Verfassungsklage
Vier Betriebe haben Klage beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt einge­reicht

Verfas­sungs­klage: Eigent­lich soll es ab Septem­ber 2022 keine Einrich­tung in der Alten­pflege mehr geben, die nicht nach einem Tarif zahlt. Dies regelt das im Sommer von Bundes­tag und Bundes­rat beschlos­sene Gesetz zur Weiter­ent­wick­lung der Gesund­heits­ver­sor­gung (Gesund­heits­ver­sor­gungs-Weiter­ent­wick­lungs­ge­setz, GVWG). Doch zunächst landet das Gesetz vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt. Vier private Anbie­ter, organi­siert im Verband Deutscher Alten- und Behin­der­ten­hilfe (VDAB), haben eine Verfas­sungs­klage gegen die Tarif­pflicht einge­reicht. Der Bundes­ver­band priva­ter Anbie­ter sozia­ler Dienste (bpa) unter­stützt die Klage.

Mit der kommen­den Tarif­pflicht werde „ein fakti­scher Tarif­zwang für Unter­neh­men der Alten­pflege geschaf­fen“, erklärte der VDAB. „Denn die Verwei­ge­rung der Übernahme eines Tarif­kor­setts bedeu­tet den Verlust des Versor­gungs­ver­tra­ges, der wiederum Voraus­set­zung für die Zulas­sung am Markt ist“. Kurz – dem Existenz­ver­lust für Unter­neh­men, die dem nicht Folge leisten. Laut eines Berichts von pflegen-online soll es sich bei den Beschwer­de­füh­rern um vier Privat-Pflege­fir­men aus Mecklen­burg-Vorpom­mern, Thürin­gen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württem­berg handeln. Sie stützen sich bei ihrer Verfas­sungs­klage auf Rechts­gut­ach­ten von Profes­sor Udo Di Fabio und Profes­sor Felix Hartmann.

Ab Septem­ber 2022: Neuen Tarif­ver­trag schlie­ßen, oder bestehen­den überneh­men

Laut des verab­schie­de­ten Geset­zes müssen ab Septem­ber nächs­ten Jahres sämtli­che Anbie­ter in der Alten­pflege entwe­der über einen eigenen Tarif­ver­trag verfü­gen, oder ein bereits bestehen­des Vertrags­werk überneh­men. Für wie viele Unter­neh­men oder Beschäf­tigte der übernom­mene Tarif­ver­trag bereits gilt, spielt dabei keine Rolle. Das Gesetz ist sozusa­gen ein zweiter Anlauf für eine flächen­de­ckend bessere Bezah­lung in der Alten­pflege: Anfang 2021 war die Allge­mein­gül­tig­keits-Erklä­rung eines Tarif­ver­trags mit einem Mindest-Stunden­lohn von 18,50 Euro, die das Bundes­mi­nis­te­rium für Arbeit plante, am Veto des Deutschen Caritas-Verban­des geschei­tert.

Wie das Minis­te­rium anführte, verdien­ten Pflege­kräfte ohne Tarif­ver­trag rund zwei Euro pro Stunde weniger als in tarif­ge­bun­de­nen Betrie­ben. Eine Vollzeit­kraft könnte daher im Schnitt mit 300 Euro Brutto-Einkom­mens­plus rechnen, hieß es. Neben der Tarif­pflicht an sich kriti­sie­ren die Beschwer­de­füh­rer auch die fehlende Reprä­sen­ta­ti­vi­tät, bezie­hungs­weise Relevanz, der Tarif­ver­träge. Für diese gebe es nicht die gerings­ten Anfor­de­run­gen. So zerstöre die Regelung „bewährte Lohnstruk­tu­ren und führt, wie im Falle eines Teiles der beschwer­de­füh­ren­den Unter­neh­men unter Umstän­den sogar zu niedri­ge­ren Löhnen“.

Kritik von Pflege­rat und Pflege­be­auf­trag­ten an Verfas­sungs­klage

Der Deutsche Pflege­rat (DPR) kriti­siert den Gang nach Karls­ruhe dagegen scharf. „Jetzt von Existenz­ver­lus­ten für die Pflege­ein­rich­tun­gen zu sprechen zeigt, dass sie tatsäch­lich von einer Erhöhung der Löhne ausge­hen, also bislang zu wenig bezahlt haben“, merkte Annema­rie Fajardo, Vize-Präsi­den­tin des Deutschen Pflege­rats, an. „Dagegen haben all jene Einrich­tun­gen, die bislang bereits gute Löhne bezah­len, keine Angst vor den Regelun­gen des GVWG, die von den Kosten­trä­gern refinan­ziert werden müssen.“ Neben der Höhe des Stunden­lohns müsse es mehr Zuschläge für ungüns­tige Arbeits­zei­ten sowie steuer­li­che Entlas­tun­gen für die Beschäf­tig­ten geben.

Auch der Pflege­be­auf­tragte der Bundes­re­gie­rung, Andreas Wester­fell­haus, kriti­sierte die Verfas­sungs­be­schwerde mit schar­fen Worten. „Dass nun ausge­rech­net die Arbeit­ge­ber­ver­bände der priva­ten Träger Verfas­sungs­be­schwer­den gegen das neue Gesetz unter­stüt­zen, kann nur eins bedeu­ten: Gewinne wurden bislang ganz offen­sicht­lich zulas­ten der Löhne gemacht. Jetzt, wo genauer hinge­se­hen werden soll, kommt die Klage vor Gericht – ein durch­sich­ti­ges Manöver.“

Arbeit­ge­ber in der Pflege müssten durch eine anstän­dige Bezah­lung ihren Teil beitra­gen, den Fachkräf­te­man­gel zu lindern. „Dem Pflege­kräf­te­man­gel kann man nur mit anstän­di­gen Löhnen und guten Arbeits­be­din­gun­gen beikom­men. Wer das jetzt in der Pande­mie noch immer nicht verstan­den hat, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.“