Ein Fall aus der Praxis: Klägerin wurde wegen Personalkonflikt an einen anderen Arbeitsort versetzt
In einem Berufungsverfahren umstreiten die Parteien, ob die Klägerin von ihrem Arbeitgeber an einen anderen Arbeitsort versetzt werden konnte, um einen zwischenmenschlichen Konflikt am Arbeitsplatz aufzulösen.
Die Klägerin ist seit dem 24. Juli 1990 in der Küche des beklagten Pflegeheimes als Köchin beschäftigt. Die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Ev. Kirche in Deutschland in der jeweils gültigen Fassung finden Anwendung. Ein Arbeitsort ist im Arbeitsvertrag nicht festgelegt.
Mit Wirkung zum 16. September 2013 wurde die Klägerin als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Der Beklagte erfuhr hiervon erst im Laufe dieses Rechtsstreits.
In der Küche des Pflegeheims sind regelmäßig fünf Köche einschließlich der Küchenleitung sowie zwei Hilfskräfte tätig. Die Arbeitszeit beginnt um 6:00 Uhr und endet regulär um 14:30 Uhr. Die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstätte beträgt circa 21 km für die eine Fahrzeit von etwa 20 Minuten benötigt wird. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin betrug zuletzt 36 Wochenstunden.
Am 29.5.2017 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Küchenleiterin und der Klägerin wegen der Menge der angerührten Senfsoße und wegen der Verwertung von Restkartoffeln. Die Klägerin ist seit diesem Tag ununterbrochen arbeitsunfähig.
Das Verhältnis zwischen der Klägerin und der Küchenleiterin bezeichnen beide Parteien als zerrüttet. Die Beklagte versetzte die Klägerin daraufhin mit Wirkung zum 1.11.2017 in die Küche eines anderen Pflegeheimes aus dem Diakonie-Verbund. Die Entfernung des neuen Arbeitsortes zum Wohnort der Klägerin beträgt bei einer Fahrt über die Autobahn 72 km und über Landstraßen 56 km, die Fahrzeiten liegen zwischen 45 und 50 Minuten.
Begründung: Eine Situation sei eingetreten, die eine weitere Zusammenarbeit ausschließt
In dem Versetzungsschreiben heißt es unter anderem zur Begründung:
„Der Betriebsfrieden an Ihrem bisherigen Beschäftigungsort ist schon seit mehreren Jahren erheblich angespannt und beeinträchtigen die Arbeitsabläufe. Zur Ursachenermittlung gab es bereits in der Vergangenheit wiederholt Personalgespräche […], in denen nachhaltig der Eindruck gewonnen werden konnte, dass das Verhältnis zur Küchenleiterin, aber auch das Verhältnis zum gesamten Team der Küchenleitung derart zerrüttet ist, dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist […]
Die Mitarbeiter der Küchenleitung haben mit Nachdruck zum Ausdruck gebracht, dass sie eine weitere Zusammenarbeit als nicht weiter hinnehmbare Belastung ansehen und eindringlich gebeten, Sie [die Klägerin] andernorts einzusetzen. Es klang dabei glaubhaft an, dass sich die Mitarbeiter sonst ihrerseits um eine anderweitige Beschäftigung bemühen würden […]
Die Ursachen sind nach unserer Überzeugung vielschichtig. Wir können aber ausschließen, dass die Küchenleitung bzw. das Team der Küchenleitung allein die Ursachen vorwerfbar gesetzt hat. Sie [die Klägerin] werden dort nicht etwa ‚gemobbt‘.
Fakt ist aber jedenfalls, dass nunmehr eine Situation eingetreten ist, die eine weitere Zusammenarbeit ausschließt und dass deshalb Abhilfe geschaffen werden muss. Die Küche wird sonst fortan nicht mehr funktionstüchtig arbeiten können.
Wir haben uns dafür entschieden, die Küchenleitung und das Küchenpersonal unverändert weiter arbeiten zu lassen und haben uns dazu entschlossen, Sie [die Klägerin] an einen anderen Arbeitsort zu versetzen. Dabei ist berücksichtigt, dass Sie [die Klägerin] der weitere Anfahrtsweg persönlich belastet. Die betrieblichen Interessen überwiegen allerdings Ihre persönlichen Belange nachhaltig […]“
Die Klägerin hat erstinstanzlich vor dem ArbG Stralsund die Ansicht vertreten, dass die Versetzung unwirksam sei und unter anderem vorgetragen, dass sie nicht dem billigem Ermessen entspreche. Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzung abgewiesen.[1] Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
Entscheidung: Versetzung der Klägerin an neuen Arbeitsort ist wirksam
Die Berufung ist nicht begründet. Die Weisung des Beklagten, die den Arbeitsort der Klägerin ändert, ist wirksam. Sie verstößt weder gegen § 106 GewO, § 315 BGB noch gegen die AVR-DD.
Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen (§ 106 Satz 3 GewO).
Der Arbeitsvertrag der Klägerin steht einer Versetzung nicht entgegen. Ein Arbeitsort ist dort nicht festgelegt. Die vertraglich in Bezug genommenen Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland, am 23. Januar 2014 umbenannt in Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie in Deutschland (AVR-DD), schließen eine Versetzung nicht aus, sondern knüpfen sie gemäß § 7 AVR-DD an bestimmte Voraussetzungen, die bei der Abwägung, ob die Schwelle des „billigen Ermessens“ überschritten ist oder nicht, zu berücksichtigen sind.
Die Verletzung der in § 7 Absatz 1 Satz 2 AVR-DD geregelten Pflicht des Dienstgebers, den Mitarbeiter vor einer Versetzung zu hören, führt jedenfalls nicht pauschal zur Unwirksamkeit der Versetzung.
Arbeitgeber muss auch die Interessen des Arbeitnehmers ausreichend berücksichtigen
Letztlich trägt der Arbeitgeber das Risiko, wenn er die – ihm mangels Anhörung nicht bekannten – Interessen des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat und die Versetzung deshalb nicht billigem Ermessen entspricht.
Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit.
In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Absatz 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses (justiziablen) Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Der Arbeitgeber entscheidet, wie auf Konfliktlagen zu reagieren ist
Der Beklagte hat hier ein berechtigtes Interesse an der Versetzung. Der Klägerin ist es zumutbar, ihre Arbeitsleistung in der angewiesenen Einrichtung zu erbringen. Die Interessen der Klägerin erfordern es nicht, sie in dem bisherigen Pflegeheim weiter zu beschäftigen.
Es ist Sache des Arbeitgebers zu entscheiden, wie er auf Konfliktlagen reagieren will, und zwar unbeschadet des Streits um ihre Ursachen. Hier ist das Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Küchenleiterin seit längerer Zeit zerrüttet. Die Erkrankung der Klägerin ist zu einem erheblichen Teil auf diesen Konflikt zurückzuführen. Ob an diesem Konflikt noch weitere Mitarbeiter oder sogar alle anderen Mitarbeiter der Küche beteiligt sind und ob das Verhältnis zu ihnen ebenfalls als zerrüttet zu betrachten ist, kann offenbleiben. Es genügt bereits, dass ein länger andauernder Konflikt mit der direkten Vorgesetzten besteht.
Der Beklagte war nicht gehalten aufzuklären, von wem dieser Konflikt ausgegangen ist und weshalb er sich zunehmend verschärft hat, sofern eine solche Aufklärung überhaupt möglich und erfolgversprechend war. Die Klägerin wirft der Küchenleiterin allerschwerstes und nachhaltiges Mobbing vor, ohne allerdings konkrete Pflichtverletzungen zu benennen, die diesen Vorwurf rechtfertigen könnten.
Versetzung war „geeignet“, den Konflikt „kurzfristig und wirksam zu lösen“
Bei dieser Ausgangslage war ein schnelles und wirksames Eingreifen zur Verhinderung von Störungen im Produktionsprozess zulässig, wenn nicht sogar geboten. Die Versetzung der Klägerin ist eine Maßnahme, die geeignet ist, den sich aus der täglichen Zusammenarbeit ergebenden Konflikt kurzfristig und wirksam zu lösen. Auf einem anderen Weg war das nicht in derselben Zeit und nicht mit denselben Erfolgsaussichten zu erreichen.
Ob weitere Gespräche eine konfliktfreie Zusammenarbeit der Klägerin mit der Küchenleiterin hätten bewirken können, erschien zweifelhaft, insbesondere in Anbetracht des Vorwurfs allerschwersten Mobbings und der sich daraus ergebenen Schuldzuweisung. Angesichts dieses vorangeschrittenen Konfliktes sind die mit der Versetzung verbundenen Nachteile für die Klägerin begrenzt.
Die Verlängerung der täglichen Fahrzeit um etwa eine halbe Stunde pro Strecke auf 50 Minuten pro Fahrt statt vorher 20 Minuten ist ein noch üblicher Zeitaufwand für einen Arbeitsweg. Auf die Betriebszugehörigkeit der Klägerin kommt es bei der Interessenabwägung nicht an, da eine Sozialauswahl wie im Falle einer Kündigung nicht durchzuführen ist. Es liegen auch keine sonstigen persönlichen Gründe im Sinne des § 7 Absatz 2 AVR-DD vor, aufgrund derer die Versetzung für sie unzumutbar ist.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Hinweis:
Die Beeinträchtigung des Betriebsfriedens durch interne Streitigkeiten alleine ist kein ausreichender Kündigungsgrund. Es ist vielmehr konkret festzustellen, welche arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen das friedliche Miteinander gestört haben. Im Rahmen eines (oder mehrerer) Kritikgespräches sollte mit dem renitenten Mitarbeiter eine sachliche, konsequente und faire Aufklärung erwirkt werden. Die Gesprächsverläufe sind zu dokumentieren. Erst im Wiederholungsfall sollten Arbeitsrechtliche Schritte eingeleitet werden.
Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 30. juli 2019 – 5 Sa 233/18 = RDG 2020, S. 20–22.
Anmerkungen:
- ArbG Stralsund vom 4. September 2018– 13 Ca 227/17.