
Ein Gerichtsurteil könnte das verbreitete System häuslicher Pflege durch osteuropäische Kräfte grundlegend erschüttern: Wer als häusliche 24-Stunden-Pflegekraft bei der zu betreuenden Person wohnt und arbeitet, hat für ihre komplette Arbeitszeit Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Das entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg auf die Klage einer Pflegekraft aus dem Ausland (Az.: 21 Sa 1900/19). Es bestätigte damit das Urteil der Vorinstanz.
Die Klägerin, eine Frau aus Bulgarien, war rund um die Uhr in der häuslichen Pflege einer 96-jährigen Dame eingesetzt. Bereits ihre in Bulgarien ansässige Vermittlungs-Agentur hatte mit dem Slogan „24 Stunden Pflege zu Hause“ geworben. In dem Arbeitsvertrag der Mitarbeiterin war jedoch nur eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden vereinbart. Gleiches stand im Betreuungsvertrag, der mit der zu versorgenden Seniorin abgeschlossen worden war.
30 Stunden wöchentlich – nur auf dem Papier
Wie man sich leicht denken kann, wurde die wöchentlich vereinbarte Arbeitszeit schnell zur Makulatur. Die Klägerin schilderte, sei sie in der Zeit von 6 Uhr morgens bis 22 oder sogar 23 Uhr abends tätig gewesen. Auch nachts habe sie sich bereit halten müssen, falls ihrer Betreuten etwas passiert. Sie habe deshalb für die gesamte Zeit einen Anspruch auf den Mindestlohn, folgerte sie. Der Arbeitgeber hat dagegen die behaupteten Arbeitszeiten bestritten und sich auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit berufen.
Letztendlich sprach das Landesarbeitsgericht ihr den geforderten Mindestlohn für die Zeit von 21 Stunden täglich zu. Die sowohl im Arbeits- als auch im Vermittlungsvertrag vereinbarte Wochen-Arbeitszeit sei treuwidrig, hieß es im Urteil. Denn die Agentur habe eine umfassende Betreuung zugesagt, und die Verantwortung sowohl für die Betreuung als auch die Einhaltung der Arbeitszeit der Klägerin übertragen. Das Arbeitszeit-Management sei jedoch Aufgabe des Arbeitgebers. Die vertraglichen 30 Stunden pro Woche seien im vorliegenden Fall für das zugesagte Leistungsspektrum von vornherein unrealistisch gewesen.
Die zuerkannte vergütungspflichtige Arbeitzeit ergab sich auch aus dem zusätzlichen Bereitschaftsdienst während der Nacht. Lediglich in einem begrenzten Umfang von geschätzt drei Stunden täglich, sei es der Klägerin zumutbar gewesen, sich ihrem Dienst zu entziehen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.