Überstunden
Ein Urteil des Landes­ar­beits­ge­richts Hamburg zeigt, wie Überstun­den richtig dokumen­tiert werden müssen. Bild: © Yuri Arcurs | Dreamstime.com

Eine Pflege­dienst­lei­te­rin war bei einem ambulan­ten Pflege­dienst in Vollzeit angestellt. Der Arbeits­ver­trag sah fünf Arbeits­tage in der Woche mit einer Arbeits­zeit von 38,5 Stunden vor. Beginn und Ende der Arbeits­zeit sowie alle Pausen waren nicht fest geregelt und konnten je nach Arbeits­auf­kom­men variie­ren.

Durch den Arbeits­ver­trag war ebenfalls geregelt, dass sie bis zu neun Stunden Mehrar­beit pro Woche leisten musste, sofern es betrieb­li­chen Bedarf dafür gab. Auch war sie dazu verpflich­tet, auf Anord­nung des Arbeit­ge­bers Früh‑, Spät‑, Nacht‑, Sonn- und Feier­tags­dienste zu überneh­men. Willkür­lich durfte das aber nicht passie­ren – der Arbeit­ge­ber musste die Arbeits­zei­ten recht­zei­tig ankün­di­gen. Geregelt war auch, dass Mehrar­beit und Überstun­den nicht vergü­tet, sondern durch bezahlte Freizeit ausge­gli­chen werden.

Zusätz­lich sah der Arbeits­ver­trag vor, dass weitere Mehrar­beit und Überstun­den – im Rahmen der gesetz­li­chen Regelun­gen – auf Anord­nung des Arbeit­ge­bers zu leisten sind. Diese werden nur dann ausge­gli­chen, wenn sie tatsäch­lich angeord­net und oder im Nachhin­ein geneh­migt wurden.

Der Unter­schied zwischen Mehrar­beit und Überstun­den

Mehrar­beit meint die Überschrei­tung der gesetz­li­chen Höchst­ar­beits­zeit. Überstun­den sind die Überschrei­tung der vertrag­lich geregel­ten regel­mä­ßi­gen Arbeits­zeit und werden vom Arbeit­ge­ber angeord­net.

Eigene Überstun­den selbst angeord­net

Als Pflege­dienst­lei­te­rin war sie selbst für die Erstel­lung der Dienst­pläne und die Eintei­lung ihrer eigenen Arbeits­zeit und der ihrer Kolle­gin­nen und Kolle­gen zustän­dig. Die entspre­chen­den Arbeits­zeit­nach­weise leitete sie an den Steuer­be­ra­ter des Pflege­diens­tes weiter, übermit­telte jeweils eine Kopie an die Mitar­bei­te­rin­nen und Mitar­bei­ter und legte eine weitere Kopie in einem Ordner ab. Die Geschäfts­füh­rung des Pflege­diens­tes wusste also von sämtli­chen Arbeits­zeit­nach­wei­sen, zeich­nete diese jedoch nie ab.

Zusätz­lich zu diesen Nachwei­sen führte die Pflege­dienst­lei­te­rin eine handschrift­li­che Liste, in denen sie sämtli­che Plus- und Minus­stun­den der Mitar­bei­ten­den aufführte. Diese fotogra­fierte sie ab und schickte das Foto ihrer Chefin per Whats­App. Die entgeg­nete nur: „Ich habe gesagt, dass es nicht sein kann, dass du so viele Überstun­den hast. Darüber reden wir gern nochmals morgen“.

Im darauf­fol­gen­den Gespräch stellte die Chefin klar, dass sie die zusätz­li­che Arbeit nicht angeord­net hatte und es dementspre­chend keinen Ausgleich geben werden. Ferner glaube sie nicht, dass tatsäch­lich so viel mehr gearbei­tet hat, wie von der Pflege­dienst­lei­te­rin aufge­führt. Darauf­hin kündigte die Pflege­dienst­lei­te­rin ihre Stelle und arbei­tete vorerst noch einige Wochen weiter, ehe sie Urlaub nahm und bezahlte Freizeit wegen geleis­te­ter Überstun­den beanspruchte.

PDL klagt, weil Chefin keine Überstun­den ausglei­chen will

Für die restli­chen 242,8 Überstun­den verlangte sie eine entspre­chende Vergü­tung und klagte deshalb vor dem Arbeits­ge­richt in Hamburg. Ihrer Meinung nach war sie als Pflege­dienst­lei­te­rin dazu berech­tigt, selbst zu beurtei­len, ob und wie viel zusätz­li­che Arbeit sie und ihre Kolle­gin­nen und Kolle­gen zu leisten hatten – eine zusätz­li­che Geneh­mi­gung durch die Geschäfts­füh­rung sei somit obsolet.

Die Gerichte sahen die Sache jedoch etwas anders. Die Klage hatte somit keinen Erfolg – weder das Arbeits­ge­richt in erster Instanz noch das Landes­ar­beits­ge­richt in zweiter konnten einen Vergü­tungs­an­spruch zuguns­ten der ehema­li­gen Pflege­dienst­lei­te­rin feststel­len. Nach Ansicht des Gerichts konnte sie nicht schlüs­sig und glaub­wür­dig darle­gen, dass sie die Arbeits­leis­tung – über das bereits ausge­gli­chene Pensum hinaus – auch tatsäch­lich erbracht hat. Zudem konnte sie nicht zeigen, dass ihre Chefin die Überstun­den angeord­net, gebil­ligt oder gedul­det hätte.

Unklare und unglaub­wür­dige Darstel­lung

Grund­sätz­lich ist es so, dass eine Arbeit­neh­me­rin, möchte sie einen Ausgleich für geleis­tete Überstun­den haben, diese auch darle­gen und ggf. bewei­sen muss. Das funktio­niert in erster Linie nur durch schrift­li­che Angaben, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten sie gearbei­tet hat oder sich auf Weisung des Arbeit­ge­bers zur Arbeit bereit­ge­hal­ten hat. Darüber hinaus können auch weitere Anlagen beigefügt werden, die zur zusätz­li­chen Erläu­te­rung dienen können. Diese können aber nicht den schrift­li­chen Vortrag erset­zen. Diesen Vorga­ben ist die ehema­lige Perso­nal­dienst­lei­te­rin aller­dings nicht nachge­kom­men.

Grund für die Entschei­dung der Gerichte war im wesent­li­chen die mangelnde Glaub­wür­dig­keit der Angaben der Frau. Zwar reichte sie Arbeits­nach­weise ein, diese hatte sie jedoch selbst handschrift­lich erstellt. Entspre­chend konnten diese Nachweise nicht als Beweis­mit­tel dienen, sondern nur als Ergän­zung heran­ge­zo­gen werden.

Beson­ders proble­ma­tisch war für das Gericht, dass sich die von der Kläge­rin vorge­leg­ten Unter­la­gen wider­spra­chen. So stimm­ten die Angaben in einem Besuchs­plan nicht mit den Einträ­gen in den Stunden­auf­zeich­nun­gen überein – weder hinsicht­lich der Arbeits­zei­ten noch der Tätig­kei­ten. Das nährte Zweifel an der Richtig­keit der Dokumen­ta­tion und führte zur Annahme, dass die Angaben teilweise „ins Blaue hinein“ gemacht wurden – also ohne belast­bare Grund­lage.

Wider­spruchs­lose Kennt­nis reicht nicht aus

So oder so sei die Frage, ob die Frau tatsäch­lich zusätz­li­che Arbeit geleis­tet hat oder nicht, für den Urteils­spruch nicht entschei­dend. Denn selbst wenn sie noch weitere Arbeit erbracht hätte, konnte sie vor Gericht nicht darle­gen, dass diese auch von ihrer Chefin veran­lasst wurde. Hier greift § 611 Absatz 1 BGB, nach dem der Arbeit­ge­ber nur Überstun­den ausglei­chen muss, wenn er diese selbst angeord­net, gebil­ligt, gedul­det oder die entspre­chende zusätz­li­che Arbeit notwen­dig war.

Laut Gericht müssen folgende Grund­sätze von Arbeit­neh­mern beach­tet werden, wenn sie für Überstun­den einen Ausgleich erhal­ten wollen:

  • Es muss darge­legt werden, wer wann auf welche Weise wie viele Überstun­den angeord­net hat.
  • Es muss darge­legt werden, dass die Arbeit tatsäch­lich nicht in der Normal­ar­beits­zeit zu leisten war oder die Arbeit nur in einem Zeitrah­men möglich war, der nur durch Überstun­den einge­hal­ten werden konnte.
  • Ist eine Monats­ar­beits­zeit verein­bart, muss zudem darge­legt werden, dass die Arbeit nicht auch an einem anderen Tag hätte ausge­gli­chen werden können. Hierfür muss konkret und tages­be­zo­gen erläu­tert werden, welche einzel­nen Tätig­kei­ten in einem bestimm­ten Zeitraum (Tag, Woche Monat) aufgrund der Aufga­ben­zu­wei­sung durch den Arbeit­ge­ber vom Arbeit­neh­mer zu erledi­gen waren, welche Zeit diese Tätig­kei­ten im Einzel­nen beanspruch­ten und weshalb es nicht möglich war, die anfal­len­den Aufga­ben inner­halb der vertrag­lich geschul­de­ten Arbeits­zeit zu erledi­gen.
  • Gibt es keine ausdrück­li­che Anord­nung, muss darge­legt werden, inwie­fern die Überstun­den gebil­ligt wurden. Dazu muss der Arbeit­neh­mer zeigen, wer wann auf welche Wiese zu erken­nen gegeben hat, mit der Leistung einver­stan­den zu sein.
  • Beruft der Arbeit­neh­mer sich auf die Duldung der zusätz­li­chen Arbeit, muss er darle­gen, von welchen wann geleis­tet Überstun­den der Arbeit­ge­ber auf welche Weise wann Kennt­nis erlangt haben soll. Die Duldung setzt voraus, dass der Arbeit­ge­ber zwar davon wusste, jedoch nichts unter­nom­men hat, um die Arbeit zu unter­bin­den.

Keiner der genann­ten Punkte wurde nach Ansicht der Gerichts von der Kläge­rin erfüllt. Eine einfa­che Entge­gen­nahme von Arbeits­zeit­nach­wei­sen durch den Arbeit­ge­ber – etwa per Whats­App – ist noch keine Billi­gung von Überstun­den. Der Arbeit­ge­ber muss erken­nen lassen, dass er mit den zusätz­li­chen Stunden einver­stan­den ist. Ein solcher Nachweis wurde nicht erbracht. Zudem gilt: Nur weil der Arbeit­ge­ber zugegen war, als die Überstun­den erbracht wurden, kann das nicht als Anord­nung oder Billi­gung für Überstun­den gewer­tet werden.

Auch eine Duldung konnte das Gericht nicht erken­nen. Die Kläge­rin hatte die übermit­tel­ten Stunden nicht mit dem Hinweis verse­hen, dass es sich um erheb­li­che Überstun­den handelte. Als die Geschäfts­füh­re­rin schließ­lich von den angesam­mel­ten Plusstun­den erfuhr, griff sie ein – laut Gericht ein Zeichen dafür, dass sie bei frühe­rer Kennt­nis ebenfalls reagiert hätte.

Dass die Frau als ehema­lige Pflege­dienst­lei­te­rin eine Handlungs­voll­macht ihrer Chefin erhal­ten habe und somit „Überstun­den­an­wei­sung an sich selbst“ ausstel­len konnte, ist nach Auffas­sung des Gerichts ebenfalls falsch. Eine solche Handlungs­voll­macht bestehe nur für die Vertre­tung des Unter­neh­mens nach außen.

Leitsatz

Die Billi­gung von Überstun­den setzt voraus, dass der Arbeit­ge­ber zu erken­nen gibt, mit der schon erfolg­ten Leistung bestimm­ter Überstun­den einver­stan­den zu sein. Das muss nicht ausdrück­lich erfol­gen und kann angenom­men werden, wenn der Arbeit­ge­ber oder ein für ihn handeln­der Vorgestz­ter des Arbeit­neh­mers eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeich­net und damit sein Einver­ständ­nis mit einer Überstun­den­leis­tung ausdrückt.

FAQ

Wer darf Überstun­den anord­nen?

Überstun­den dürfen ausschließ­lich vom Arbeit­ge­ber oder einer dazu bevoll­mäch­tig­ten Führungs­kraft angeord­net werden. Eine eigen­stän­dige Anord­nung durch Arbeit­neh­mer – auch durch leitende Pflege­kräfte wie Pflege­dienst­lei­tun­gen – ist recht­lich nicht zuläs­sig.

Wer muss Überstun­den nachwei­sen?

Der Arbeit­neh­mer trägt die Beweis­last für geleis­tete Überstun­den. Er muss detail­liert darle­gen, wann, in welchem Umfang und auf wessen Veran­las­sung die zusätz­li­che Arbeit geleis­tet wurde – reine Arbeits­zeit­nach­weise ohne Anord­nung oder Geneh­mi­gung genügen nicht.

Wo sind Überstun­den im Gesetz geregelt?

Die recht­li­chen Bestim­mun­gen zu Überstun­den finden sich vor allem in arbeits­zeit­recht­li­chen Vorschrif­ten wie dem Arbeits­zeit­ge­setz – hier spezi­ell § 3 ArbZG – und in § 611a BGB. Weitere Bestim­mun­gen enthält in der Regel der Arbeits­ver­trag.

Quelle: LAG Hamburg vom 6.2.2024 – 6 Sa 14/23