Vor einem Jahr verabschiedete der Deutsche Bundestag eine Regelung mit weitreichender Wirkung: In dieser wird bestimmt, wie in Situationen zu verfahren ist, in denen es aufgrund eines laufenden Infektionsgeschehens zu einer drastischen Reduktion der verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten kommt.
Dieses Verfahren – in der Allgemeinheit besser bekannt als Triage – beschreibt den Pfad, der vonseiten der Ärzteschaft zu beschreiten ist, um darüber zu entscheiden, welcher Patient bzw. welche Patientin von der für ihr Überleben notwendigen Behandlungsmöglichkeit noch partizipieren kann – und wer nicht (mehr).
Diese Zuteilungsentscheidung ist somit eine wirkliche Entscheidung über Leben und Tod, und darf auch nur als ultima ratio in einer Extremsituation verstanden werden.
Im Infektionschutzgesetz verankert
Dass das Auftreten einer solchen Extremsituation durchaus Realitiät sein kann, haben uns die Erfahrungen der vergangenen Coronapandemie gelehrt, die nicht zuletzt von zahlreichen Berichten über völlig ausgelastete Intensivstationen begleitet wurde. Wir erinnern uns: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnte seinerzeit vor einem „Hineinlaufen in einer Katastrophenmedizin“ und einem schleichenden Prozess der Einführung einer Triage.
Vor diesem Hintergrund wurde – basierend auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung – in § 5c des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) eine Triage-Regelung verankert.
Diese Regelung war auch schon deshalb notwendig, da dass Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 16. Dezember 2021 (Az.: 1 BvR 1541/20) dem Gesetzgeber auftrug, Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage zu treffen.
Verfassungsbeschwerde gegen Triage
Doch die Triage-Regelung steht bis heute in der Kritik: So sind 14 Fachärztinnen und Fachärzte aus den Bereichen Notfall- und Intensivmedizin davon überzeugt, dass die gegenwärtigen Bestimmungen gegen Grundrechte von Ärztinnen und Ärzten verstoßen, weshalb sie hiergegen eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt haben. Dabei unterstützt werden sie vom ärztlichen Berufsverband Marburger Bund.
Nach der Berichterstattung des Berufsverbandes wenden sich die Beschwerdeführer insbesondere gegen zwei wesentliche Regelungsinhalte:
- Den Positiv-Negativ-Kriterienkatalog für eine Zuteilungsentscheidung über intensivmedizinische Behandlungskapazitäten (§ 5c Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 IfSG).
- Das grundsätzliche Verbot der Ex-post-Triage (§ 5c Absatz 2 Satz 4 IfSG).
Aus der Sicht der Beschwerdeführer verletzte das Gesetz sie in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG), das durch die Gewissensfreiheit (Artikel 4 Absatz 1 GG) entscheidend verstärkt wird.
Ärztinnen und Ärzte seien verpflichtet, ihren Beruf „nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit“ auszuüben. Durch die Triage-Regelung werden ihnen jedoch Grenzentscheidungen aufgezwungen, die ihrem beruflichen Selbstverständnis an sich widersprechen und sie in eklatante Gewissensnöte bringen, so der Berufsverband weiter.
Die Kritikpunkte im Einzelnen
Der Eingriff in das Grundrecht der Beschwerdeführer ist im Wesentlichen aus vier Gründen nicht gerechtfertigt:
- Das Diskriminierungsverbot in der Triage-Regelung und die daraus folgenden Zuteilungsentscheidungen sind widersprüchlich. Die Norm ist in ihrem Tatbestand deshalb unbestimmt und mit der Rechtsfolge einer möglichen berufsrechtlichen Sanktion für die Beschwerdeführer unzumutbar.
- Die Unklarheit in der Negativliste macht die Regelung ebenfalls unzumutbar und damit im Ergebnis unverhältnismäßig.
- Das Verfahren für Zuteilungsentscheidungen ist nicht nur unpraktikabel, es ist auch in grundrechtsverletzender Art und Weise ausgestaltet, weil kein verfahrensauslösendes Ereignis definiert ist, der Entscheidungszeitpunkt ungeregelt bleibt und die Unbestimmtheit des gesamten Verfahrens erhebliche Rechtsunsicherheit für die entscheidungsverpflichteten Ärzte mit sich bringt.
- Das ausdrückliche Verbot der Ex-post-Triage kann bedeuten, dass neu hinzukommenden Patienten mit einer relativ besseren Überlebenswahrscheinlichkeit als Patienten mit deutlich schlechterer Prognose in bereits begonnener intensivmedizinischer Behandlung keine überlebenswichtige Behandlungskapazität mehr zugeteilt werden kann.