Sachverhalt
An der Uniklinik Göttingen hat ein Arzt in den Jahren 2010 und 2011 Lebertransplantationen durchgeführt. Die Organe wurden postmortal gespendet. Er soll in elf Fällen die Organe nicht nach den vorgeschriebenen Regeln verteilt haben und zudem in drei Fällen Transplantationen ohne medizinische Indikation durchgeführt haben. Daher wird ihm versuchter Totschlag vorgeworfen sowie Körperverletzung mit Todesfolge, da er anderen den Zugang zu Spendeorganen verwehrt und ihren Tod damit in Kauf genommen habe.
Entscheidung des Landgerichts Göttingen
Das Landgericht Göttingen hatte den Angeklagten im Urteil aus dem Jahr 2015 (Az.: 6 Ks 4/13) freigesprochen. Es konnte vom Landgericht festgestellt werden, dass der Angeklagte in sechs Fällen falsche Angaben gegenüber Eurotransplant gemacht hatte. Er gab an, dass bei den jeweiligen Patienten kurz zuvor eine Nierenersatztherapie gemacht wurde, was allerdings nicht der Wahrheit entsprach. Durch diese Angabe wurden entscheidende Blutwerte manipuliert, die letztlich zu einem höheren Platz auf der Warteliste führten. Die ihnen übertragenen Organe hätten sie ohne diese Falschangabe nicht erhalten.
Weiterhin hat der Angeklagte Patienten in die Warteliste aufgenommen, obwohl sie die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllten, allerdings nur in zwei Fällen. Für die Aufnahme ist es erforderlich, dass die Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose für sechs Monate abstinent sein müssen. Der Göttinger Arzt war sich darüber im Klaren. Ohne eine Transplantation hätten die Patienten die vorgeschriebene Abstinenzzeit allerdings nicht überlebt.
„Freispruch“ lautet das Urteil. Die Transplantationen waren alle akut notwendig und sind „nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt“ worden. Auch habe er keine besonderen Gegenleistungen verlangt oder erhalten und auch nicht mit Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz gehandelt. Zudem habe er „begründet darauf vertraut“, dass andere Patienten auf der Liste keinen Schaden davontragen.
Entscheidung des BGH
Die Staatsanwaltschaft hatte Revision und eine Sachrüge eingelegt, da sie das Urteil des Landgerichts Göttingen in acht Fällen mit dem Vorwurf des versuchten Totschlags beanstandete.
Laut dem BGH könne versuchter Totschlag nur angenommen werden, wenn durch seine Manipulationen anderen Patienten eine Transplantation verwehrt wurde, die mit dem Organ überlebt hätten, ohne jedoch verstorben wären. Körperverletzung liege vor, wenn andere Patienten durch die Benachteiligung einen verschlimmerten Zustand oder ein verlängertes Leiden erfahren.
Davon könne jedoch nicht ausgegangen werden. Es bestehen hohe Wahrscheinlichkeiten, dass sich die Organe für die „übersprungenen“ Patienten nicht geeignet hätten, sie es aufgrund instabiler Zustände nicht hätten transplantiert bekommen können oder es möglicherweise abgestoßen hätten. Der Angeklagte sei ein erfahrener Arzt im Transplantationswesen, sodass er diese Wahrscheinlichkeiten kannte.
Die Bestimmung der vorgeschriebenen Abstinenzzeit wurde vom Landgericht zudem als verfassungswidrig erklärt worden. Der BGH stimmt darin überein und sieht eine Verletzung dieser Bestimmung nicht als „strafrechtsbegründend“ an.
Das Urteil des Landgerichts Göttingen und somit der Freispruch des Arztes wurden somit am 28.Juni 2017 vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) bestätigt (Az.: 5 StR 20/16).
Quelle: BGH