Rechtsdepesche: Die WHO hat vergangenen Monat wegen des Mpox-Virus (ehemals: Affenpocken) eine weltweite Notlage ausgerufen. Wie ernst sind die WHO-Warnungen zu nehmen?
Hendrik Streeck: Ich glaube, diese Warnungen der WHO müssen richtig gedeutet werden. Im Grunde geht es hierbei um Ratschläge, die an die Länder gerichtet sind, damit der Ausbruch, der derzeit auf Zentral- und Westafrika beschränkt ist, nicht noch größer wird. Das ist also keine Warnung vor einer Pandemie, die uns alle einschränken wird. 2022 gab es ja schon einmal einen weltweiten Ausbruch des Mpox-Virus. Damals hatte die WHO die gleiche Warnung ausgerufen und dann wieder zurückgenommen, weil die Ausbreitung relativ gut und schnell eingedämmt werden konnte. Einzig in der Kongo-Region waren noch Fälle zu verzeichnen. Jetzt hat die WHO die Entwarnung wieder aufgehoben.
Situation bei Mpox ist anders als bei Corona
Die Ausgangslage ist hier eine ganz andere als bei Corona: Erstens, haben wir einen Impfstoff, der vor einer Infektion sehr gut schützt. Zweitens, Mpox wird nur bei engem Körperkontakt übertragen. Drittens, das Virus hat eine sehr lange Inkubationszeit. Das bedeutet, wenn sich jemand mit Mpox infiziert hat, dann kann der Gesundheitsdienst nachhaken, mit wem die Person in den letzten Wochen Kontakt hatte und diese Personen können dann in Quarantäne geschickt werden. Dadurch werden die Infektionsketten unterbrochen. Die Quarantäne ist in solchen Fällen das schärfste Schwert, dass es im öffentlichen Gesundheitsdienst gibt. Bei Corona hat das nicht funktioniert, weil die Infektionen schneller waren als die Kontaktpersonennachverfolgung. Bei Mpox funktioniert die Maßnahme hingegen sehr gut.
Rechtsdepesche: Es ist beruhigend, dass das Mpox-Virus nicht so bedrohlich ist wie Corona. Wie ansteckend ist denn das Mpox-Virus tatsächlich und wer ist besonders gefährdet?
Streeck: 1970 wurde das Mpox-Virus das erste Mal in einem Menschen nachgewiesen. Davor wurde es in drei Affen in einem Labor in Dänemark beschrieben. Aber wie auch die Menschen sind Affen eigentlich ein Fehlwirt für das Virus. Der Hauptwirt sind Hörnchen, also Nagetiere. Wir beobachten seit Jahrzehnten immer wieder Mpox-Fälle vor allem in Zentralwestafrika, wo es dann doch mal vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist; wahrscheinlich weil Kinder mit toten Tieren gespielt haben. Im Unterschied zum Coronavirus ist der Mpox-Virus kein RNA‑, sondern ein DNA-Virus. Das heißt er mutiert deutlich langsamer. Jetzt ist es aber zu einer Mutation gekommen, so dass das Virus leichter von Mensch zu Mensch übertragen wird. Und diese Anpassung ist nun dafür verantwortlich, dass wir größere Infektionsausbrüche sehen.
Übertragen wird das Virus vor allem durch engen Körperkontakt. Es wird nicht durch die Luft weitergegeben. Die Übertragungen geschieht häufig über sexuelle Kontakte oder von zum Beispiel Müttern auf ihre Kinder. Gefährlich ist das Virus bei denen, die einen schlechten körperlichen Zustand haben. Also für Menschen mit schlechtem Immunstatus, Unterernährung oder eben bei Kindern.
„Fälle können auch tödlich verlaufen“
Rechtsdepesche: Was erleiden denn die Infizierten und wie läuft die Infektion genau ab?
Streeck: Die Erkrankung verläuft in drei Stadien: Zunächst haben wir eine Inkubationszeit von bis zu 21 Tagen, dann kommen quasi grippeartigen Symptome, hohes Fieber und häufig auch starke Lymphknotenschwellungen in der Region, wo sich später die Pusteln auch bilden werden. Es kommt dann zu Eruptionen, also diesen typischen Pusteln. Wie stark die sind, ist unterschiedlich. Bei Menschen mit einem starken Immunstatus und guter Ernährung bilden sich nur ganz wenige Pusteln auf der Haut. Bei Personen mit schlechtem Immunstatus können sich die Pusteln über den ganzen Körper ausbreiten und auch die inneren Organe betreffen. Die Pusteln können vernarben und es kann auch zu schweren Verläufen kommen, bei denen die Leute hospitalisiert werden müssen. Diese Fälle können auch tödlich verlaufen.
Rechtsdepesche: Wie wird eine Mpox-Infektion am besten therapiert, abgesehen davon, dass man sich präventiv schützen kann?
Streeck: Es gibt mehrere Medikamente, die entwickelt und getestet wurden, zu denen es aber eine unterschiedliche Datenlage gibt. Im Grunde kann die Mpox-Infektion am Ende nur symptomatisch behandelt werden, wie viele andere virale Erkrankungen auch. Eine Behandlung, die das Virus an sich bekämpft, gibt es aktuell nicht.
Rechtsdepesche: Wie wahrscheinlich ist denn eine neue Pandemie?
„Pandemien passieren häufiger“
Streeck: Im Moment haben wir eine Epidemie, die sich aber immer auch in eine Pandemie umwandeln kann. Ich glaube an dieser Stelle muss man die Angst vor dem Wort Pandemie nehmen. Wir haben mehr oder weniger jedes Jahr eine Grippe-Pandemie, wir leben seit Jahrzehnten in einer HIV-Aids-Pandemie und wir hatten eine Mpox-Pandemie während der Coronapandemie. Pandemien passieren häufiger, die gesellschaftlichen Einschränkungen selten. Wichtig ist, dass es beim jetzigen Mpox-Ausbruch um ein Virus geht, das wir kennen. Es gibt einen Impfstoff und wir wissen, was wir machen müssen.
Rechtsdepesche: Ist das so? Sollte es zu einem weitläufigen Ausbruch kommen – was haben wir gelernt in Deutschland aus dem Umgang mit dem Coronavirus?
Streeck: Mein Buch „Nachbeben“ zu dem Thema erscheint Ende September. Ich denke, dass wir in vielen Bereichen etwas aus der Coronapandemie lernen können. Das Wichtigste für die Erstreaktion auf einen weitläufigen Ausbruch ist, dass wir die Vielstimmigkeit der Wissenschaft aufrechterhalten und dementsprechend unterschiedliche Ansätze in Betracht ziehen. Ich würde mir wünschen, dass in Deutschland die Wissenschaftsberatung professionalisiert wird, wie das zum Beispiel England uns vorgemacht hat. Die Engländer haben einen Government Chief Scientific Advisor bestimmt, der eine Expertengruppe nach vorgegebenen Kriterien zusammensucht. Dieser Advisor hat 25 verschiedene Expertenräte unter sich vereint, wo beispielsweise immer auch Rechtswissenschaftler dazugehören.
Viel gelernt aus Coronapandemie
Ein großer Fehler in der Coronapandemie war, dass wir uns zu sehr auf die Vermeidung von Infektionen fokussiert haben, ohne dabei zu sehen, welche anderen Auswirkungen die Maßnahmen haben können. Zum Beispiel haben wir durch die Lockdowns Menschen in die Innenräume getrieben, was enorme Auswirkungen in sozioökonomisch schlechter gestellten Regionen hatte. Dort leben sehr viele Menschen auf engem Raum miteinander, was Infektionen sogar begünstigt hat. Angefangen mit Flüchtlingsheimen, bis hin zu großen Wohnungsbauten. Da hatten wir zu einer Zeit Inzidenzen von 1.000 auf 100.000 Einwohner, während wir in besser situierten Regionen zur gleichen Zeit eine Inzidenz von 1 auf 100.000 hatten. Also wir haben dadurch eigentlich die Ausbrüche verschlimmbessert.
Rechtsdepesche: Sie haben Ambitionen in die Bundespolitik zu gehen. Wie würden sie denn die Einberufung eines Expertenrates idealerweise gestalten?
Streeck: Als ehemaliges Mitglied des Expertenrats zur Coronapandemie und nun auch dem Expertenrat für Gesundheit und gesellschaftliche Resilienz der Bundesregierung, habe ich die Schnittstelle von Politik und Wissenschaft intensiv betrachten können. Je komplexer die Krisen, umso komplexer und perspektivenübergreifend und fachspezifischer müssen wir Antworten entwickeln – dafür kann ein Expertenrat eine wichtige Rolle einnehmen. Wichtig ist dabei vor allem, dass wir auch innerhalb dieses Expertenrats verschiedene Meinungen zulassen, denn auch die Wissenschaft ist nicht qua definitionem „richtig“ oder vertritt nur „eine“ Position. In der Pandemie haben wir das beobachtet, als virologische Perspektiven manchmal zu stark den Perspektiven der Psychologen, Bildungswissenschaftlern und Wirtschaftswissenschaftlern überwogen haben. Ein Expertenrat muss daher Pluralität kultivieren.
Es obliegt dann erst der Politik, die Entscheidungen zu treffen. Auch weil ich persönlich erlebt habe, dass an dieser Stelle noch nicht alles perfekt läuft, gehe ich in die Politik. Sollte ich ein Mandat gewinnen, trete ich aus dem Expertenrat zurück und arbeite von politischer Seite an der bestmöglichen Integration der Wissenschaft in die politischen Entscheidungen. Mein Anliegen ist es darin nicht, Politisches in die Wissenschaft zu tragen, sondern mehr Wissenschaftlichkeit in die Politik. Denn in Zeiten der Politikverdrossenheit können Eigenschaften der Wissenschaft der Politik helfen, mehr Glaubwürdigkeit zu erreichen: etwa Transparenz oder evidenzbasierte Entscheidungen anstelle ideologisch geführter Scheindebatten.
Zur Person: Der Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts der Virologie am Uniklinikum Bonn. Während der Coronapandemie hat er die Bundesregierung beraten und wurde oft für seine Haltung kritisiert. Der 47-Jährige ist verheiratet und lebt im Rheinland. Für die CDU will er 2025 in den Bundestag und hat ein Direktmandat im alten Wahlkreis von Konrad Adenauer.