In einem Ärztehaus mit verschiedenen Fachärzten praktizierte auch ein niedergelassener Anästhesist. Er war in die jeweiligen ambulanten Operationen in den ansässigen Facharztpraxen eingebunden. Hierbei ging er regelmäßig nach einem strikten Schema unter Einhaltung eines engen zeitlichen Rahmens vor.
Nachdem die Patientin im vorliegenden Fall vom Operateur eine vorbereitende Infusion unter anderen mit Buscopan und Novalgin erhalten hatte, verabreichte der Anästhesist einen hoch dosierten Cocktail an Narkose- und Schmerzmedikamenten (Dormicum, Propofol, Rapifen), um nach eigener Aussage eine „Analgosedierung“ herbeizuführen.
Sachverhalt
Die verwendeten Dosen lagen allerdings unter Berücksichtigung der Dosierungsempfehlungen erheblich oberhalb des für eine Sedierung Erforderlichen. Den erreichten Zustand hielt der Anästhesist unter Verwendung mehrerer Nachinjektionen mit Propofol aufrecht. Zudem wurde die Patientin mit einer Larynxmaske versorgt. Während der Narkose wurde ein EKG nicht abgeleitet. Das Pulsoxymeter war auf eine Sauerstoffsättigung von 80 % eingestellt. In der Folge verließ der Anästhesist während der OP die Räumlichkeiten, da die Zeit drängte und er bereits die nächste Anästhesie in einer anderen Praxis vorbereiten wollte. Da er von einer baldigen Beendigung der Operation und der Narkose ausging, ließ er zuvor etwas Luft aus der Larynxmaske ab.
Unbemerkt von dem Operateur, der seine Tätigkeit fortsetzte, verstarb die Patientin an einem medikamentös induzierten Herz- und Kreislaufstillstand. Der zurückkehrende Anästhesist erkannte die Situation und versuchte, die Patientin zu reanimieren. Erst jetzt ließ er allerdings die hierfür notwendigen Geräte aus der Anästhesiepraxis herbeischaffen, wodurch wertvolle Zeit verschenkt wurde.
Die Reanimation blieb erfolglos.
Der Anästhesist teilte später mit, er sei beim Verlassen des OP davon ausgegangen, dass die Patientin sich wieder in der Aufwachphase befände und dass seine Anwesenheit daher nicht mehr benötigt werde. Außerdem seien der Operateur und dessen erfahrene Arzthelferin zugegen gewesen, die die Patientin im Blick gehabt hätten.
Rechtliche Beurteilung
Im Rahmen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens gegen die beiden beteiligten Ärzte zeigte der medizinische Gutachter verschiedene Mängel auf.
So habe es sich vorliegend unabhängig davon, welche Bezeichnung der Anästhesist wählte, nicht um eine Analgosedierung, sondern um eine totale intravenöse Anästhesie (TIVA) gehandelt. In dieser Situation sei die Patientin ohne Bewusstsein und nicht in der Lage, ihre Atemwege selbst offen zu halten. Die gewählte Art der Anästhesie machte nach Aussage des Gutachters die Führung durch einen Anästhesisten erforderlich, da lebenserhaltende Reflexe beeinträchtigt oder ausgeschaltet seien.
So sei die kontinuierliche Überwachung, Stützung und Aufrechterhaltung vitaler Organfunktionen wie Blutdruck, Atmung und Bewusstseinszustand durch den Narkosearzt unverzichtbar. Hierzu seien ein Narkosegerät mit Monitor, ein EKG-Monitor, eine nicht invasive Blutdruckmessung, das korrekt eingestellte Pulsoxymeter sowie ein Kapnometer zur Überprüfung der ausgeatmeten CO2-Konzentration erforderlich. Eine Alarmeinstellung des Oxymeters bei 80 Prozent Sauerstoffsättigung sei unzureichend, da dieser Wert bereits eine gravierende Mangelversorgung bedeute.
Kontinuierliche Überwachung durch den Narkosearzt unverzichtbar
Die Notwendigkeit der permanenten Überwachung durch einen Anästhesisten gelte auch insbesondere für die Einleitung der Narkose sowie die riskante Aufwachphase. Aufgrund der Dosierung der verwendeten Medikamente habe die Gefahr kardiovaskulärer Nebenwirkungen bestanden. Eine Lebensgefahr für die Patientin war daher absehbar, der aber bei Anwesenheit des Anästhesisten wirksam hätte begegnet werden können. Zudem sei zu berücksichtigen, dass bei Reduzierung des Drucks der Larynxmaske diese leichter verrutschen und so die Atemwege blockieren könne.
Durch sein Verlassen der narkotisierten Patientin hat der Anästhesist nach Auffassung des Gutachters seine Pflichten erheblich verletzt und den Tod der Patientin (mit-)verschuldet.
Außerdem sei generell eine Notfallvorsorge bei der Vornahme ambulanter Operationen sicherzustellen. Hierzu gehöre die apparative, medikamentöse und personelle Ausstattung sowie die Durchführung veziehungsweise Teilnahme an regelmäßigen Schulungen im Notfallmanagement.
Der den Eingriff durchführende Arzt und seine Assistentin waren zeitlich und fachlich nicht in der Lage, die Überwachung der Anästhesie zu leisten. Sie verfügten zum einen über keine fachanästhesiologische Qualifikation. Es gab darüber hinaus keinerlei diesbezügliche Absprache zwischen dem Anästhesisten und dem Operateur. Zudem lag dessen Fokus auf dem Operationsgeschehen. Es standen keinerlei Vorinformationen über den Narkoseverlauf zur Verfügung.
Nach Auskunft des Gutachters hätte allerdings der Operateur in dem Augenblick, als der Anästhesist die Praxis verließ, die Operation unterbrechen müssen, um Hilfe zu holen. Er habe sich nicht darauf zurückziehen dürfen, dass es sich hier nicht um seinen Verantwortungsbereich handele.
Die Geschädigte war ihrem pflegebedürftigen Ehemann sowie den beiden Kindern (5 und 8 Jahre alt) unterhaltspflichtig. Es stehen Schmerzensgeld- sowie Unterhaltsansprüche im sechsstelligen Bereich im Raume.
Zudem drohen einem oder beiden beteiligten Ärzten strafrechtliche Konsequenzen wegen fahrlässiger Tötung in Form einer Geld- oder Freiheitsstrafe.
Dieser Beitrag erschien in seiner ursprünglichen From erstmalig im MedLetter 10/2014.
Von Ass. jur. Gabriele Anstoots, HDI