Rechtsdepesche: Wie geht es Ihnen, wenn Sie sehen was in ihrer Heimat passiert?
Svitlana Lutsiv: Es tut sehr, sehr weh. Man kann nicht hinsehen. Am Morgen des Kriegsbeginns (24. Februar, die Red.) kam mein Mann ins Schlafzimmer und sagte: es geht los! Ich habe nicht geglaubt, dass das wirklich passieren könnte. Wir waren schockiert und haben gleich unsere Bekannten und Angehörigen angerufen und gefragt, was da passiert. Sie haben versucht, uns alles zu erklären und dann wurde es von Tag zu Tag schlimmer für sie. Zuerst hat Russland versprochen, Frauen und Kinder zu verschonen. Doch dann ging auch das los; sie schossen auf Frauen und Kinder.
„Russen beschiessen Krankenwagen mit Kindern“
Eine Szene konnten meine Verwandten in der Nähe von Kiew beobachten: ein Krankenwagen hat verletzte Kinder abtransportiert. Der Wagen wurde von Russen beschossen und ging in Flammen auf. Alle waren tot. Stellen Sie sich vor: Die Russen schiessen auf Krankenwagen – das ist schrecklich. Es ist sehr, sehr gefährlich dort. Frauen entbinden in den Kellern, alte Leute können gar nicht raus, Wohnhäuser werden bombardiert.
Der siebenjährige Sohn meiner Schwester hat mich angerufen und gesagt, er könne nicht rennen, er sei starr vor Angst, weil er überall die Geräusche des Krieges hört. Alle dort sind in Panik. So etwas hat man zuletzt 1945 gesehen, aber nicht in unserer Zeit, damit hat keiner gerechnet. Die Leute heute haben doch eigentlich alles, was man zum Leben braucht. Jetzt wollen alle einfach nur noch weg da.
Ukraine: „Wir sammeln Spenden“
Rechtsdepesche: Haben Sie persönlichen Kontakt zu Menschen aus der Ukraine, die gerade auf der Flucht sind?
Lutsiv: Nein, ich nicht direkt. Aber unsere Organisation (Deutsch-Ukrainischer-Pflegeverband e.V.) sammelt Spenden für Hilfsbedürftige und verschickt sie auch. Eine Bekannte hat mich aus der Ukraine angerufen und gefragt, ob wir ihren Eltern helfen könnten. Die harren in Kiew in einem Wohngebäude aus – im 4.Stock. Das Problem ist: sie kommen da nicht runter aus dem Stockwerk, sie sind zu gebrechlich. Also haben wir versucht, Hilfe zu organisieren von hier aus. Dass die beiden nach Lwiw kommen oder in eine Gegend, wo es noch ruhiger ist.
Rechtsdepesche: Was wünschen Sie sich von der deutschen Regierung und der internationalen Gemeinschaft, von Europa, der NATO – was sind Ihre Idealvorstellungen, Wünsche, was sollte jetzt passieren?
Lutsiv: Wir sammeln hier vor Ort in Thüringen Spenden, die dann in die Ukraine geliefert werden. Geld- und Sachspenden. Wir sammeln auch Medizin und Verbandsmaterial für die verletzten Kämpfer in der Ukraine. In den Hospitälern herrscht Notstand, was medizinische Versorgung angeht – da können wir wenigstens etwas tun von hier. Auch Babynahrung ist Mangelware, Schlafsäcke, Thermoskannen und Taschenlampen. Wir müssen zuerst den Menschen vor Ort in der Ukraine helfen!
„Ich befürchte eine Katastrophe für die Welt“
Rechtsdepesche: Glauben Sie, dass das ein friedliches Ende nimmt? Oder glauben Sie eher an eine apokalyptische Katastrophe?
Lutsiv: Ich habe lange gedacht, der Putin wird so etwas nicht machen mit der Ukraine. Obwohl er seit Jahren davon gesprochen hat. Er hat oft gedroht, wenn seine Forderungen nicht erfüllt werden, dann wird es Krieg in der Ukraine geben. Das hat kaum einer gedacht und geglaubt. Deshalb befürchte ich jetzt eine Katastrophe für Europa und die Welt. Es geht auch um die EU. Putin will nicht, dass die Ukraine dort hinein geht. Ich denke oft, das wird noch weiter gehen, wenn er die Ukraine besiegt – aber das wird nicht passieren, hoffe ich.
Sollte er gewinnen, wird er weiter gehen. Der Mann ist krank, ein normaler Mensch kann so etwas nicht machen. Fragt man Russen, wie sie dazu stehen, höre ich: ich kann dazu nichts sagen, ich bekomme Ärger. Die Leute haben einfach Angst vor ihm. Putin will eine Diktatur.
Rechtsdepesche: Viel Glück für die Zukunft und vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Svitlana Lutsiv ist in der ukrainischen Stadt Lwiw geboren und aufgewachsen. Sie ist 28 jahre alt und verheiratet mit Olksander Lutsiv. Die beiden haben zwei Kinder, die in Deutschland geboren sind. Seit 2014 ist das Paar in der Bundesrepublik. Svitlana arbeitet als Krankenschwester in der Neanderklinik Ilfeld, Thüringen.