Vertrauen
Forsa hat gefragt: Wie groß ist das Vertrauen, dass die Politik auch in Zukunft eine quali­ta­tiv hochwer­tige und bezahl­bare medizi­ni­sche Versor­gung sicher­stellt? Bild: Forsa

Eine reprä­sen­ta­tive Forsa-Umfrage im Auftrag der Robert Bosch Stiftung zeigt, dass das Vertrauen der Bürger:innen in die deutsche Gesund­heits­po­li­tik gesun­ken ist.

Fast 60 Prozent der Befrag­ten geben an, wenig oder sogar kein Vertrauen mehr in die Fähig­keit der Politik zu haben, für eine hochwer­tige und zugleich bezahl­bare Gesund­heits­ver­sor­gung zu sorgen. Das sind mehr als doppelt so viele wie noch im Jahr 2020 (30 Prozent).

Rund 40 Prozent der Befrag­ten sind zudem der Meinung, dass sich die gesund­heit­li­che und medizi­ni­sche Versor­gung bei ihnen vor Ort im vergan­ge­nen Jahr insge­samt verschlech­tert hat. Bei Teilneh­men­den mit chroni­schen Erkran­kun­gen ist dieses Empfin­den noch verbrei­te­ter (46 Prozent).

Forsa-Umfrage: Politik setzt falsche Priori­tä­ten

Sieht man sich die Umfra­ge­er­geb­nisse im Detail an, entsteht der Eindruck, dass die Priori­tä­ten der Regie­rung nicht immer die gleichen sind wie die der Bevöl­ke­rung.

Ein Beispiel dafür ist das Thema Digita­li­sie­rung: 80 Prozent der Umfra­ge­teil­neh­mer wünschen sich digitale Gesund­heits­an­ge­bote wie zum Beispiel die elektro­ni­sche Patien­ten­akte. Diese ist seit Jahren in der Planung, die flächen­de­ckende Umset­zung lässt aller­dings auf sich warten.

Der Schutz der Gesund­heits­da­ten, der in Deutsch­land häufig die Begrün­dung zur Ableh­nung digita­ler Projekte ist, spielte für die meisten Umfra­ge­teil­neh­mer keine wichtige Rolle: Ganze 83 Prozent der Befrag­ten wären bereit, für eine bessere Versor­gung gesund­heits­re­le­vante Daten zu teilen.

Versor­gung vor Ort wird von vielen als schlech­ter wahrge­nom­men

Die Versor­gung vor Ort ist nach wie vor ein zentra­ler Punkt: In diesem Bereich nehmen 39 Prozent der Befrag­ten eine Verschlech­te­rung im vergan­ge­nen Jahr wahr. Viele Menschen wünschen sich kurze Wege zu medizi­ni­schen Anlauf­stel­len und mehr Kontakt zu medizi­ni­schem Perso­nal.

Dazu gehört eine schnelle Termin­ver­gabe, mehr Zeit für das Arztge­spräch und mehr Unter­stüt­zung von Exper­ten, um zum Beispiel gemein­sam die Entschei­dung über Thera­pie­mög­lich­kei­ten zu treffen.

Hier sind struk­tu­relle Refor­men überfäl­lig, um auch für Menschen, die in ländli­chen Regio­nen leben oder auf öffent­li­che Verkehrs­mit­tel angewie­sen sind, die Versor­gung vor Ort zu sichern. Mit der Kranken­haus­re­form hat die Regie­rung eine Chance, sich in diesem Punkt das Vertrauen der Bevöl­ke­rung zurück­zu­ho­len.

Auch die Einfüh­rung des Berufs­bil­des der Berufs­bild Commu­nity Health Nurse würde zur niedrig­schwel­li­gen Versor­gung vor Ort beitra­gen. Diese Ausbil­dung, die Berufs­ver­bände wie der Deutsche Berufs­ver­band für Pflege­be­rufe (DBfK) seit langem fordern, wird im Koali­ti­ons­ver­band der Ampel erwähnt.

In anderen Ländern wie Kanada und Schwe­den gibt es die Commu­nity Health Nurses schon länger. Sie kümmern sich zum Beispiel um Gesund­heits­för­de­rung und Präven­tion und beglei­ten Menschen mit chroni­schen Erkran­kun­gen.

Präven­tion stärker in den Fokus nehmen

Aktuell liegt der Fokus des Gesund­heits­sys­tems aller­dings auf der Behand­lung von Krank­hei­ten, nicht auf der Präven­tion. Dementspre­chend ist auch das Abrech­nungs­sys­tem aufge­setzt: Viele Leistun­gen wie zum Beispiel Ernäh­rungs­be­ra­tun­gen werden nur bei bestimm­ten Vorer­kran­kun­gen überhaupt von den gesetz­li­chen Kranken­kas­sen übernom­men.

Aber gerade weil lebens­stil­be­dingte Krank­hei­ten immer weiter zuneh­men, ist Präven­tion immer wichti­ger, damit das Gesund­heits­sys­tem langfris­tig bezahl­bar bleibt – was fast alle Befrag­ten (99 Prozent) als oberste Priori­tät nannten.

Ein neues Berufs­bild allein reicht also nicht aus. Vielmehr muss auch entspre­chen­des Regel­werk geschaf­fen werden, damit die Commu­nity Health Nurses ihren Beruf mit abgesi­cher­ter Finan­zie­rung ausüben könnten. Dazu gehört auch die recht­li­che Sicher­heit, Heilbe­hand­lun­gen in einem definier­ten Rahmen durch­zu­füh­ren.

Immer­hin: Der Pflege­not­stand ist im Bewusst­sein der Öffent­lich­keit angekom­men. Dass die Arbeits­be­din­gun­gen für das Pflege­per­so­nal verbes­sert werden, zum Beispiel durch bessere Bezah­lung oder bessere Arbeits­zei­ten halten 97 Prozent der Bundes­bür­ger und Bundes­bür­ge­rin­nen für sehr wichtig oder wichtig.

Kommen­tar: Wie lässt sich verlo­re­nes Vertrauen zurück­ge­win­nen?

Die Politik steht vor keiner leich­ten Aufgabe. Denn die Menschen wünschen sich eine Verbes­se­rung der medizi­ni­schen Versor­gung, gleich­zei­tig nennen aber fast 100 Prozent der Befrag­ten die Bezahl­bar­keit der Gesund­heits­vor­sorge als wichtigs­ten Punkt. Um beiden Wünschen gerecht zu werden, müsste also inves­tiert werden, ohne die Kosten weiter­zu­ge­ben. Es ist fraglich, ob die Kranken­haus­re­form dieses Konflikt auflö­sen kann.

Aber noch ein weite­rer Faktor könnte eine Rolle dabei spielen, dass die Deutschen der Gesund­heits­po­li­tik deutlich weniger vertrauen als 2020: Heute liegen drei Jahre Pande­mie hinter uns. Und in dieser Zeit haben viele Menschen die Gesund­heits­po­li­tik als wider­sprüch­lich erlebt. Sicher: Die Regie­rung hat versucht, neuen Entwick­lung durch verän­derte Maßnah­men gerecht zu werden.

Aber der Großteil der Bevöl­ke­rung hat das erste Mal erlebt, dass auch die Aussa­gen von Wissen­schaft­lern in einer solchen Lage immer wieder revidiert werden müssen – und fühlten sich verun­si­chert von genau den Exper­ten, von denen sie sich Sicher­heit erhofft hatten.

Diese Unsicher­heit dürfte massiv dazu beigetra­gen haben, dass in vielen Bevöl­ke­rungs­grup­pen das Vertrauen in den Sinn der Corona­maß­nah­men im Verlauf der Pande­mie abgenom­men hat – was sich jetzt im verlo­re­nen Glauben an das Gesund­heits­sys­tem nieder­schlägt.

Der Weg zurück hängt also nicht nur vom Gelin­gen der Kranken­haus­re­form ab, sondern auch davon, wie gut die Aufar­bei­tung der letzten Jahre gelingt und ob man die Öffent­lich­keit an diesem Prozess teilha­ben lässt.

Hinter­grund zur Umfrage: Im Rahmen der bundes­wei­ten Unter­su­chung wurden insge­samt 1.850 nach einem syste­ma­ti­schen Zufalls­ver­fah­ren ausge­wählte Perso­nen ab 18 Jahren in Deutsch­land befragt. Die Erhebung erfolgte vom 25. Januar bis 10. Februar 2023.