Muss ich für meinen Vorgesetzten auch nach Feierabend immer erreichbar sein? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in einem nun veröffentlichten Urteil aus dem September (Aktenzeichen: 1 Sa 39 öD/22).
Die klare Antwort der Richter: Nein. Allein, weil ein Vorgesetzter ruft, müssen Beschäftigte außerhalb ihrer Dienstzeiten nicht Gewehr bei Fuß stehen.
Im konkreten Fall ging es um einen angestellten Notfallsanitäter, bei dem die wöchentliche Arbeitszeit inklusive Bereitschaftsdienstzeiten 48 Stunden betrug. In einer Betriebsvereinbarung wurde festgelegt, dass die Notfallsanitäter auch zu Springerdiensten verpflichtet werden können, etwa bei einer kurzfristigen Erkrankung eines Mitarbeitenden.
Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer am Vortag bis spätestens 20 Uhr darüber informieren, dass er als Springer tätig sein soll. Mitarbeiter hatten die Möglichkeit, im Internet den aktuellen Dienstplan einzusehen.
Als der Arbeitgeber für den 8. April 2021 um sechs Uhr morgens kurzfristig einen Bedarf für einen Springer hatte, trug er den Kläger in den Dienstplan ein, versuchte aber vergeblich, ihn hierfür in seiner Freizeit telefonisch zu erreichen.
Nicht auf SMS reagiert
Auf eine SMS antwortete der Notfallsanitäter nicht. Erst um 7.30 Uhr gab er Bescheid, an die Arbeit gehen zu können. Zwischenzeitlich hatte der Arbeitgeber einen Beschäftigten aus der Rufbereitschaft herangezogen.
Der Kläger wurde nicht mehr eingesetzt und wurde ermahnt. Der Tag wurde ihm als unentschuldigtes Fehlen eingetragen.
Als der Mann im September 2021 erneut als Springer ab 6.30 Uhr morgens kurzfristig eingesetzt werden sollte, ging dieser einen Tag zuvor – in seiner Freizeit – wieder nicht ans Telefon. Eine E‑Mail und eine SMS ließ er unbeantwortet. Erst am Arbeitstag um 7.30 Uhr erklärte er, die Schicht übernehmen zu können.
Knapp eine Stunde später fand er sich in der Rettungswache ein. Der Arbeitgeber erteilte dem Mann eine Abmahnung und wertete die Zeit von 6.30 Uhr bis 8.26 Uhr erneut als unentschuldigtes Fehlen.
Nachzahlung des Lohns gefordert
Der Kläger verlangte die Nachzahlung des vorenthaltenen Lohns und die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Er sei nicht dazu verpflichtet, sich während seiner Freizeit zu informieren, wann er zu arbeiten habe. Sein Handy habe er lautlos gestellt, um sich seinen Kindern widmen zu können. Er habe die SMS auch nicht gelesen, da sein Handy SMS von einer unbekannten Nummer in einen separaten Ordner verschiebe.
Der Arbeitgeber meinte, dass die Veranlassung zu den Springerdiensten von seinem Direktionsrecht gedeckt sei. Dem Mitarbeiter sei es auch zuzumuten, einen Blick auf den Dienstplan zu werfen. Dies sei keine Arbeit. Der Kläger müsse wegen seiner Loyalitätspflicht sein Telefon benutzen, um sich über die Arbeitszeiten zu informieren.
Das Landesarbeitsgericht gab dem Notfallsanitäter jedoch in allen Punkten recht. Zwar übe ein Arbeitgeber mit einer Änderung des Dienstplans sein Direktionsrecht zulässig aus. Die Änderung müsse dem Mitarbeiter aber auch zugehen.
Dies habe der Arbeitgeber hier nicht nachgewiesen. Ein Mitarbeiter sei nicht verpflichtet, in seiner Freizeit Änderungen des Dienstplans zu prüfen. Er müsse weder einen Telefonanruf seines Arbeitgebers entgegennehmen noch eine SMS lesen.
Selbst über die Freizeit entscheiden
Selbst über seine Freizeit entscheiden zu können, gehöre zu den „vornehmsten Persönlichkeitsrechten“, argumentierten die Richter des Landesarbeitsgerichts. Bei dem Lesen einer dienstlichen SMS oder dem Lesen des Dienstplans im Internet handele es sich um eine „Arbeitsleistung“, zu der der Kläger in seiner Freizeit nicht verpflichtet sei.
Nehme er eine Änderung des Dienstplans nicht zur Kenntnis, gehe ihm diese formal daher erst bei Dienstbeginn, hier um 7.30 Uhr, zu. Da der Notfallsanitäter seine Arbeitsleistung ohne Erfolg angeboten hatte, sei der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Die Abmahnung müsse aus der Personalakte entfernt werden, so die Richter.
Quelle: LAG SH