Diese Erkenntnis könnte nicht nur die HIV-Therapie verbessern. Eine fehlerhafte Signalgebung über diesen Zellrezeptor ist auch mit Erkrankungen wie Krebs, chronischen Entzündungen oder Asthma assoziiert.
Das menschliche Peptidom besteht aus Millionen von Eiweißbausteinen („Peptiden“), von denen nur ein geringer Bruchteil bekannt ist. Um neue antivirale Peptide zu isolieren, durchsuchen Forscherinnen und Forscher des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie sogenannte Peptidbanken. Daraufhin haben die Ulmer Virologen eine besonders spannende Entdeckung gemacht: Sie konnten ein Peptid isolieren, das an den Zellrezeptor CXCR4 bindet. Dieser Rezeptor steuert wichtige Prozesse im menschlichen Körper wie die Organentwicklung, die Immunantwort oder die Zurückhaltung von blutbildenden Stammzellen im Knochenmark. Darüber hinaus ist CXCR4 eine Eintrittspforte des AIDS-Erregers in die Wirtszelle und somit ein interessanter Angriffspunkt für Wirkstoffe.
Bei einer folgenden Analyse stellte sich das als EPI-X4 (Endogenous peptide inhibitor of CXCR4) bezeichnete Peptid als Abbauprodukt von Serum Albumin heraus, dem häufigsten Protein im menschlichen Körper. Die Forscher konnten also ein völlig neues Konzept der Regulation bei dieser Klasse von Zellrezeptoren nachweisen: „Bisher ging man davon aus, dass Rezeptoren wie CXCR4 nur über spezifische Aktivatoren reguliert werden. Nun wissen wir, dass auch der Abbau eines Vorläuferproteins mit ganz anderen Funktionen zur Rezeptor-Hemmung führen kann“, erläutert Professor Münch. Dieser Fund sei sehr wichtig, da fast die Hälfte aller Arzneimittel auf die Regulation solcher Zellrezeptoren ziele.
Und damit nicht genug: Die körpereigene Verbindung EPI-X4 könnte weit über die AIDS-Forschung hinaus bedeutsam sein. Eine gestörte Signalgebung am Zellrezeptor CXCR4 ist nämlich mit verschiedenen Krebsarten, chronischen Entzündungen, kardiovaskulären Erkrankungen und Immunschwäche assoziiert. Dank EPI-X4 lässt sich dieser Rezeptor gezielt ausschalten, um etwa die Krankheitsentstehung nachzuvollziehen und neue Therapieansätze zu entwickeln. „Die Tatsache, dass das Peptid an CXCR4 bindet und den Rezeptor ausschaltet, ist noch viel spannender als die antivirale Wirkung“, sagt Onofrio Zirafi, Erstautor der Publikation. Im Mausmodell haben die Forscherinnen und Forscher bereits gezeigt, dass EPI-X4 Asthma hemmen und Stammzellen mobilisieren kann.