Verfassungsbeschwerde wegen Triage
Beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt in Karls­ruhe wurde Beschwerde gegen die Triage-Regelung einge­legt. Bild: Shaqspeare/Wikimedia Commons

Vor einem Jahr verab­schie­dete der Deutsche Bundes­tag eine Regelung mit weitrei­chen­der Wirkung: In dieser wird bestimmt, wie in Situa­tio­nen zu verfah­ren ist, in denen es aufgrund eines laufen­den Infek­ti­ons­ge­sche­hens zu einer drasti­schen Reduk­tion der verfüg­ba­ren inten­siv­me­di­zi­ni­schen Behand­lungs­ka­pa­zi­tä­ten kommt.

Dieses Verfah­ren – in der Allge­mein­heit besser bekannt als Triage – beschreibt den Pfad, der vonsei­ten der Ärzte­schaft zu beschrei­ten ist, um darüber zu entschei­den, welcher Patient bzw. welche Patien­tin von der für ihr Überle­ben notwen­di­gen Behand­lungs­mög­lich­keit noch parti­zi­pie­ren kann – und wer nicht (mehr).

Diese Zutei­lungs­ent­schei­dung ist somit eine wirkli­che Entschei­dung über Leben und Tod, und darf auch nur als ultima ratio in einer Extrem­si­tua­tion verstan­den werden.

Im Infek­ti­onschutz­ge­setz veran­kert

Dass das Auftre­ten einer solchen Extrem­si­tua­tion durch­aus Reali­tiät sein kann, haben uns die Erfah­run­gen der vergan­ge­nen Corona­pan­de­mie gelehrt, die nicht zuletzt von zahlrei­chen Berich­ten über völlig ausge­las­tete Inten­siv­sta­tio­nen beglei­tet wurde. Wir erinnern uns: Die Deutsche Kranken­haus­ge­sell­schaft warnte seiner­zeit vor einem „Hinein­lau­fen in einer Katastro­phen­me­di­zin“ und einem schlei­chen­den Prozess der Einfüh­rung einer Triage.

Vor diesem Hinter­grund wurde – basie­rend auf einen Gesetz­ent­wurf der Bundes­re­gie­rung – in § 5c des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes (IfSG) eine Triage-Regelung veran­kert.

Diese Regelung war auch schon deshalb notwen­dig, da dass Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt in seiner Entschei­dung vom 16. Dezem­ber 2021 (Az.: 1 BvR 1541/20) dem Gesetz­ge­ber auftrug, Vorkeh­run­gen zum Schutz behin­der­ter Menschen für den Fall einer pande­mie­be­dingt auftre­ten­den Triage zu treffen.

Verfas­sungs­be­schwerde gegen Triage

Doch die Triage-Regelung steht bis heute in der Kritik: So sind 14 Fachärz­tin­nen und Fachärzte aus den Berei­chen Notfall- und Inten­siv­me­di­zin davon überzeugt, dass die gegen­wär­ti­gen Bestim­mun­gen gegen Grund­rechte von Ärztin­nen und Ärzten versto­ßen, weshalb sie hierge­gen eine Verfas­sungs­be­schwerde beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt einge­legt haben. Dabei unter­stützt werden sie vom ärztli­chen Berufs­ver­band Marbur­ger Bund.

Nach der Bericht­erstat­tung des Berufs­ver­ban­des wenden sich die Beschwer­de­füh­rer insbe­son­dere gegen zwei wesent­li­che Regelungs­in­halte:

  1. Den Positiv-Negativ-Krite­ri­en­ka­ta­log für eine Zutei­lungs­ent­schei­dung über inten­siv­me­di­zi­ni­sche Behand­lungs­ka­pa­zi­tä­ten (§ 5c Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 IfSG).
  2. Das grund­sätz­li­che Verbot der Ex-post-Triage (§ 5c Absatz 2 Satz 4 IfSG).

Aus der Sicht der Beschwer­de­füh­rer verletzte das Gesetz sie in ihrem Grund­recht der Berufs­frei­heit (Artikel 12 Absatz 1 GG), das durch die Gewis­sens­frei­heit (Artikel 4 Absatz 1 GG) entschei­dend verstärkt wird.

Ärztin­nen und Ärzte seien verpflich­tet, ihren Beruf „nach ihrem Gewis­sen, den Geboten der ärztli­chen Ethik und der Mensch­lich­keit“ auszu­üben. Durch die Triage-Regelung werden ihnen jedoch Grenz­ent­schei­dun­gen aufge­zwun­gen, die ihrem beruf­li­chen Selbst­ver­ständ­nis an sich wider­spre­chen und sie in eklatante Gewis­sens­nöte bringen, so der Berufs­ver­band weiter.

Die Kritik­punkte im Einzel­nen

Der Eingriff in das Grund­recht der Beschwer­de­füh­rer ist im Wesent­li­chen aus vier Gründen nicht gerecht­fer­tigt:

  1. Das Diskri­mi­nie­rungs­ver­bot in der Triage-Regelung und die daraus folgen­den Zutei­lungs­ent­schei­dun­gen sind wider­sprüch­lich. Die Norm ist in ihrem Tatbe­stand deshalb unbestimmt und mit der Rechts­folge einer mögli­chen berufs­recht­li­chen Sanktion für die Beschwer­de­füh­rer unzumut­bar.
  2. Die Unklar­heit in der Negativ­liste macht die Regelung ebenfalls unzumut­bar und damit im Ergeb­nis unver­hält­nis­mä­ßig.
  3. Das Verfah­ren für Zutei­lungs­ent­schei­dun­gen ist nicht nur unprak­ti­ka­bel, es ist auch in grund­rechts­ver­let­zen­der Art und Weise ausge­stal­tet, weil kein verfah­rens­aus­lö­sen­des Ereig­nis definiert ist, der Entschei­dungs­zeit­punkt ungere­gelt bleibt und die Unbestimmt­heit des gesam­ten Verfah­rens erheb­li­che Rechts­un­si­cher­heit für die entschei­dungs­ver­pflich­te­ten Ärzte mit sich bringt.
  4. Das ausdrück­li­che Verbot der Ex-post-Triage kann bedeu­ten, dass neu hinzu­kom­men­den Patien­ten mit einer relativ besse­ren Überle­bens­wahr­schein­lich­keit als Patien­ten mit deutlich schlech­te­rer Prognose in bereits begon­ne­ner inten­siv­me­di­zi­ni­scher Behand­lung keine überle­bens­wich­tige Behand­lungs­ka­pa­zi­tät mehr zugeteilt werden kann.