Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte nach einer ärztlichen Behandlung ihres inzwischen verstorbenen Ehemannes (im Folgenden: Patient) aus originär eigenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch. Der Patient ließ am 27. April 2012 in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus eine Koloskopie mit Polypektomie durchführen. Am 28. April wurde eine Darmperforation festgestellt; in der Folgezeit kam es zu einer Peritonitis. Nach einem zunächst konservativen Therapieversuch wurde am 30. April eine Laparoskopie und am 3. Mai eine Laparotomie durchgeführt.
Im Jahr 2014 kam ein vom Patienten in Auftrag gegebenes Privatgutachten zum Ergebnis, dass es sich zwar bei der Perforation des Darmes um eine schicksalhafte Komplikation der Koloskopie handele. Grob fehlerhaft sei es aber gewesen, den Darmwanddefekt drei Tage nach der Perforation im Stadium der Entzündung laparoskopisch zu übernähen. Ein weiteres, für die Krankenkasse erstelltes Gutachten stellte ebenfalls Behandlungsfehler fest. Die Operation sei – so dieses Gutachten – verspätet und unter Anwendung einer fehlerhaften OP-Technik durchgeführt worden. Der Patient einigte sich schließlich mit dem Haftpflichtversicherer der Beklagten auf eine Abfindungszahlung in Höhe von 90.000 Euro.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Im Wesentlichen stützt sie diese Ansprüche auf die Behauptung, der Patient sei in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus grob fehlerhaft behandelt worden, habe deshalb mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt, weshalb sie (die Klägerin) massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten habe, nimmt. Das LG Köln hat die Klage abgewiesen, die dagegen gerichtete Berufung vor dem OLG Köln wurde zurückgewiesen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidung
Die Revision ist begründet. Das Urteil des OLG Köln wird aufgehoben und zur neuen Verhandlung dorthin zurückgewiesen. Das OLG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu verneinen sei, weil die Erkrankung der Klägerin – auch bei unterstellter Kausalität der behandlungsfehlerbedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten für die von der Klägerin behauptete (psychische) Gesundheitsverletzung – nicht vom Schutzzweck der verletzten Normen umfasst werde und sich in der Erkrankung der Klägerin deshalb lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht habe. Freilich bedarf der Zurechnungszusammenhang gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken. Die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden muss also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen.
Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten.
Für den im Streitfall betroffenen Bereich der sogenannte „Schockschäden“ ist anerkannt, dass es an dem für eine Schadensersatzpflicht erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt, wenn der Dritte, auf dessen Tod oder schwere Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen, diesem nicht persönlich nahesteht; auch insoweit verwirklicht sich allein ein – dem Schädiger nicht zurechenbares – allgemeines Lebensrisiko.
Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, in der von der Klägerin behaupteten psychischen Gesundheitsverletzung habe sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht. Weder kann die vorliegend zu beurteilende Fallkonstellation einer anerkannten Fallgruppe zugeordnet werden noch ist es bei wertender Betrachtung gerechtfertigt, das Risiko, das sich im Streitfall bei der Klägerin verwirklicht hat, allein ihrer Sphäre zuzurechnen.
Die Peritonitis und der mit ihr einhergehende akut lebensbedrohliche Zustand des Patienten war (jedenfalls auch) Folge eines ärztlichen Behandlungsfehlers im Hause der Beklagten. Der Behandlungsfehler war damit nicht nur adäquat kausal für die Lebensgefahr des Patienten; vielmehr realisierte sich für den Patienten in seiner lebensbedrohlichen Erkrankung auch das dem Behandlungsfehler innewohnende Risiko.
Für die Gesundheitsverletzung der Klägerin gilt im Ergebnis nichts anderes. Ob der behandlungsfehlerbedingt akut lebensgefährliche Zustand des Patienten für die Gesundheitsverletzung der Klägerin kausal war, hat das Berufungsgericht – trotz geäußerter Zweifel – offengelassen. Im Revisionsverfahren ist die von der Klägerin behauptete Kausalität deshalb zu unterstellen. Auf dieser Grundlage ist dann aber auch der für eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin erforderliche Zurechnungszusammenhang zu bejahen. Zwar erfasst der – ohne Weiteres gegebene – Zurechnungszusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und der akut lebensgefährlichen Erkrankung des Patienten nur einen Teilaspekt des für eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin erforderlichen Zurechnungszusammenhangs zwischen Behandlungsfehler einerseits und psychischer Gesundheitsverletzung der Klägerin andererseits.
Die danach noch bestehende „Lücke“ zwischen der Rechtsgutsverletzung beim Patienten und der Gesundheitsverletzung der Klägerin wird durch die Grundsätze der sogenannten „Schockschaden-Rechtsprechung“ geschlossen. Insbesondere bestand zwischen dem Patienten und der Klägerin als seiner Ehefrau die danach erforderliche besondere personale Beziehung. Eine Rechtfertigung dafür, die Ersatzfähigkeit sogenannter „Schockschäden“ im Falle ärztlicher Behandlungsfehler weiter einzuschränken als im Falle von Unfallereignissen, ist (anders als das Berufungsgericht meint) auch insoweit nicht zu erkennen. Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass für den für eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen behandlungsfehlerbedingter Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten einerseits und psychischer Gesundheitsverletzung der Klägerin andererseits das Beweismaß des § 286 ZPO gilt.
Die Entscheidung ist rechtskräftig
Praxistipp
Im Jahr 2017 wurde dem § 844 BGB ein neuer Absatz 3 angefügt, der es den Angehörigen eines Getöteten ermöglicht, eine angemessene Entschädigung in Geld von dem für die Tötung Verantwortlichen zu verlangen, sofern der Hinterbliebene in einem besonderen Näheverhältnis zum Getöteten stand („Hinterbliebenengeld“). Die Höhe des Anspruchs beträgt durchschnittlich zwischen 10.000 und 20.000 Euro – pro nahestehendem Angehörigen.