Angesichts der seit dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts von Februar 2020 weitgehend ungeregelten Frage der Suizid-Assistenz in Deutschland drängt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) den Gesetzgeber zu raschem Handeln. „Die BAGSO ruft die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, das Verfahren für einen freiverantwortlichen Suizid und die Hilfe durch Dritte hierbei möglichst bald zu regeln und sich bei der Ausgestaltung im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an der Würde und dem Wert des Lebens auch im hohen Alter zu orientieren“, schreibt der Bundesverband.
Paragraf 217 StGB für verfassungswidrig erklärt – Kontroverse um „Sterbehilfe-Vereine“
Seit dem Aufsehen erregenden Karlsruher Urteil ist geschäftsmäßige Unterstützung beim Suizid nicht mehr von Strafe bedroht. Zuvor hatte der Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs (StGB) bis zu drei Jahre Gefängnis (oder eine Geldstrafe) für all diejenigen vorgesehen, welche „in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“.
Gegen die Regelung hatten damals schwerkranke Patienten, Sterbehilfevereine und Ärzte Verfassungsbeschwerde eingelegt. Als ein Auslöser der politischen Debatte gilt der Vorstoß des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch, der seit 2009 eine organisierte Form der Suizidassistenz nach niederländischem oder schweizerischem Vorbild auch in Deutschland etablieren wollte.
Nun jedoch bestehe die Gefahr, „dass sich Strukturen und Handlungskonzepte entwickeln oder gar etablieren, die politisch nicht gewollt sein können“, erklärte der Dachverband von Vereinen mit Seniorenbezug mit Sitz in Bonn. „So muss sichergestellt werden, dass mit der Not oder der Unsicherheit von Menschen keine Geschäfte gemacht werden.“
Zu seiner Forderung hat die BAGSO eine umfangreiche Stellungnahme vorgelegt. Der Entschluss, sein Leben aus freien Stücken zu beenden, sei meist das Ergebnis eines langen Nachdenkensprozesses (nicht nur) bei älteren Menschen. Neben chronischen Schmerzen seien Pflegebedürftigkeit, Einsamkeit, Depressionen sowie das Gefühl, anderen zur Last zu fallen, häufige Auslöser eines Suizidwunsches.
Seelische Schwankungen bei der Gemütsverfassung könnten allerdings einen enormen Einfluss auf den Willen zum Suizid haben. „Das neu zu regelnde Verfahren der Suizidassistenz muss also der Frage nach der Stabilität (Langfristigkeit) des Sterbewunsches eine besondere Aufmerksamkeit schenken“, heißt es.
BAGSO: Neutrale Beratung soll Voraussetzung für externe Hilfe werden
Bevor jemand externe Hilfe beim Sterben in Anspruch nimmt, müsse dem Rechnung getragen werden. Die BAGSO schlägt hier ein Modell vor, das dem bei Schwangerschaftsabbrüchen ähnelt: Vor einer externen Hilfe, den Sterbewunsch umzusetzen, wäre demnach eine Beratung erforderlich, um die Sterbehilfe durch Dritte rechtlich zulässig zu machen.
„In einer solchen Beratung muss eine umfassende Betrachtung der individuellen Lebenssituation erfolgen; dabei sind auch mögliche Hilfs- und Entlastungsangebote aufzuzeigen und zu erörtern.“ Zwingend notwendig sei, dass diese Beratung durch „staatliche oder staatlich kontrollierte Institutionen durchgeführt werden, die keinerlei Gewinninteressen verfolgen“, schreiben die Initiatoren weiter – sonst bestehe die Gefahr einer Interessen-Kollision.
Neben der Beratungspflicht fordert die BAGSO stärkere Präventionsarbeit, damit es überhaupt gar nicht erst zu Selbstmordgedanken komme. „Eine Suizidgefährdung muss so früh wie möglich erkannt und fachliche sowie menschliche Hilfe angeboten werden“, heißt es.
Hierbei spielten die Förderung von Teilhabe und Inklusion, eine hochwertige medizinische und gegebenenfalls pflegerische Betreuung sowie eine rasche Früherkennung von psychischen Störungen und Nöten eine Rolle. Zudem brauche es eine hochwertige, flächendeckend verfügbare palliative und hospizliche Versorgung. „Auch in Pflegeheimen braucht es eine qualifizierte Hospiz- und Palliativkultur über das bisherige Maß hinaus.“
Über 9000 registrierte offizielle Suizidfälle im Jahr 2020 – Tendenz in vergangenen Jahrzehnten sinkend
Im aktuellsten Berichtsjahr 2020 haben sich in Deutschland – laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes – 9206 Menschen das Leben genommen. Rund 75 Prozent jener, die den Suizid in die Tat umsetzten, waren Männer. Das Durchschnittsalter lag bei 58,5 Jahren. Allerdings ist die Zahl der Selbsttötungen seit einigen Jahrzehnten tendenziell rückläufig. Zum Vergleich: Anfang der 1980er-Jahre lag die Zahl der (offiziell registrierten) Suizide noch bei mehr als 18.000 jährlich; bis zur Jahrtausendwende war die Zahl auf rund 12.000 pro Jahr zurückgegangen.
Zum Dachverband BAGSO gehören derzeit 122 Verbände aus unterschiedlichsten Bereichen, die einen Bezug zur Seniorenarbeit haben. Neben Senioren- und 60-Plus-Arbeitsgemeinschaften der politischen Parteien sind auch Gewerkschaften, Berufsverbände, Selbsthilfevereine, konfessionelle oder kirchennahe Verbände, interkulturelle Vereine, diverse Stiftungen, Ärztenetzwerke oder Sport-Dachverbände Mitglied.