Eine Pflegedienstleiterin war bei einem ambulanten Pflegedienst in Vollzeit angestellt. Der Arbeitsvertrag sah fünf Arbeitstage in der Woche mit einer Arbeitszeit von 38,5 Stunden vor. Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie alle Pausen waren nicht fest geregelt und konnten je nach Arbeitsaufkommen variieren.
Durch den Arbeitsvertrag war ebenfalls geregelt, dass sie bis zu neun Stunden Mehrarbeit pro Woche leisten musste, sofern es betrieblichen Bedarf dafür gab. Auch war sie dazu verpflichtet, auf Anordnung des Arbeitgebers Früh‑, Spät‑, Nacht‑, Sonn- und Feiertagsdienste zu übernehmen. Willkürlich durfte das aber nicht passieren – der Arbeitgeber musste die Arbeitszeiten rechtzeitig ankündigen. Geregelt war auch, dass Mehrarbeit und Überstunden nicht vergütet, sondern durch bezahlte Freizeit ausgeglichen werden.
Zusätzlich sah der Arbeitsvertrag vor, dass weitere Mehrarbeit und Überstunden – im Rahmen der gesetzlichen Regelungen – auf Anordnung des Arbeitgebers zu leisten sind. Diese werden nur dann ausgeglichen, wenn sie tatsächlich angeordnet und oder im Nachhinein genehmigt wurden.
Der Unterschied zwischen Mehrarbeit und Überstunden
Mehrarbeit meint die Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit. Überstunden sind die Überschreitung der vertraglich geregelten regelmäßigen Arbeitszeit und werden vom Arbeitgeber angeordnet.
Eigene Überstunden selbst angeordnet
Als Pflegedienstleiterin war sie selbst für die Erstellung der Dienstpläne und die Einteilung ihrer eigenen Arbeitszeit und der ihrer Kolleginnen und Kollegen zuständig. Die entsprechenden Arbeitszeitnachweise leitete sie an den Steuerberater des Pflegedienstes weiter, übermittelte jeweils eine Kopie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und legte eine weitere Kopie in einem Ordner ab. Die Geschäftsführung des Pflegedienstes wusste also von sämtlichen Arbeitszeitnachweisen, zeichnete diese jedoch nie ab.
Zusätzlich zu diesen Nachweisen führte die Pflegedienstleiterin eine handschriftliche Liste, in denen sie sämtliche Plus- und Minusstunden der Mitarbeitenden aufführte. Diese fotografierte sie ab und schickte das Foto ihrer Chefin per WhatsApp. Die entgegnete nur: „Ich habe gesagt, dass es nicht sein kann, dass du so viele Überstunden hast. Darüber reden wir gern nochmals morgen“.
Im darauffolgenden Gespräch stellte die Chefin klar, dass sie die zusätzliche Arbeit nicht angeordnet hatte und es dementsprechend keinen Ausgleich geben werden. Ferner glaube sie nicht, dass tatsächlich so viel mehr gearbeitet hat, wie von der Pflegedienstleiterin aufgeführt. Daraufhin kündigte die Pflegedienstleiterin ihre Stelle und arbeitete vorerst noch einige Wochen weiter, ehe sie Urlaub nahm und bezahlte Freizeit wegen geleisteter Überstunden beanspruchte.
PDL klagt, weil Chefin keine Überstunden ausgleichen will
Für die restlichen 242,8 Überstunden verlangte sie eine entsprechende Vergütung und klagte deshalb vor dem Arbeitsgericht in Hamburg. Ihrer Meinung nach war sie als Pflegedienstleiterin dazu berechtigt, selbst zu beurteilen, ob und wie viel zusätzliche Arbeit sie und ihre Kolleginnen und Kollegen zu leisten hatten – eine zusätzliche Genehmigung durch die Geschäftsführung sei somit obsolet.
Die Gerichte sahen die Sache jedoch etwas anders. Die Klage hatte somit keinen Erfolg – weder das Arbeitsgericht in erster Instanz noch das Landesarbeitsgericht in zweiter konnten einen Vergütungsanspruch zugunsten der ehemaligen Pflegedienstleiterin feststellen. Nach Ansicht des Gerichts konnte sie nicht schlüssig und glaubwürdig darlegen, dass sie die Arbeitsleistung – über das bereits ausgeglichene Pensum hinaus – auch tatsächlich erbracht hat. Zudem konnte sie nicht zeigen, dass ihre Chefin die Überstunden angeordnet, gebilligt oder geduldet hätte.
Unklare und unglaubwürdige Darstellung
Grundsätzlich ist es so, dass eine Arbeitnehmerin, möchte sie einen Ausgleich für geleistete Überstunden haben, diese auch darlegen und ggf. beweisen muss. Das funktioniert in erster Linie nur durch schriftliche Angaben, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten sie gearbeitet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Darüber hinaus können auch weitere Anlagen beigefügt werden, die zur zusätzlichen Erläuterung dienen können. Diese können aber nicht den schriftlichen Vortrag ersetzen. Diesen Vorgaben ist die ehemalige Personaldienstleiterin allerdings nicht nachgekommen.
Grund für die Entscheidung der Gerichte war im wesentlichen die mangelnde Glaubwürdigkeit der Angaben der Frau. Zwar reichte sie Arbeitsnachweise ein, diese hatte sie jedoch selbst handschriftlich erstellt. Entsprechend konnten diese Nachweise nicht als Beweismittel dienen, sondern nur als Ergänzung herangezogen werden.
Besonders problematisch war für das Gericht, dass sich die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen widersprachen. So stimmten die Angaben in einem Besuchsplan nicht mit den Einträgen in den Stundenaufzeichnungen überein – weder hinsichtlich der Arbeitszeiten noch der Tätigkeiten. Das nährte Zweifel an der Richtigkeit der Dokumentation und führte zur Annahme, dass die Angaben teilweise „ins Blaue hinein“ gemacht wurden – also ohne belastbare Grundlage.
Widerspruchslose Kenntnis reicht nicht aus
So oder so sei die Frage, ob die Frau tatsächlich zusätzliche Arbeit geleistet hat oder nicht, für den Urteilsspruch nicht entscheidend. Denn selbst wenn sie noch weitere Arbeit erbracht hätte, konnte sie vor Gericht nicht darlegen, dass diese auch von ihrer Chefin veranlasst wurde. Hier greift § 611 Absatz 1 BGB, nach dem der Arbeitgeber nur Überstunden ausgleichen muss, wenn er diese selbst angeordnet, gebilligt, geduldet oder die entsprechende zusätzliche Arbeit notwendig war.
Laut Gericht müssen folgende Grundsätze von Arbeitnehmern beachtet werden, wenn sie für Überstunden einen Ausgleich erhalten wollen:
- Es muss dargelegt werden, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat.
- Es muss dargelegt werden, dass die Arbeit tatsächlich nicht in der Normalarbeitszeit zu leisten war oder die Arbeit nur in einem Zeitrahmen möglich war, der nur durch Überstunden eingehalten werden konnte.
- Ist eine Monatsarbeitszeit vereinbart, muss zudem dargelegt werden, dass die Arbeit nicht auch an einem anderen Tag hätte ausgeglichen werden können. Hierfür muss konkret und tagesbezogen erläutert werden, welche einzelnen Tätigkeiten in einem bestimmten Zeitraum (Tag, Woche Monat) aufgrund der Aufgabenzuweisung durch den Arbeitgeber vom Arbeitnehmer zu erledigen waren, welche Zeit diese Tätigkeiten im Einzelnen beanspruchten und weshalb es nicht möglich war, die anfallenden Aufgaben innerhalb der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit zu erledigen.
- Gibt es keine ausdrückliche Anordnung, muss dargelegt werden, inwiefern die Überstunden gebilligt wurden. Dazu muss der Arbeitnehmer zeigen, wer wann auf welche Wiese zu erkennen gegeben hat, mit der Leistung einverstanden zu sein.
- Beruft der Arbeitnehmer sich auf die Duldung der zusätzlichen Arbeit, muss er darlegen, von welchen wann geleistet Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll. Die Duldung setzt voraus, dass der Arbeitgeber zwar davon wusste, jedoch nichts unternommen hat, um die Arbeit zu unterbinden.
Keiner der genannten Punkte wurde nach Ansicht der Gerichts von der Klägerin erfüllt. Eine einfache Entgegennahme von Arbeitszeitnachweisen durch den Arbeitgeber – etwa per WhatsApp – ist noch keine Billigung von Überstunden. Der Arbeitgeber muss erkennen lassen, dass er mit den zusätzlichen Stunden einverstanden ist. Ein solcher Nachweis wurde nicht erbracht. Zudem gilt: Nur weil der Arbeitgeber zugegen war, als die Überstunden erbracht wurden, kann das nicht als Anordnung oder Billigung für Überstunden gewertet werden.
Auch eine Duldung konnte das Gericht nicht erkennen. Die Klägerin hatte die übermittelten Stunden nicht mit dem Hinweis versehen, dass es sich um erhebliche Überstunden handelte. Als die Geschäftsführerin schließlich von den angesammelten Plusstunden erfuhr, griff sie ein – laut Gericht ein Zeichen dafür, dass sie bei früherer Kenntnis ebenfalls reagiert hätte.
Dass die Frau als ehemalige Pflegedienstleiterin eine Handlungsvollmacht ihrer Chefin erhalten habe und somit „Überstundenanweisung an sich selbst“ ausstellen konnte, ist nach Auffassung des Gerichts ebenfalls falsch. Eine solche Handlungsvollmacht bestehe nur für die Vertretung des Unternehmens nach außen.
Leitsatz
Die Billigung von Überstunden setzt voraus, dass der Arbeitgeber zu erkennen gibt, mit der schon erfolgten Leistung bestimmter Überstunden einverstanden zu sein. Das muss nicht ausdrücklich erfolgen und kann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber oder ein für ihn handelnder Vorgestzter des Arbeitnehmers eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet und damit sein Einverständnis mit einer Überstundenleistung ausdrückt.
FAQ
Wer darf Überstunden anordnen?
Überstunden dürfen ausschließlich vom Arbeitgeber oder einer dazu bevollmächtigten Führungskraft angeordnet werden. Eine eigenständige Anordnung durch Arbeitnehmer – auch durch leitende Pflegekräfte wie Pflegedienstleitungen – ist rechtlich nicht zulässig.
Wer muss Überstunden nachweisen?
Der Arbeitnehmer trägt die Beweislast für geleistete Überstunden. Er muss detailliert darlegen, wann, in welchem Umfang und auf wessen Veranlassung die zusätzliche Arbeit geleistet wurde – reine Arbeitszeitnachweise ohne Anordnung oder Genehmigung genügen nicht.
Wo sind Überstunden im Gesetz geregelt?
Die rechtlichen Bestimmungen zu Überstunden finden sich vor allem in arbeitszeitrechtlichen Vorschriften wie dem Arbeitszeitgesetz – hier speziell § 3 ArbZG – und in § 611a BGB. Weitere Bestimmungen enthält in der Regel der Arbeitsvertrag.
Quelle: LAG Hamburg vom 6.2.2024 – 6 Sa 14/23