Sexualbegleitung
Sexual­be­glei­tung oder Sexual­as­sis­tenz: Ein ganzheit­li­cher Ansatz für ältere Menschen und Menschen mit Einschrän­kun­gen Bild: Desirée Gorges

Sexua­li­tät in der Pflege ist ein vielschich­ti­ges Thema. Es berührt ein mensch­li­ches Grund­be­dürf­nis und Menschen­recht, das weit über den körper­li­chen Akt hinaus­geht – aber eben diesen auch umfasst.

Sexual­as­sis­tenz wie auch Sexual­be­glei­tung bezeich­nen eine profes­sio­nelle Dienst­leis­tung für Menschen, die aufgrund einer körper­li­chen, psychi­schen oder geisti­gen Einschrän­kung auf Unter­stüt­zung bei der Erfül­lung ihrer sexuel­len Bedürf­nisse angewie­sen sind.

Die Dienst­leis­tung wird von Menschen angebo­ten, die „aus einer trans­pa­ren­ten und bewuss­ten Motiva­tion heraus“ handeln, wie es einmal die bekannte Sexual­as­sis­ten­tin Nina de Vries in einem Inter­view mit der Rechts­de­pe­sche beschrieb.

Sexdienst­leis­tung ist nicht gleich Sex

Eine gelähmte Patien­tin, die sich nicht selbst berüh­ren kann. Ein demen­ter Bewoh­ner, der offen­kun­dig den Drang nach Sex verspürt. Ein junger Mensch mit geisti­gen Einschrän­kun­gen, der seine Sexua­li­tät entdeckt und keinen Partner findet: Die „Kundschaft“ der Sexual­as­sis­ten­ten zieht sich durch alle Alters­grup­pen und bringt die unter­schied­lichs­ten Einschrän­kun­gen und Bedürf­nisse mit.

Entspre­chend breit gefächert ist das Spektrum der Dienst­leis­tun­gen, welche von eroti­schen Massa­gen über Anlei­tung zur Mastur­ba­tion bis hin zum Oral- und Geschlechts­ver­kehr reichen. Was genau angebo­ten wird, legt jeder Sexual­as­sis­tent und jede Sexual­be­glei­te­rin für sich selbst fest.

Beruf oder Berufung

Nina de Vries zum Beispiel bietet keinen Geschlechts- und Oralver­kehr an, weil sie persön­lich beides nicht im Rahmen ihrer Arbeit anbie­ten will. Ihren Beruf übt sie nach eigenen Angaben nicht aus einer sozia­len oder politi­schen Motiva­tion heraus aus, sondern weil sie sich damit identi­fi­zie­ren kann.

Dass sie ihre Dienste – die sie ab Mitte der 1990er Jahre zunächst in Form eroti­scher Massa­gen in einem Rehazen­trum für Menschen mit Behin­de­rung anbot – im Laufe der Zeit hinsicht­lich Klien­tel und Angebot auswei­tete, lag vor allem an der immer größer werden­den Nachfrage. Befeu­ert wurden die Anfra­gen zudem durch Medien­be­richte und öffent­li­che Auftritte.

Thomas Aeffner, ein ebenfalls medial präsen­ter Sexual­be­glei­ter, folgte dagegen eher einer Berufung, als er sich vor einigen Jahren zum zerti­fi­zier­ten Sexual­be­glei­ter ausbil­den ließ. Sein Angebot beschreibt er als eine „sexuelle, manch­mal auch pädago­gisch-sexuelle oder auch pflege­ri­sche Dienst­leis­tung, die es Menschen ermög­licht, ihre Sexua­li­tät diskret, würde­voll und in gegen­sei­ti­gem Respekt zu erleben.“ Geschlechts­ver­kehr schließt er dabei nicht aus.

Unter­schied zur klassi­schen Prosti­tu­tion

Sowohl de Vries als auch Aeffner verste­hen sich als Sexarbeiter(in). Auch wenn es Möglich­kei­ten zur Zerti­fi­zie­rung bezie­hungs­weise Fortbil­dung zur Sexual­be­glei­tung und ‑assis­tenz gibt, handelt es sich nicht um eine geschützte Berufs­be­zeich­nung.

Im Gegen­satz zur klassi­schen Prosti­tu­tion geht es bei der Sexual­be­glei­tung und ‑assis­tenz oder um einen ganzheit­li­chen Ansatz, der nicht zwangs­läu­fig in einem Orgas­mus münden muss. Es geht allem voran um die mensch­li­che Nähe als solches, um gemein­sa­mes Nackt­sein, zärtli­che Berüh­run­gen, Freude, Lust und Entspan­nung. Um ein sexuel­les Erleben also, welches für pflege­be­dürf­tige Menschen je nach Einschrän­kung nicht selbst­ver­ständ­lich möglich ist.

Dienst­leis­tung kostet Geld

Profes­sio­nelle Dienst­leis­tun­gen kosten Geld, die Preise für Sexual­be­glei­tung und ‑assis­tenz begin­nen bei etwa 100 bis 150 Euro pro Stunde, manche Dienst­leis­ter bieten auch andere Preis­mo­delle oder Tages­sätze an.

Ein Recht auf Kosten­über­nahme durch Sozial­ver­si­che­rungs­trä­ger wie die Kranken­kasse besteht nicht, da Sexual­be­glei­tung nicht als medizi­nisch notwen­di­ges Heilver­fah­ren gilt.

Ein Persön­li­ches Budget, welches nach § 29 SGB IX beantragt werden kann, umfasst zwar Assis­tenz­leis­tun­gen, jedoch nicht ausdrück­lich die der sexuel­len Art. In der Praxis wird dies unter­schied­lich ausge­legt. Ob ein Persön­li­ches Budget für Sexual­as­sis­tenz gewährt wird, muss daher im Einzel­fall geprüft und entschie­den werden.

Somit muss die Dienst­leis­tung grund­sätz­lich aus eigenen Mitteln oder gegebe­nen­falls dem Regel­satz der Sozial­hilfe bestrit­ten werden. Sexual­as­sis­ten­tin de Vries befür­wor­tet die Kosten­über­nahme für Menschen, die in sexuel­ler Hinsicht unbestreit­bar auf Unter­stüt­zung angewie­sen sind – auch, um Aggres­sio­nen oder Autoag­gres­sio­nen vorzu­beu­gen, die entste­hen können, wenn einem dringen­den sexuel­len Bedürf­nis nicht nachge­kom­men werden kann.

Effekt für die Gesund­heit

Eine gesunde Sexua­li­tät wirkt sich nachweis­lich positiv auf Körper und Geist aus. Sexual­be­glei­ter Aeffner kann aus Erfah­rung sagen, dass zum Beispiel Fesseln Menschen mit Spasti­ken zur Entspan­nung und ein Orgas­mus zu kurzzei­ti­ger Verbes­se­rung verhel­fen kann. Doch in manchen Fällen ist auch Vorsicht und Abspra­che geboten, etwa wenn eine vollbe­atmete Patien­tin von einem Sexual­be­glei­ter zum Orgas­mus gebracht werden soll.

Kritik an sexuel­ler Dienst­leis­tung

Auch wenn das sexuelle Grund­be­dürf­nis als Menschen­recht anerkannt und mittler­weile ins öffent­li­che Bewusst­sein vorge­drun­gen ist, dass dies auch für ältere Menschen und Menschen mit Behin­de­run­gen gilt, gibt es auch Kritik an der Tätig­keit der Sexual­as­sis­ten­ten und ‑beglei­ter.

Bemän­gelt wird vor allem der Tatbe­stand der Prosti­tu­tion, welche aus Sicht von Kriti­kern so weiter­be­för­dert wird. Darüber hinaus besteht die Gefahr des Missbrauchs von pflege­be­dürf­ti­gen Menschen, bei denen nicht zweifels­frei angenom­men werden kann, dass eine sexuelle Handlung tatsäch­lich ihrem Willen entspricht.

FAQ

Was ist Sexual­be­glei­tung bzw. Sexual­as­sis­tenz?

Beide Begriffe bezeich­nen eine profes­sio­nelle, sexuelle Dienst­leis­tung für ältere Menschen und Menschen mit körper­li­chen, psychi­schen und geisti­gen Einschrän­kun­gen.

Was verbirgt sich hinter der Dienst­leis­tung?

Bei der Sexual­be­glei­tung und ‑assis­tenz geht es um das sexuelle Erleben eines Menschen, der auf Hilfe angewie­sen ist oder keinen Partner hat. Jede Sexual­as­sis­ten­tin und jeder Sexual­as­sis­tent bestimmt selbst, was sie oder er für wen anbie­tet, zum Beispiel eroti­sche Massa­gen, Anlei­tung zur Mastur­ba­tion, Nackt­sein, Kuscheln oder auch Oral- und Geschlechts­ver­kehr.

Welche Kritik gibt es?

Beson­ders wenn es um die Forde­rung der Kosten­über­nahme von Sexual­as­sis­tenz durch Kranken­kas­sen geht, wird kriti­siert, dass Prosti­tu­tion auf diese Weise geför­dert wird. Darüber hinaus wird auf die Gefahr des Missbrauchs pflege­be­dürf­ti­ger Menschen hinge­wie­sen, die nicht eindeu­tig ihre sexuel­len Bedürf­nisse und ihren Willen äußern können.

Fazit

Sexual­be­glei­ter und Sexual­as­sis­ten­ten helfen pflege­be­dürf­ti­gen Menschen bei der Erfül­lung ihrer sexuel­len Bedürf­nisse – und unter­stüt­zen so die Wahrung eines Menschen­rechts. Es handelt sich um eine kosten­pflich­tige Dienst­leis­tung, die nicht von der Kranken­kasse erstat­tet wird.

Da es sich um eine Form der Sexar­beit handelt und es zu Missbrauch kommen kann, wird die Tätig­keit auch kriti­siert.

Quellen: Kassan­dra e.V., Thomas Aeffner, Sexual­as­sis­tenz Emma, Rechts­de­pe­sche u.a.