ePA
Daten­schatz mit Schat­ten­seite: Ist die ePA wirklich sicher? Bild: Desireé Gorges

Als Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach Ende Novem­ber 2024 auf der Digital Health Confe­rence des Digital­ver­ban­des Bitkom über die elektro­ni­sche Patien­ten­akte sprach, klang es, als wäre Deutsch­land damit auf dem Zenit der Digita­li­sie­rung angekom­men. Vom „größten Digital­pro­jekt Deutsch­lands“ und „größter Innova­tion in der Digita­li­sie­rung“ wurde die ePA bis zu einer „Sonne im Kosmos der Digita­li­sie­rung“ erhoben.

Der Nutzen für Patien­ten ist zum Start der ePA nach wie vor unbestrit­ten und liegt auf der Hand: Wenn Befunde, Bilder, Medika­men­ten­pläne und andere gesund­heits­re­le­vante Unter­la­gen und Infor­ma­tio­nen an einer zentra­len Stelle gespei­chert und abgeru­fen werden können, spart das wertvolle Zeit und Ressour­cen bei der Behand­lung. In einem Bereich, in dem Leben und Tod so nah beiein­an­der liegen wie im Gesund­heits­we­sen, kann das drasti­sche Auswir­kun­gen haben.

In Deutsch­land, wo Lauter­bach zufolge die Lebens­er­war­tung inzwi­schen unter dem EU-Durch­schnitt liegt, könnte die ePA in dieser Hinsicht also zu einer Verbes­se­rung beitra­gen. Aus wirtschaft­li­cher Sicht kann die Erspar­nis ebenfalls nicht schaden, denn „unser Gesund­heits­sys­tem ist sehr teuer und besten­falls mittel­mä­ßig“, attes­tierte der Minis­ter.

Daten­schatz aus einer Milli­arde Kontak­ten pro Jahr

Neben der ePA scheint im digita­len Gesund­heits­kos­mos von Karl Lauter­bach noch eine zweite Sonne: Das Forschungs­da­ten­zen­trum Gesund­heit (FDZ Gesund­heit) beim Bundes­in­sti­tut für Arznei­mit­tel- und Thera­pie­si­cher­heit. Hier sollen künftig die Daten der ePA mit Daten aus medizi­ni­schen Regis­tern und Genom­da­ten zusam­men­ge­führt und über pseud­ony­mi­sierte Kranken­ver­si­cher­ten­num­mern mit Abrech­nungs­da­ten der Kranken­kas­sen verknüpft werden.

Auf der Bitkom Veran­stal­tung sollte sich das Publi­kum vor Augen führen „wie groß dieser Daten­schatz ist“, der sich aus einer Milli­arde Arzt-Patien­ten-Kontak­ten pro Jahr für Thera­pie­ent­schei­dun­gen, aber auch für die Mediz­in­for­schung und Gesund­heits­po­li­tik ergibt. Lauter­bach sprach von einem der weltweit größten und inter­es­san­tes­ten Gesund­heits­da­ten­sätze, der beim FDZ Gesund­heit Tag für Tag weiter anwächst.

Opt-Out zur Daten­spende

In diesem Zusam­men­hang kam der SPD-Politi­ker auch auf die Wichtig­keit der Wider­spruchs­lö­sung zu sprechen, welche diese umfas­sen­den Daten­spen­den erst möglich mache. Die ePA wird ab dem 15. Januar im Rahmen des Opt-Out-Verfah­rens – das heißt ohne eigenes Zutun – schritt­weise für 70 Millio­nen gesetz­lich Versi­cherte von den Kranken­kas­sen einge­rich­tet. Im Umkehr­schluss bedeu­tet das: Wer keine ePA möchte, muss der Einrich­tung aktiv wider­spre­chen. Gleiches gilt für die Daten­spende an das FDZ Gesund­heit.

Gesund­heits­da­ten sind „KI-ready“

Die Struk­tur der Gesund­heits­da­ten­sätze sei „KI-ready“, was sich zum einen auf die Bewäl­ti­gung und Nutzbar­keit der enormen Daten­men­gen mithilfe von KI bezieht. Zum anderen sollen auf Basis der Daten neue genera­tive KI-Systeme trainiert werden. Das Inter­esse am Daten­satz sei weltweit sehr groß, versi­cherte Lauter­bach. Er berich­tete von Gesprä­chen mit Meta, Open Ai und Google, die alle daran inter­es­siert seien, ihre KI-Sprach­mo­delle für diesen Daten­satz zu nutzen bezie­hungs­weise daran zu arbei­ten.

Eine Kostprobe im Zusam­men­spiel mit KI lieferte wenige Wochen zuvor das Fraun­ho­fer Insti­tut für Sichere Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie (SIT), indem es die ePA mithilfe einer KI in puncto Sicher­heit überprüfte. Ergeb­nis: Die ePA für alle ist sicher.

Künst­li­che Sicher­heit oder künst­li­che Gefahr?

Doch eine Sonne am Zenit kann unter­ge­hen und die Welt in Schat­ten tauchen. Genau dort, in der Schat­ten­welt, agieren auch die Krimi­nel­len und Habgie­ri­gen, die von dem großen Schatz etwas abhaben wollen, der sich aus den wertvol­len Daten von 70 Millio­nen gesetz­lich Versi­cher­ten speist. Wie leicht der unbefugte Zugriff auf die hochsen­si­blen ePA-Daten selbst ohne Gesund­heits­karte gelin­gen kann, demons­trier­ten Ende Dezem­ber 2024 Sicher­heits­for­scher auf dem Kongress des Chaos Compu­ter Clubs (CCC).

Die „hallu­zi­nierte Fehldia­gnose“, als die der CCC die positive Sicher­heits­be­wer­tung der ePA betrach­tet, scheint den Verant­wort­li­chen aller­dings wenig Kopfzer­bre­chen zu berei­ten. Die Gematik, die als natio­nale Agentur für die digita­len Anwen­dun­gen im deutschen Gesund­heits­we­sen verant­wort­lich ist, räumte in einer Stellung­nahme umgehend ein, dass die Angriffs­sze­na­rien des CCC zwar technisch möglich seien, die prakti­sche Durch­füh­rung in der Reali­tät aber nicht sehr wahrschein­lich. Dazu müssten verschie­dene Voraus­set­zun­gen erfüllt sein, wie die illegale Beschaf­fung von Auswei­sen nebst PIN und komplexe techni­sche Manipu­la­tion.

Zudem seien unberech­tigte Zugriffe auf die ePA straf­bar und könnten Geld- und Freiheits­stra­fen nach sich ziehen. Ob sich poten­zi­elle Daten­diebe von den drohen­den Konse­quen­zen abschre­cken lassen, ist fraglich. Die Gematik kündigte jeden­falls weitere techni­sche Umset­zun­gen und Siche­rungs­maß­nah­men, wie eine zusätz­li­che Verschlüs­se­lung der Kranken­ver­si­cher­ten­num­mer, an.

Auch der Gesund­heits­mi­nis­ter beschwich­tigte angesichts der Sicher­heits­be­den­ken und verspricht: „Die Daten der Bürger sind sicher vor Hackern“. Dazu stehe man mit dem CCC und dem Bundes­amt für Sicher­heit in der Infor­ma­ti­ons­tech­nik (BSI) in engem Austausch. Die elektro­ni­sche Patien­ten­akte würde nicht ans Netz gehen, wenn es auch nur ein Restri­siko für einen großen Hacker­an­griff geben sollte. Das sei aber nicht zu befürch­ten.

Empfeh­lun­gen zum Wider­spruch

Von diesen Bekun­dun­gen – und der ePA selbst – sind längst nicht alle überzeugt. Der Präsi­dent der Bundes­ärz­te­kam­mer, Klaus Reinhardt, teilte nach den Warnun­gen des CCC mit, die ePA zum aktuel­len Stand Patien­ten nicht empfeh­len zu können und forderte Nachbes­se­rung. Auch Michael Hubmann, Präsi­dent des Verban­des der Kinder- und Jugend­ärzte (BVKJ) äußerte sich kritisch: „Es ist frustrie­rend, wie die Verant­wort­li­chen versu­chen, eine für profes­sio­nelle Angrei­fer leicht zu überwin­dende Daten­lü­cke klein­zu­re­den und den Eindruck zu erwecken, die ePA würde die Daten­si­cher­heit in Deutsch­land sicher­stel­len.“

Der BVKJ riet Eltern schon vor Bekannt­wer­den der Sicher­heits­lü­cken zum Wider­spruch gegen die ePA, da sich Daten­schutz­ri­si­ken für Kinder und Jugend­li­che ergeben können. So gäbe es zum Beispiel bisher noch keine Lösung, um ehemals Berech­tig­ten den Zugang zu den sensi­blen Daten von Kindern und Jugend­li­chen wieder zu entzie­hen.

Umfrage: Breite Zustim­mung in der Bevöl­ke­rung

In der Bevöl­ke­rung stößt die ePA kurz vor dem Start dagegen auf breite Zustim­mung. In einer YouGov-Umfrage Anfang Januar 2025 im Auftrag der Deutschen Presse­agen­tur (dpa) gaben 79 Prozent an, die elektro­ni­schen Patien­ten­akte für sehr sinnvoll oder eher sinnvoll zu halten. Als überhaupt nicht sinnvoll oder eher nicht sinnvoll bewer­te­ten die ePA dagegen 16 Prozent.

Ob man die ePA nun befür­wor­tet oder ihr skeptisch gegen­über­steht, ändert nichts an einem entschei­den­den Punkt: Grund­sätz­lich haben die Versi­cher­ten ihre ePA selbst in der Hand. Sie können der Einrich­tung wider­spre­chen oder die Löschung veran­las­sen, Zugriffs­rechte beschrän­ken und mitbe­stim­men, welche Infor­ma­tio­nen gespei­chert werden. Ob und wie gut das in der Praxis funktio­niert, wird sich ab dem 15. Januar zeigen.