Die Debatte um die Impfpflicht für Pflegepersonal wird immer heißer: Deutsche Krankenhausgesellschaft, Bundesärztekammer, Deutscher Pflegerat (DPR), Bundespflegekammer und der Verband medizinischer Fachberufe drängen auf die Umsetzung folgender Punkte:
- 2‑G-Regelungen (geimpft oder genesen) als zwingende Zutrittsvoraussetzungen zu Angeboten des öffentlichen Lebens, um diese „wirksam zu kontrollieren“
- zusätzliche Antigen-Schnelltests zur 2‑G-Regelung für Aktivitäten mit besonders hohem Infektionsrisiko, v. a. in Regionen mit hohen Infektionsraten
- eine allgemeine und für Arbeitgeber durchsetzbare 3‑G-Regel am Arbeitsplatz, wie von der Bundesregierung angekündigt
Die am 11. November vom Deutschen Ethikrat empfohlene Prüfung einer Impfpflicht gegen COVID-19 für Mitarbeitende in besonderer beruflicher Verantwortung begrüßen die genannten Verbände in ihrem Appell ausdrücklich.
Ethikrat empfiehlt berufsbezogene Impfpflicht
Der Ethikrat erklärt: „Der Rat empfiehlt angesichts der gegenwärtigen pandemischen Situation nun ohne Gegenstimme bei drei Enthaltungen eine ernsthafte und rasche Prüfung einer berufsbezogenen Impfpflicht in Bereichen, in denen besonders vulnerable Menschen versorgt werden.“
Konkret nannte das Gremium Menschen, die schwer oder chronisch Kranke sowie hochbetagte Menschen versorgen,„wie ärztliches und pflegendes Personal, aber auch Mitarbeitende des Sozialdienstes, der Alltagsbegleitung oder der Hauswirtschaft“.
Diese trügen „eine besondere Verantwortung dafür, die ihnen Anvertrauten nicht zu schädigen“. „Gleiches gilt für Institutionen und Einrichtungen, die dafür verantwortlich sind, die dort versorgten Menschen keinen vermeidbaren gesundheitlichen Gefahren auszusetzen.“
Auch Ethikratsmitglied Wolfram Henn hat eine bundesweite Impfpflicht für Pflegepersonal gefordert. Seiner Meinung nach ist es „völlig inakzeptabel und unprofessionell, wenn Personen, die tagtäglich mit vulnerablen Gruppen arbeiten, nicht geimpft sind“, wie er der „Rheinischen Post„sagte. Er lies auch den Einwand, dass mit einer Impfpflicht weiterer Druck auf das Pflegepersonal ausgeübt werde und Beschäftigte der Branche den Rücken kehren könnten, nicht gelten. „Hier wird eine Drohkulisse aufgebaut, von der wir wissen, dass sie nicht zutrifft. In Frankreich und Italien etwa gibt es bereits eine Impfpflicht für Pflegebeschäftigte, und dort ist das Gesundheitswesen auch nicht zusammengebrochen.“
Die Diskussion über das Für und Wider einer Impfpflicht in der Pflege dominiert seit Tagen die Schlagzeilen. Jacques Schuster schreibt mit Bezug auf nicht geimpfte Pflegekräfte in einem Kommentar in der Welt, dass man „fast von Totschlag“ reden möchte, „auf jeden Fall von fahrlässiger Tötung.“ Der Corona-Ausbruch in einem Brandenburger Seniorenheim hat die Diskussion weiter befeuert: Inzwischen sind 16 Menschen gestorben. Die Impfquote der Pflegekräfte der Einrichtung lag laut der zuständigen Amtsärztin nur bei etwa 50 Prozent.
Ampel verhandelt über Impfpflicht
Inzwischen ist das Thema Impfpflicht bei den Ampelparteien angekommen. Die Grünen sprechen sich für die Verpflichtung zur Impfung für bestimmte Berufsgruppen aus. Laut Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen sollten alle, die für andere Menschen Verantwortung tragen, nicht nur über die eigene Gesundheit entscheiden, sondern auch eine Entscheidung für ihr Umfeld treffen. Er geht davon aus, dass ohne eine einrichtungsbezogene Impfpflicht die Lage nicht in den Griff zu bekommen ist.
Deutlich kritischer sieht das die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus. Sie plädiert ähnlich wie Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, für mildere Maßnahmen wie eine verstärkte Testpflicht. Beide befürchten die massive Abwanderung der Pflegekräfte bei Einführung einer Impfpflicht.
Das sieht auch Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn so: In einem Interview mit dem Spiegel schloss er nach wie vor die Impfpflicht für Pflegende aus. Neben dem Risiko, dass die Impfpflicht Pflegekräfte aus dem Beruf vertreiben könnte, sieht er auch rechtliche Probleme: Eine Kündigung von impfunwilligen Mitarbeitern sei arbeitsrechtlich in Deutschland gar nicht möglich.
Die Deutsche Stiftung für Patientenschutz spricht sich ebenfalls gegen eine Impfpflicht aus. „Schon jetzt ist es schwer, eine gute Pflege zu organisieren“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung, der Deutschen Presse-Agentur. Die Kündigung – oder Entlassung – ungeimpfter Mitarbeiter würde die ohnehin angespannte Lage noch weiter verschärfen. „Schon heute schlägt die Pandemie am stärksten nicht in den Krankenhäusern zu, sondern in der Altenpflege“, sagte Brysch.
Pflege-Flucht bei Impfpflicht nur „eine Drohkulisse“?
Die Forscherinnen und Forscher der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina fordern dagegen eine Impfpflicht für Pflegende. Ihrer Meinung nach sollte es eine Pflicht zur Impfung sogenannter Multiplikatoren geben – also Menschen, die beruflich mit vielen anderen Menschen in Kontakt kommen. Dazu gehören neben Pflegekräften auch Lehrer und Lehrerinnen. Gerald Haug, Präsident der Akademie, sieht den bevorstehenden Winter als „gesellschaftliche und medizinische Herausforderung“.