Nicht nur ein Blick auf die Oberarme oder Beine von Fußball-Bundesligaprofis oder Musikern zeigt es, sondern auch der Eindruck aus einer x‑beliebigen Pflegestation in Deutschland: Tätowierungen sind längst keine Spezialität von Seefahrern oder (ehemaligen) Häftlingen mehr, sondern sind im breiten Mainstream angekommen. Laut einer Studie des Statistikportals Statista von 2021 tragen 24 Prozent der Deutschen mindestens ein Tattoo auf der Haut, 14 Prozent sogar mehrere. Je jünger, desto ausgeprägter ist dabei die Vorliebe zur Tattoo-Kunst.
Auch Piercings – das Durchstechen der Haut für Schmuckstücke wie Metallringe oder Anhänger – ist demnach gang und gäbe, auch jenseits des „klassischen“ und weithin akzeptierten Ohrrings oder ‑anhängers.
So tragen 33 Prozent der Deutschen zwei oder mehr Piercings am Körper. Als Piercing-Stellen beliebt sind Augenbrauen oder die Nase, auch der Bauchnabel oder (seltener) die Brustwarzen. Bei den Tattoos ist der / die Oberarm(e) beliebteste Lage für das individuelle Motiv – doch auch Hände, Hals, Beine und (seltener) das Gesicht sind mögliche Stellen.
Nicht mehr so gefragt ist das Steißbein als Tätowierstelle – hier ist das sogenannte „A…-Geweih“, das um die Jahrtausendwende schwer angesagt war, seit mindestens einem Jahrzehnt mega-out und Gegenstand von Spott.
Hygiene-Frage: Besser Vorsicht als Nachsicht, vor allem bei Piercings
Doch vor allem, wenn sich die Piercings häufen, oder sich Tattoos deutlich sichtbar auf dem nicht typischerweise von Kleidung bedeckten Körperteilen erstrecken – Gesicht, Hals, Unterarme, Hände – stellt sich für manche Arbeitgeber die Frage, ob das Erscheinungsbild Patienten und Besuchern noch „zumutbar“ ist. Gerade im Fall von Piercings gibt es auch ein hygienisches Problem, denn die Körperöffnungen können ein Aus- oder Einfallstor für Keime sein, oder die Ringe könnten sich während einer Tätigkeit verheddern. Eine gewisse Vorsicht vor dem Gang zum Tattoo- oder Piercings-Studio ist für Pflegekräfte also geboten.
Hinsichtlich des hygienischen Risikos gibt das Robert Koch-Institut (RKI) eine Teilentwarnung: „Von einem reizlosen Piercing oder Tattoo gehen im Stations- oder Praxisalltag keine besonderen Infektionsgefahren aus“, schreibt die oberste Gesundheitsbehörde des Bundes. Allerdings ist das Tragen von Piercings an Händen oder Unterarmen genau wie das Tragen von Ringen, Armbändern und Schmuck verboten, da sie einer korrekten Händehygiene entgegen stehen. Große Piercings können demnach auch eine Eigengefährdung darstellen können, da diese von (beispielsweise panischen oder verwirrten) Patienten oder Bewohnern ergriffen und abgerissen werden könnten.
Tätowierungen weniger bedenklich
Weniger bedenklich scheinen dagegen Tätowierungen zu sein. Allerdings können frisch gestochene, von der Hautoberfläche her noch nicht verheilte Tattoos eine Infektionsgefahr für sich selbst oder andere darstellen. Besonders bei sichtbaren, gegenüber der Umgebung exponierten Tätowierungen sollte man sich daher an Vorgesetzte oder betriebsärztliches Personal wenden, „damit geprüft werden kann, ob bzw. inwieweit die Ausübung der Tätigkeit unter dem Aspekt der Patientensicherheit möglich ist“, so das RKI. Abseits von Piercings sollten auch lange Fingernägel und Nagellack sowie Nagelschmuck in der Pflege ein Tabu sein – ebenfalls wegen der drohenden Gefahr durch Krankheitserreger, die sich unter den Nägeln oder Schmuckstücken sammeln und weitergegeben werden können.
Arbeitsrechtliche Sicht: In der Regel kein Problem – aber es gibt Ausnahmen
Ähnlich wie bei der Hygiene sieht es in der arbeitsrechtlichen Bewertung aus. Kann ein Tattoo ein Einstellungshindernis oder gar ein Kündigungsgrund werden? In der Regel nicht, aber keine Regel ohne Ausnahmen. Die allermeisten Pflegeheime oder Kliniken haben, wie das Alltagsbild auf den Stationen zeigt, offensichtlich kein Problem mit tätowierten Beschäftigten in der Pflege – und Vorschriften oder gar „Dresscodes“ hinsichtlich Tattoos oder Piercings sind die absolute Ausnahme. „In vielen Branchen sind Tätowierungen ein Tabu. Nicht so in der Pflege“, schreibt die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz in einem Fachbeitrag.
Doch Vorsicht: Wer auf besonders große, zahlreiche und auffällige Tätowierungen als Persönlichkeits- und Erkennungsmerkmal setzt, könnte Probleme bekommen. Man denke etwa an konservativ geprägte, kirchliche Einrichtungen auf dem Land. Denn der Bereich des Körperschmucks ist nicht im Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) angesiedelt, der Arbeitgeber hat daher Vertrags-Abschlussfreiheit.
Bei bestehenden Beschäftigungs-Verhältnissen gilt: Der Arbeitgeber kann seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Vorschriften zum äußeren Erscheinungsbild machen – muss das aber mit einem berechtigten Interesse begründen können. Je weiter höher die Tätigkeit angesiedelt ist und je mehr Kundenkontakt der Arbeitsplatz innehat, desto eher könnte es Probleme geben.
Tätowierungen sichtbar oder nicht?
Wenn in der Pflege Tätowierungen auch offener gegenübergetreten wird als beispielsweise bei Banken oder der Polizei, und mitunter sogar als Coolness-Faktor gilt, ist nicht alles unbeschränkt möglich. Da nicht alle älteren Menschen Tattoos und Piercings so offen gegenüberstehen wie die meisten Jüngeren, sollte besonderes Fingerspitzengefühl bei der Motiv-Auswahl herrschen, und ob die Tätowierungen bei normaler Arbeitskleidung sichtbar sind oder nicht.
Besonders bei den bereits angesprochenen kirchlichen Trägern – die zusätzlich noch vom gesetzlich zugebilligten Tendenzschutz profitieren – könnten beispielsweise „schwarze“ Gothic-Motive ein Problem darstellen. Ansonsten herrscht auf dem Pflegemarkt Angebot und Nachfrage – und die Zahl der Arbeitgeber, die Bewerber für die Pflege allein wegen ihres Äußeres zurückweisen, dürfte hinsichtlich der bekannten Personallage deutlich überschaubar sein.