Sachverhalt
Der Patient wurde von seiner Hausärztin an eine Gastroenterologin überwiesen. Auf dem Überweisungsschein war vermerkt: „Verdacht auf Colitis“. Weder die körperliche Untersuchung noch die Blutwerte zeigten auffällige Befunde. Die Gastroenterologin dokumentierte für diesen Tag unter anderem:
„In den letzten Monaten vermehrt Schmerzen im rechten Oberbauch postprandial. Gehäufte Einnahme von Ibutropfen bei Cephalgien letzte Woche.“
Die Frage der Gastroenterologin nach Auffälligkeiten im Stuhl wurde seitens des Patienten verneint, wobei hierzu keine Dokumentation erfolgte. Im weiteren Verlauf wurde eine Magenspiegelung durchgeführt, die lediglich eine Refluxösophagitis ergab.
Ein Jahr später stellte sich der Patient aufgrund von Blut im Stuhl erneut bei der Gastroenterologin vor. Anlässlich dieser Untersuchung dokumentierte sie:
„Subjektive Wahrnehmung von Blut im Stuhl, wechselnde Stühle, multiple muskuläre Beschwerden, Fruktoseintoleranz, Blähbauch“.
Es wurde die Indikation zur Durchführung einer Coloskopie gestellt, die dann auch einige Tage später nach entsprechender Vorbereitung durchgeführte wurde. Es zeigte sich ein bösartiger Tumor im Enddarm. Wie sich im weiteren Verlauf herausstellte, hatte dieser bereits Metastasen in der Lunge gebildet.
Der Patient verklagte die Gastroenterologin und warf ihr vor, im Vorjahr gebotene Befunde nicht erhoben zu haben. Er habe bei der Erstvorstellung bereits auf Blut im Stuhl hingewiesen, weshalb schon damals zwingend eine Coloskopie hätte veranlasst werden müssen. Die Einlassung der Gastroenterologin, nach Auffälligkeiten im Stuhl gefragt zu haben, wurde von dem Patienten bestritten. Der Patient verstarb rund drei Jahre später und hinterließ zwei unterhaltsberechtigte Angehörige.
Entscheidung
Der Schadensersatzanspruch der hinterbliebenen Angehörigen ist begründet. Ausschlaggebend für die Verurteilung war die lückenhafte Dokumentation des Behandlungsgeschehens. Nach Auffassung des Gerichts hätte im vorliegenden Fall sowohl die Frage nach Blut im Stuhl als auch die Antwort des Patienten hierauf dokumentiert werden müssen. Dies galt vor allem, weil auf der Überweisung der Verdacht auf Colitis geäußert worden war.
Im Ergebnis wurde die Haftung bejaht, weil die Ärztin nicht schlüssig nachweisen konnte, bei der Erstkonsultation die Frage nach Auffälligkeiten im Stuhl gestellt und damit alle erforderlichen Befunde erhoben zu haben.
Anerkanntermaßen dient die ärztliche Dokumentation in erster Linie der Sicherung der Therapie. Deshalb müssen alle Umstände dokumentiert werden, die für die Diagnose und Therapie nach medizinischem Standard wesentlich und deren Aufzeichnung und Aufbewahrung für die weitere Behandlung des Patienten medizinisch erforderlich sind.[1]
Die haftungsrechtliche Bedeutung der Dokumentation darf nicht unterschätzt werden. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorwurf mangelnder Befunderhebung, weil bei Annahme eines Befunderhebungsfehlers die Beweislast für den kausalen Schaden nicht mehr bei dem Patienten, sondern bei dem Arzt liegt. Hier hilft eine lückenlose Dokumentation der Behandlerseite in der streitigen Auseinandersetzung glaubhaft darzulegen, alle erforderlichen Befunde erhoben und Behandlungsmaßnahmen ergriffen zu haben.
Denn was nach dem Verständnis unserer Rechtsordnung nicht dokumentiert ist, wurde im Zweifel auch nicht veranlasst. Der ordnungsgemäßen Dokumentation kommt demnach zugunsten der Behandlungsseite eine wesentliche Indizwirkung zu.[2]
Mit der lückenlosen Dokumentation aller erhobenen Befunde hätte die Ärztin demnach eine Haftung und Eintrittspflicht für den entstandenen Großschaden ausschließen können.
Fazit
Die vollständige und nachvollziehbare Dokumentation der medizinischen Befundung ist eine zwingende Voraussetzung zur retrospektiven Aufklärung eines medizinischen Sachverhaltes. Bestehende Lücken erschweren regelmäßig die Beweislast der Behandlungsseite.
Anmerkungen:
- Vgl. Martis/ Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Auflage 2010, Rn. D 204
- Vgl. OLG Zweibrücken vom 27. Juli 2004 – 5 U 15/02 = RDG 2005, S. 92.