Sachver­halt

Am 6. August 1998 sollte die Kläge­rin, die sich anläss­lich einer statio­nä­ren Behand­lung in der Klinik des Beklag­ten aufhielt, in eine Rehabi­li­ta­ti­ons­kli­nik verlegt werden. In der Nacht zuvor war sie sehr unruhig und versuchte mehrmals über die Bettgit­ter zu steigen. Darauf­hin wurde sie mit dem Bett auf den Stati­ons­flur verbracht.

Gegen 6:45 Uhr wurde sie vom Frühdienst zurück in ihr Zimmer gefah­ren, dort frisch gemacht und angeklei­det, in einen faltba­ren Leicht­ge­wichts­roll­stuhl gesetzt und mit einem Bauch­tuch angebun­den. Nach etwa 20 Minuten wurde der Rollstuhl mit der Kläge­rin vor eine Stati­ons­kan­zel gestellt.

Um 7:45 Uhr wollte die Kläge­rin aufste­hen und fiel mit dem Rollstuhl um. Der Sturz führte zu einem akuten subdu­ra­len Hämatom und zu einer raschen Kompres­sion des Gehirns. Hierdurch ist es zu einem apalli­schen Syndrom gekom­men.

Vor dem Landge­richt Berlin begehrte die Kläge­rin vom Beklag­ten die Zahlung eines angemes­se­nen Schmer­zens­gel­des. Des Weite­ren verlangte sie die Feststel­lung der Ersatz­pflicht hinsicht­lich sämtli­cher materi­el­ler und weite­rer immate­ri­el­ler Schäden aus dem Unfall­ge­sche­hen. Die Klage wurde abgewie­sen (LG Berlin vom 4. Dezem­ber 2001 – 13 O 307/99).

Entschei­dung

In der Berufungs­ver­hand­lung vor dem Kammer­ge­richt Berlin wurde der Kläge­rin einen Anspruch auf Schadens­er­satz in Höhe von 50.000 Euro gemäß §§ 823 Absatz 1, 831 Absatz 1, 847 Absatz 1 BGB zugespro­chen. Außer­dem wurde der Beklagte verpflich­tet, der Kläge­rin alle materi­el­len und weite­ren immate­ri­el­len Schäden aus dem Unfall vom 6. August 1998 zu erset­zen (KG Berlin vom 20. Januar 2005 – 20 U 401/01).

Nach der Recht­spre­chung des Bundes­ge­richts­hofs muss eine Klinik den Sturz eines Patien­ten bei einer Bewegungs- und Trans­port­maß­nah­men ausschlie­ßen können. Es handelt sich also um Risiken aus dem Kranken­haus­be­trieb, die vom Träger und dem von ihm einge­setz­ten Perso­nal voll beherrscht werden müssen, und bei denen der Träger ein fehler­freies Verhal­ten nachzu­wei­sen hat. Dies ist ihm im vorlie­gen­den Fall nicht gelun­gen.

Rollstuhl war technisch ungeeig­net

So war der verwen­dete Leicht­ge­wicht­roll­stuhl technisch nicht dazu geeig­net, einen Sturz zu verhin­dern: Vielmehr ergibt sich aus der Bedie­nungs­an­lei­tung, dass durch übermä­ßi­ges Beugen nach vorn und zu den Seiten der Stuhl zum zum Kippen gebracht werden kann. Ferner müssen beim Ein- und Ausstei­gen die Fußbret­ter nach oben geklappt und die Feststell­bremse angezo­gen sein. Als die Kläge­rin versuchte, aus dem Rollstuhl aufzu­ste­hen, waren diese jedoch ausge­klappt. Der Beklagte hat auch nicht darge­le­gen können, ob die Feststell­brem­sen angezo­gen waren und ob die Kläge­rin auf die Kippge­fahr hinge­wie­sen worden ist.

Vor die Kanzel stellen reicht nicht

Den erfor­der­li­chen pflege­ri­schen Sorgfalts­pflich­ten ist auch damit nicht Genüge getan worden, indem der Rollstuhl zur Beauf­sich­ti­gung vor die Kanzel gestellt wurde. Denn es ist nicht ersicht­lich,

  • welche Dienst­kräfte sich dort tatsäch­lich längere Zeit aufhiel­ten,
  • welche Aufga­ben sie wahrnah­men,
  • wem die Beobach­tung der Kläge­rin konkret oblag
  • und ob ein Einschrei­ten bei hefti­gen Bewegun­gen oder einem Aufsteh­ver­such recht­zei­tig genug möglich gewesen wäre.

Alter­na­tiv hätte zur Gefah­ren­ver­mei­dung eine Sitzwa­che abgestellt werden müssen. Ist der Kranken­haus­trä­ger kurzfris­tig nicht in der Lage, eine Sitzwa­che zur Verfü­gung zu stellen, handelt es sich um ein Organi­sa­ti­ons­ver­schul­den, für das er haftet. Diese Haftung entfällt auch nicht, weil die medizi­ni­sche-pflege­ri­sche Versor­gung zum Unfall­zeit­punkt bereits abgeschlos­sen waren. Bis zur endgül­ti­gen Entlas­sung schul­dete der Beklagte eine ordnungs­ge­mäße Betreu­ung und Pflege durch das Perso­nal.