontinuität der Versorgung ist für den Heilungserfolg der klinisch und ambulant versorgten Wundpatienten von herausragender Bedeutung.
Fazit
Abschließend bleibt zu hoffen, dass sich einerseits die Verbandmittel-Hersteller den Herausforderungen evidenzbasierter Studien stellen aber auch andererseits der Gemeinsame Bundesausschuss, das Bundesgesundheitsministerium sowie die politischen Akteure im Gesundheitsbereich die anstehenden und zu lösenden Fragestellungen im Sinne einer sicheren Patientenversorgung klären werden.
Es gibt viel zu tun – packen wir es an!
FAQ
Was sind die Hauptziele des Gesetzes zur Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)?
Das GSAV zielt darauf ab, die Sicherheit in der Versorgung mit Arzneimitteln und Verbandmitteln zu erhöhen, indem es klare Richtlinien für die Überwachung und Erstattung festlegt.
Wie werden Verbandmittel unter dem GSAV klassifiziert?
Verbandmittel werden in physikalisch und nicht-physikalisch wirkende Kategorien eingeteilt, basierend auf ihrer Hauptwirkung und zusätzlichen Eigenschaften, die die Wundheilung unterstützen. Verbandmittel dürfen auch ergänzende Eigenschaften aufweisen, ohne pharmakologische, immunologische, metabolische Wirkungsweise in der Wunde zu entfalten. Nach der Abgrenzungs-Systematik sollen die Kosten für physikalisch wirkende Verbandmittel der AM-RL (Anlage Va, Teil 1, (eineindeutige) Verbandmittel) weiterhin unverändert im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften von den Kostenträgern übernommen werden.
Was sind die Herausforderungen bei der Evidenzbasierung von nicht-physikalisch wirkenden Verbandmitteln?
Die Hauptherausforderungen liegen in der Gestaltung geeigneter Studien, um die Wirksamkeit dieser Produkte nachzuweisen, insbesondere in Anbetracht der Vielfalt der Wunden und der individuellen Patientenbedürfnisse.
Von Prof. Dr. Volker Großkopf und Michael Schanz