Knapp zwei Monate nach Inkrafttreten der einrichtungsbezogenen COVID-19-Impfpflicht gibt es in Deutschland zwar zahlreiche dokumentierte nichtgeimpfte Pflegekräfte, aber immer noch keinen dokumentierten Fall eines behördlichen Arbeitsplatz-Betretungsverbotes für ungeimpfte Beschäftigte. Laut einer exklusiven Umfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND), aus der das ZDF zitiert, hatten die Gesundheitsämter der 20 größten Städte Deutschlands mit Stand von Ende April bislang 47.263 Fälle von nicht geimpften Beschäftigten in Krankenhäusern oder Pflegeheimen sowie bei Pflegediensten vorliegen.
Bußgeld oder Verbot? Unterschiedliche Herangehensweisen von Stadt und Stadt, von Bundesland zu Bundesland
Die 20 Großstädte haben zusammen knapp 16,5 Millionen Einwohner und repräsentieren damit knapp ein Fünftel der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Während bei den absoluten Zahlen – aufgrund der Einwohnerzahl erwartungsgemäß – Berlin vor München und Dresden liegt, liegt im Verhältnis zur Einwohnerzahl die sächsische Landeshauptstadt Dresden mit 867 gemeldeten Fällen pro 100.000 Einwohner deutlich vor allen anderen.
Es folgten Bonn (531) und Hannover (498). Die Gesundheitsämter einiger der befragten Städte – so Hamburg, Düsseldorf, Essen und Münster – kündigten an, im Falle des Falles direkt Betretungsverbote zu verhängen; von der Möglichkeit eines Bußgeldes gegen die konkreten Beschäftigten werde man nicht Gebrauch machen.
Bei der Gewerkschaft ver.di sind ebenfalls keine Betretungs- oder Tätigkeitsverbote bekannt. „Vereinzelt werden Zwangsgelder von Gesundheitsämtern verhängt. Aber uns sind noch keine Tätigkeits- oder Betretungsverbote bekannt geworden“, berichtet Grit Genster, Bereichsleiterin Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik der Gewerkschaft, im Gespräch mit der „Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen“. „Die Personaldecke im Gesundheitswesen ist so dünn, dass der Vollzug die Versorgungssicherheit in den Einrichtungen ernsthaft gefährden würde“, so ihre Einschätzung.
Der Freistaat Bayern hingegen wird nicht auf Betretungsverbote für ungeimpfte Pflegekräft setzen. Vielmehr sollen Bußgelder auferlegt werden– wenngleich auch nur in einem vergleichbar überschaubaren Ausmaß. Wie eine Sprecherin des bayerischen Gesundheitsministeriums auf Presseanfrage mitteilte, werde das Bußgeld – sofern es tatsächlich verhängt werde – im Regelfall maximal 300 Euro betragen.
Aufgrund des Bundesgesetzes für die Teil-Impfpflicht wären dagegen bis zu 2.500 Euro möglich. „Es obliegt den zuständigen Kreisverwaltungsbehörden, im konkreten Einzelfall eine angemessene Höhe festzulegen“, so die Sprecherin weiter. Schon Anfang des Jahres hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine großzügige, gemächliche Umsetzung der Teil-Impfpflicht verkündet.
Impfpflicht stellt Sachsen vor besondere Probleme
In Sachsen hingegen fordert die dortige Diakonie eine Aussetzung der Impfpflicht für Pflegekräfte. Man habe als Landesverband sehr früh für eine allgemeine Impfpflicht geworben, so Diakonie-Chef Dietrich Bauer. Nun, wo die allgemeine Impfpflicht nicht käme, sorge dies in den Betrieben für enorme Unruhen.
Aus Unsicherheit darüber, wie viele Mitarbeitende die Einrichtungen im Sommer noch an Bord hätten, würden zum Beispiel vielerorts Urlaubspläne gestrichen. Auch beobachte man durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht eine Abwendung junger Menschen von den Pflegeberufen.
Für Sachsen ist die Impfpflicht besonders einschneidend: Seit Beginn der Impfkampagne in Deutschland liegt das östliche Bundesland bei den Impfquoten auf dem letzten Platz unter den Ländern. Auch gegenwärtig ist Sachsen mit einer Quote von 65,8 Prozent der zumindest einmal Geimpften im Bundesvergleich abgeschlagen Letzter.
Nur 48,8 Prozent haben dort mindestens eine Drittimpfung erhalten – als einziges Bundesland liegt Sachsen hier aktuell unter der 50-Prozent-Marke. Entsprechend schlägt sich hier die Branchen-Impfpflicht stärker auf die Einrichtungen durch, wie auch die eingangs zitierten Zahlen der RND-Umfrage aus Dresden nahelegen.
ver.di: Impfpflicht für Pflegekräfte nicht mehr zu vermitteln
Unterdessen geht die Debatte um die Teil-Impfpflicht weiter. Mehrere Gesellschaften und Einrichtungsträger, sowie auch Stimmen aus der Politik hatten sich in vergangener Zeit für eine Rücknahme der nur für Gesundheit und Pflege geltenden Impfverpflichtung ausgesprochen.
Auch die Gewerkschaft ver.di sieht den Zeitpunkt gekommen, die Impfpflicht für Pflegekräfte wieder aufzuheben. „Tatsächlich kann mit dem Scheitern der allgemeinen Impfpflicht den Beschäftigten im Gesundheitswesen nicht mehr vermittelt werden, warum ausgerechnet sie, die seit zwei Jahren die Last der Pandemie tragen, hier weiter besonderen Pflichten unterliegen sollen“, so Genster.
„Insbesondere dann, wenn um sie herum gerade alle Beschränkungen fallen und in vielen Lebensbereichen gelockert wird. Das alles delegitimiert eine Einrichtungs-Impfpflicht immer mehr, und daher sehen wir sie auch sehr kritisch.“
Wenn sich gegen Ende des Jahres die Infektionslage wieder verschlechtere und sich die Politik angesichts dessen für einen neuen Anlauf zur Impfpflicht entscheidet, müsse dieser allgemeingültig sein.
„Wir müssen schauen, wie sich die pandemische Situation zum Herbst entwickelt. Alles muss getan werden, um den Schutz der vulnerablen Bevölkerungsgruppen sicherzustellen – aber dann bitte auch unter Einbindung aller, nicht nur der Beschäftigten in Gesundheit und Pflege.“