Sachverhalt – Krankenkasse legt nach Sturz einer Patientin von einer Liege Berufung ein
Die klagende Krankenkasse macht aus übergegangenem Recht den Schadensersatzanspruch einer Versicherten geltend. Diese wurde in dem beklagten Krankenhaus an der rechten Hand wegen eines Karpaltunnelsyndroms ambulant operiert. Im Aufwachraum ist sie bei dem Versuch aufzustehen, gestürzt und hat sich dabei eine pertrochantäre Femurfraktur rechts zugezogen. Anwesend war in diesem Augenblick eine Auszubildende zur medizinischen Fachangestellten. Unstreitig ist, dass eine von insgesamt drei Arretierungsbremsen an der Liege, auf der die Patientin gelegen hatte, nicht angezogen war.
Das LG Dessau-Roßlau ist erstinstanzlich von einer Haftungsquote des Krankenhauses von 50 % ausgegangen, weil ein entsprechend hohes Mitverschulden der Patientin gegeben sei. Den weiter gestellten Feststellungsantrag hat das Landgericht zurückgewiesen. Die Berufung der Krankenkasse nimmt die Haftungsquote von 50 Prozent hin und wendet sich nur gegen die Abweisung des Feststellungsantrages (den sie unter Berücksichtigung einer Quote von 50 Prozent weiterverfolgt).
Die Krankenkasse trägt vor, dass bei einer pertochantären Fraktur, also einer Fraktur nahe des Hüftgelenkkopfs, immer die Gefahr einer Hüftnekrose mit konsekutiver Koxarthroseentstehung bestehe. Bei Eintritt dieser nicht unwahrscheinlichen Folge müsse die Patientin mit einer Hüftgelenksendoprothese versorgt werden, was weitere Kosten beispielsweise für Maßnahmen zur Rehabilitation nach sich ziehen könne.
Die Anschlussberufung des Krankenhauses will die vollständige Klageabweisung erreichen. Es liege kein Fall eines sogenannten voll beherrschbaren Risikos vor. Zwar sei unstreitig, dass eine der drei Arretierungsbremsen an der Liege nicht angezogen gewesen sei. Das Krankenhaus beruft sich (unter Protest gegen die Beweislast) gegenbeweislich auf ein Sachverständigengutachten zum Beweis dessen, dass bei dem Körpergewicht der Patientin von ca. 100 kg, die Liege auch dann weggerutscht wäre, wenn alle drei Bremsen arretiert gewesen wären. Das LG Dessau-Roßlau habe aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob dies ursächlich für den Sturz gewesen sei.
Entscheidung – Berufung der Krankenkasse ist erfolgreich
Die Berufung der Krankenkasse und die (unselbstständige) Anschlussberufung der Beklagten sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
In der Sache ist die Anschlussberufung des Krankenhauses, die sich gegen eine Haftung dem Grunde nach richtet, unbegründet. Die Berufung der Krankenkasse, mit der sie aus übergegangenem Recht ihren Feststellungsantrag hinsichtlich möglicher künftiger Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50 Prozent weiterverfolgt, hat demgegenüber Erfolg:
1. Anschlussbegründung:
Die Anschlussberufung ist unbegründet, weil eine Haftung dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Geschädigten von 50 Prozent gegeben ist. Die Pflichtverletzung besteht zwar – entgegen der Ansicht des Landgerichts – nicht darin, dass die Auszubildende die Patientin – kurz bevor diese selbstständig versuchte aufzustehen – einen Augenblick aus den Augen gelassen hat, weil diese die Patientin aufgefordert hat, auf der Liege sitzen zu bleiben, bis sie ihr beim Aufstehen Hilfestellung leistet.
Wenn eine Pflegekraft der Patientin ausdrücklich sagt, dass sie auf die Hilfestellung warten soll, muss dies bei einem durchschnittlich einsichtigen Menschen ausreichen, jedenfalls dann, wenn dieser selbst der Ansicht ist, überhaupt keine Hilfe zu benötigen (also situativ angemessen orientiert ist). Alles andere würde die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht überspannen.
Die Pflichtverletzung des Krankenhauses ist aber darin zu erkennen, dass die Liege überhaupt zur Seite wegrollen konnte. Die Beweislast dafür, dass keine Pflichtverletzung vorliegt, trägt die Beklagte, weil das Ereignis im voll beherrschbaren Risikobereich der Einrichtung lag.
Rechtsprechung bei Stürzen
Bei Stürzen von Patienten und Patientinnen geht die Rechtsprechung davon aus, dass sich allein aus dem Umstand, dass es zu einem Sturz kommt, keine schuldhafte Pflichtverletzung des Personals herleiten lässt. Kommt es aber im Zusammenhang mit einer konkret geschuldeten Hilfeleistung zu einem Sturz des Patienten, so hat der Krankenhausbetreiber darzulegen und zu beweisen, dass der Sturz nicht auf einem Fehlverhalten des Personals beruht.
So wird von einem voll beherrschbaren Risiko mit der Folge einer Entlastungspflicht des Krankenhausbetreibers dann ausgegangen, wenn der Patient stürzt, während die mit seiner Begleitung beschäftigte Pflegekraft sich bei ihm befindet.
Im vorliegenden Fall erfolgte der Sturz in Anwesenheit der zur Hilfestellung abgestellten Pflegekraft, was dann die Beweislastumkehr nach sich zieht. Ursächlich für den Sturz war das Wegrutschen der Liege. Das Krankenhaus trägt selbst vor, dass die Liege auch dann weggerutscht wäre, wenn alle drei Bremsen angezogen gewesen wären, weil die Patientin ca. 100 kg gewogen habe.
Dieser Vortrag belegt nachdrücklich, dass dann die Sicherungsmaßnahmen fehlerhaft waren. Da das Aufstehen von Patienten, auch gegen einen entsprechenden Hinweis des Pflegepersonals, eine nicht fernliegende Möglichkeit darstellt, muss in dem Fall, dass die Bremseinrichtungen ein Wegrutschen nicht in jedem Fall verhindern können, für zusätzliche Sicherungsmaßnahmen gesorgt werden. In der konkreten Situation hätten weitere Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden müssen. Das Landgericht ist somit zutreffend von einer Haftung der Beklagten ausgegangen.
2. Berufung der Krankenkasse
Die Berufung der Krankenkasse ist begründet. Bereits in erster Instanz ist dargelegt worden, welche Verletzungen die Patientin konkret erlitten hat. Dem Senat ist aus einer Vielzahl von Arzthaftungsfällen bekannt, dass bei einer Fraktur nahe des Hüftgelenkkopfes eine wahrscheinliche Gefahr besteht, dass sich eine Hüftkopfnekrose ausbildet. Dies reicht für die Begründetheit des Feststellungsantrages (unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 50 Prozent) aus.
Soweit auf Vorschäden am Knie abgestellt wird, hat dies mit der Frage der Zulässigkeit und Begründetheit des Feststellungsantrages unmittelbar nichts zu tun, sondern stellt ein Problem der Zuordnung möglicher Folgen in einem Folgeprozess dar.
Quelle: OLG Naumburg vom 12. Juli 2012 – 1 U 43/12 = RDG 2012, S. 294 f. .