lückenhafte Dokumentation
Aufgrund der lücken­haf­ten Dokumen­ta­tion einer Gastro­en­te­ro­lo­gin kam es im Falle eines Tumor-Patien­ten zur Verur­tei­lung der Ärztin. Bild: Cherriesjd | Dreamstime.com

Sachver­halt

Der Patient wurde von seiner Hausärz­tin an eine Gastro­en­te­ro­lo­gin überwie­sen. Auf dem Überwei­sungs­schein war vermerkt: „Verdacht auf Colitis“. Weder die körper­li­che Unter­su­chung noch die Blutwerte zeigten auffäl­lige Befunde. Die Gastro­en­te­ro­lo­gin dokumen­tierte für diesen Tag unter anderem:

„In den letzten Monaten vermehrt Schmer­zen im rechten Oberbauch postpran­dial. Gehäufte Einnahme von Ibutrop­fen bei Cephal­gien letzte Woche.“

Die Frage der Gastro­en­te­ro­lo­gin nach Auffäl­lig­kei­ten im Stuhl wurde seitens des Patien­ten verneint, wobei hierzu keine Dokumen­ta­tion erfolgte. Im weite­ren Verlauf wurde eine Magen­spie­ge­lung durch­ge­führt, die ledig­lich eine Reflux­öso­pha­gi­tis ergab.

Ein Jahr später stellte sich der Patient aufgrund von Blut im Stuhl erneut bei der Gastro­en­te­ro­lo­gin vor. Anläss­lich dieser Unter­su­chung dokumen­tierte sie:

„Subjek­tive Wahrneh­mung von Blut im Stuhl, wechselnde Stühle, multi­ple musku­läre Beschwer­den, Frukto­se­into­le­ranz, Blähbauch“.

Es wurde die Indika­tion zur Durch­füh­rung einer Colosko­pie gestellt, die dann auch einige Tage später nach entspre­chen­der Vorbe­rei­tung durch­ge­führte wurde. Es zeigte sich ein bösar­ti­ger Tumor im Enddarm. Wie sich im weite­ren Verlauf heraus­stellte, hatte dieser bereits Metasta­sen in der Lunge gebil­det.

Der Patient verklagte die Gastro­en­te­ro­lo­gin und warf ihr vor, im Vorjahr gebotene Befunde nicht erhoben zu haben. Er habe bei der Erstvor­stel­lung bereits auf Blut im Stuhl hinge­wie­sen, weshalb schon damals zwingend eine Colosko­pie hätte veran­lasst werden müssen. Die Einlas­sung der Gastro­en­te­ro­lo­gin, nach Auffäl­lig­kei­ten im Stuhl gefragt zu haben, wurde von dem Patien­ten bestrit­ten. Der Patient verstarb rund drei Jahre später und hinter­ließ zwei unter­halts­be­rech­tigte Angehö­rige.

Entschei­dung

Der Schadens­er­satz­an­spruch der hinter­blie­be­nen Angehö­ri­gen ist begrün­det. Ausschlag­ge­bend für die Verur­tei­lung war die lücken­hafte Dokumen­ta­tion des Behand­lungs­ge­sche­hens. Nach Auffas­sung des Gerichts hätte im vorlie­gen­den Fall sowohl die Frage nach Blut im Stuhl als auch die Antwort des Patien­ten hierauf dokumen­tiert werden müssen. Dies galt vor allem, weil auf der Überwei­sung der Verdacht auf Colitis geäußert worden war.

Im Ergeb­nis wurde die Haftung bejaht, weil die Ärztin nicht schlüs­sig nachwei­sen konnte, bei der Erstkon­sul­ta­tion die Frage nach Auffäl­lig­kei­ten im Stuhl gestellt und damit alle erfor­der­li­chen Befunde erhoben zu haben.

Anerkann­ter­ma­ßen dient die ärztli­che Dokumen­ta­tion in erster Linie der Siche­rung der Thera­pie. Deshalb müssen alle Umstände dokumen­tiert werden, die für die Diagnose und Thera­pie nach medizi­ni­schem Standard wesent­lich und deren Aufzeich­nung und Aufbe­wah­rung für die weitere Behand­lung des Patien­ten medizi­nisch erfor­der­lich sind.[1]

Die haftungs­recht­li­che Bedeu­tung der Dokumen­ta­tion darf nicht unter­schätzt werden. Dies gilt insbe­son­dere im Zusam­men­hang mit dem Vorwurf mangeln­der Befund­er­he­bung, weil bei Annahme eines Befund­er­he­bungs­feh­lers die Beweis­last für den kausa­len Schaden nicht mehr bei dem Patien­ten, sondern bei dem Arzt liegt. Hier hilft eine lücken­lose Dokumen­ta­tion der Behand­ler­seite in der strei­ti­gen Ausein­an­der­set­zung glaub­haft darzu­le­gen, alle erfor­der­li­chen Befunde erhoben und Behand­lungs­maß­nah­men ergrif­fen zu haben.

Denn was nach dem Verständ­nis unserer Rechts­ord­nung nicht dokumen­tiert ist, wurde im Zweifel auch nicht veran­lasst. Der ordnungs­ge­mä­ßen Dokumen­ta­tion kommt demnach zuguns­ten der Behand­lungs­seite eine wesent­li­che Indiz­wir­kung zu.[2]

Mit der lücken­lo­sen Dokumen­ta­tion aller erhobe­nen Befunde hätte die Ärztin demnach eine Haftung und Eintritts­pflicht für den entstan­de­nen Großscha­den ausschlie­ßen können.

Fazit

Die vollstän­dige und nachvoll­zieh­bare Dokumen­ta­tion der medizi­ni­schen Befun­dung ist eine zwingende Voraus­set­zung zur retro­spek­ti­ven Aufklä­rung eines medizi­ni­schen Sachver­hal­tes. Bestehende Lücken erschwe­ren regel­mä­ßig die Beweis­last der Behand­lungs­seite.

Anmer­kun­gen:

  1. Vgl. Martis/ Winkhart, Arzthaf­tungs­recht, 3. Auflage 2010, Rn. D 204
  2. Vgl. OLG Zweibrü­cken vom 27. Juli 2004 – 5 U 15/02 = RDG 2005, S. 92.