Durch den Einsatz digitaler Technologien können Versorgungsqualität und Kosteneffizienz erhöht und gleichzeitig Behandlung und Betreuung von Patienten sowie die Arbeitssituation des Personals im Gesundheitswesen verbessert werden. Das größte Potenzial bieten dabei die elektronische Patientenakte (ePA), Online-Interaktionen und ‑Terminvereinbarungen zwischen Arzt und Patient sowie die Fernüberwachung und ‑unterstützung von chronisch Erkrankten. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer neuen Studie von McKinsey & Company mit dem Titel „Digitalisierung im Gesundheitswesen: die 42-Miliarden-Euro-Chance für Deutschland“.
„Richtig eingesetzt kann die Digitalisierung im Gesundheitsbereich massiven Nutzen stiften. Wir reden von einer 42-Milliarden-Euro-Chance, von der alle im Gesundheitswesen profitieren könnten“, sagte McKinsey-Partner Stefan Biesdorf, Co-Autor der Studie, bei der Vorstellung der Ergebnisse am Dienstag.
„Das Potenzial der Digitalisierung im Gesundheitswesen hat sich innerhalb von vier Jahren um rund 8 Milliarden Euro oder 24 Prozent erhöht“, sagt McKinsey Junior Partnerin Kristin Tuot, ebenfalls Co-Autorin der Studie. In der Vorgängerstudie von 2018 hatte McKinsey basierend auf mehr als 500 internationalen Forschungsdokumenten das finanzielle Potenzial von 26 verfügbaren digitalen Gesundheitstechnologien in Deutschland auf 34 Milliarden Euro beziffert.
„Davon wurden in den vergangenen Jahren nur rund 1,4 Milliarden Euro realisiert“, stellte Kristin Tuot fest. Außerdem sei das Potenzial angesichts weiter steigender Gesundheitsausgaben und der dynamischen Entwicklung der Digitalisierung seither gestiegen. Diesen Effekt konnte man während der Pandemie gut beobachten: Einige Technologien wie zum Beispiel Online-Sprechstunden und ‑Terminvergaben haben einen erheblich größeren Nutzen als 2018 vermutet.
Elektronische Patientenakte bringt den größten Nutzen
Für die Studie hat McKinsey das Potenzial von 26 digitalen Gesundheitstechnologien analysiert und in sechs Lösungskategorien zusammengefasst:
- Online-Interaktionen, zum Beispiel durch Telekonsultation oder Fernüberwachung und Management chronisch Erkrankter. Diese Lösungen reduzieren vor allem den Zeitaufwand bei Patienten und Ärzteschaft.: 12,0 Milliarden Euro (2018: 8,9 Milliarden Euro)
- Umstellung auf papierlose Datenverarbeitung, zum Beispiel durch die elektronische Patientenakte und eRezept: 9,9 Milliarden Euro (2018: 9,0 Milliarden Euro)
- Arbeitsabläufe/Automatisierung, zum Beispiel durch die mobile Vernetzung von Pflegepersonal oder die auf Barcodes basierte Verabreichung von Medikamenten: 6,7 Milliarden Euro (2018: 6,1 Milliarden Euro)
- Entscheidungsunterstützung durch Datentransparenz, zum Beispiel durch den Einsatz von Software, um Doppeluntersuchungen von Patienten zu vermeiden: 6,4 Milliarden Euro (2018: 5,6 Milliarden Euro)
- Patientenselbstbehandlung, zum Beispiel durch Gesundheits-Apps oder digitale Diagnosetools: 4,6 Milliarden Euro (2018: ebenfalls 4,6 Milliarden Euro)
- Patienten-Self-Service etwa Onlineportale zur Terminvereinbarung: 2,5 Milliarden Euro (2018: ebenfalls 2,5 Milliarden Euro).
Datenschutz als Bremse
Bis jetzt steckt die Gesundheitsbranche allerdings noch tief im Fax-Zeitalter. Und daran ist zum Teil Deutschlands Datenschutz schuld. Denn die in Deutschland besonders rigide Umsetzung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sorgt dafür, dass jede Art von Zugriff auf oder Nutzung von Patientendaten unterbunden wird. So kann es besonders bei Chronikern im Notfall lebensgefährlich werden, da der Notfallmediziner auf die Behandlungsdaten der Fachärzte keinen Zugriff hat.
Die McKinsey-Studie hat das Potenzial, der Politik den entscheidenden Denkanstoß zu verpassen. Denn das finanziell gebeutelte Gesundheitswesen kann sich den Verzicht auf ein derartiges Sparpotenzial nicht leisten.
1 Kommentar
Ich bin entsetzt. Hat sich mal jemand mit der Firma auseinandergesetzt?
McKinsey wird oft als Prototyp der am Shareholder Value orientierten Unternehmensberatungen gesehen. Um den Marktwert eines Unternehmens zu erhöhen, würden oft umfangreiche Umstrukturierungen durchgeführt, wobei Entlassungen die Regel seien. Dieser Kritikpunkt fußt vor allem auf der Anwendung des Konzepts der Gemeinkostenwertanalyse in den 1990er Jahren.[13]
Ein weiterer Kritikpunkt ist, die Unternehmensberatung würde sich nicht in die Situation der zu beratenden Institution hineindenken, sondern ihre stereotypen Beratungsmuster anwenden. Beispielsweise warf der Betriebsrat der Berliner Klinikgesellschaft Vivantes McKinsey 2006 vor, abstruse Vorschläge gemacht zu haben. So seien die Abschaffung des Pförtners, die Ausdünnung der Rettungsstelle und die Reduzierung der Reinigung vorgeschlagen worden.[14]
In einer drastischen Form kritisierte der Dramatiker Rolf Hochhuth 2004 McKinsey. Er schrieb das Theaterstück „McKinsey kommt“, in dem er der Wirtschaft den Spiegel vorzuhalten versucht und ihr unmenschlichen Umgang mit den Arbeitnehmern vorwirft. Eine Figur des Stücks etwa spielt mit dem Gedanken, einen Konzernchef nach dem Vorbild von Wilhelm Tell, aber auch der RAF, zu töten.
Während der Affäre um den Tod von Jamal Khashoggi fand im Oktober 2018 ein Bericht der New York Times international Beachtung, laut dem McKinsey & Company mit sozialer Netzwerkanalyse das Regime in Saudi-Arabien bei der Identifikation und Verfolgung von Oppositionellen unterstützt hatte. Diese Form der Unternehmensberatung habe unter anderem zur Verhaftung des Schriftstellers und Journalisten Khaled al-Alkami geführt.[15]
Zwischen 2015 und 2018 beauftragten Bundesministerien McKinsey mit zum Teil nicht öffentlich ausgeschriebenen Beratungsleistungen in Höhe von 55 Millionen Euro, um Abschiebungsverfahren zu vereinfachen. Die Ergebnisse der Vergabe wurden als subjektiv und unwirtschaftlich bewertet.[16] Zudem würden Einzelfallentscheidungen nicht ausreichend berücksichtigt, mahnten Kritiker. Sie suggerierten einen Kompetenzabfluss bei den verantwortlichen Ministerien.[17]Ähnliche Vorwürfe gegen McKinsey und die Migrationspolitik der EU-Behörden wurden 2020 laut.[18][19]
Im Hinblick auf die Opioid-Epidemie in den Vereinigten Staaten von Amerikawurde McKinsey vorgeworfen, dem Pharmaunternehmen Purdue Pharma dabei geholfen zu haben, Ärzte zu mehr Verschreibungen des Medikaments Oxycontinzu bringen. Oxycontin ist ein Analgetikum auf Basis des Opioids Oxycodon und wird unter anderem mit dem starken Anstieg von Drogentoten in den Vereinigten Staaten ab den 2000er Jahren in Verbindung gebracht. Die Beratungsleistungen von McKinsey sollen sich auch darauf bezogen haben, Wege zur Kommunikationsführung mit den Angehörigen von Drogentoten zu finden.[20] Im Jahr 2019 beendete McKinsey nach eigenen Angaben die offizielle Zusammenarbeit mit Purdue.[21] 2021 zahlte das Unternehmen 570 Millionen Dollar Wiedergutmachungszahlungen, um sich so gegen weitere Klagen in derselben Angelegenheit zu schützen.[22][23] Als Ausdruck dieser Krise wurde der globale McKinsey-Chef Kevin Sneader schon nach nur einer Amtszeit nicht wiedergewählt.[24] Am 10. März 2021 wurde bekannt, dass Bob Sternfels ab Juli 2021 die globale Leitung von McKinsey übernehmen wird[25].