Mobilität
Prof. Dr. Volker Großkopf – tempe­ra­ment­voll und infor­ma­tiv bei seinem Vortrag Bild: Alexan­der Meyer-Köring

Einige langjäh­rige Besucher könnten beim diesjäh­ri­gen Motto des Kongres­ses durch­aus ein Déjà-vu-Erleb­nis gehabt haben.

„Wir hatten tatsäch­lich vor zehn Jahren schon mal den Kongress unter diesem Thema durch­ge­führt – damals war der Exper­ten­stan­dard zur Mobili­tät gerade erstmals veröf­fent­licht worden. Heute ist das Thema aktuel­ler denn je“, stimmte Kongress-Initia­tor Prof. Dr. Volker Großkopf die rund 300 Gäste im Oster­mann-Saal des Kölner Veran­stal­tungs­zen­trums Sartory auf die 17. Auflage der „Pflege­fort­bil­dung des Westens“ (JHC) ein.

Diesmal lautete „Mein (das) Recht auf Mobili­tät“ das Motto der Veran­stal­tung – genau wie schon 2014.

„Wir sind heute hier, um zu zeigen, wie Mobili­täts­kon­zepte in den Einrich­tun­gen umgesetzt werden können“, versprach Markus Taddi­cken, Geschäfts­füh­rer der Bezirks­ver­wal­tung Bochum der Berufs­ge­nos­sen­schaft für Gesund­heits­dienst und Wohlfahrts­pflege (BGW). Mobili­täts­för­de­rung wirke manch­mal Wunder – das weiß auch Kai-Uwe Buschina, stell­ver­tre­ten­der Pflege­di­rek­tor des Univer­si­täts­kli­ni­kums Köln als weite­rer Co-Gastge­ber, aus seiner tägli­chen Arbeit zu berich­ten.

„Zur Corona-Zeit hatten wir einmal langzeit­be­atmete Patien­ten mobili­siert. In dem Moment, als sie in den Stand kamen, machten sie die Augen auf!“

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Die Pflege­fort­bil­dung 2024 im Kölner Sartory Bild: Alexan­der Meyer-Köring

Vor erneut gut gefüll­ter Kulisse ist in Köln der frühjähr­li­che Kongress von G&S‑Verlag und den PWG-Semina­ren über die Bühne gegan­gen. 2008 fand die Veran­stal­tung erstmals zunächst als „JuraHe­alth Congress“ statt, seit der Neukon­zep­tion im Jahr 2019 firmiert er unter dem Namen „Pflege­fort­bil­dung des Westens“, wobei das alte Kürzel JHC erhal­ten blieb.

Neben dem ganztä­gi­gen Haupt­pro­gramm unter Modera­tion von Randolf Mäser, in der die Referen­tin­nen und Referen­ten das Thema Mobili­sie­rung aus der pflege­ri­schen, medizi­ni­schen, juris­ti­schen und ökono­mi­schen Perspek­tive betrach­te­ten, bot die BGW ihr praxis­ori­en­tier­tes Satel­li­ten­sym­po­sium „Patien­ten­mo­bi­li­tät ermög­li­chen – Präven­tive Aspekte für die Pflege­fach­per­so­nen“ an; zudem gab es in allen Fluren und Foyers des Kölner Sartory eine beglei­tende Indus­trie­aus­stel­lung mit vielen Eindrü­cken und Möglich­kei­ten zum Auspro­bie­ren.

Mobili­täts­för­de­rung braucht stärkere Anreize

„Wenn sich der Patient den Oberschen­kel­hals bricht, versu­chen die Kassen, ihr Geld zurück­zu­be­kom­men, denn sie sagen, Sie haben einen Fehler gemacht“, warnte Prof. Dr. Großkopf bei seinem Vortrag „Habe ich einen recht­li­chen Anspruch auf mobili­täts­för­dernde Maßnah­men?“.

Der Sturz könne schließ­lich eine unzurei­chende Patien­ten-Mobili­tät als Mit-Ursache gehabt haben. Allge­mein sei es aber schwie­rig, einen Schadens­er­satz-Anspruch als Patient durch­zu­set­zen, denn hierfür brauche es neben dem einge­tre­te­nen Schaden eine nachge­wie­sene Sorgfalts­pflicht-Verlet­zung, auch ein Verschul­den müsse er nachwei­sen – sowie den ursäch­li­chen Zusam­men­hang dieser Fakto­ren mit dem Schaden. „Man würde in solch einem Fall auf einen Sachver­stän­di­gen zurück­grei­fen, der dann wiederum die Doku heran­zieht“, so Großkopf.

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Gut besucht war die Veran­stal­tung in diesem Jahr Bild: Alexan­der Meyer-Köring

Wenn diese gepflegt sei, habe man gute Karten. Es gelte jedoch seitens Politik und Exper­ten­ver­bän­den, die Mobili­täts­för­de­rung stärker im Vergü­tungs­sys­tem zu berück­sich­ti­gen. „Im Hotel gibt es keinen medizi­ni­schen Dienst, der kontrol­liert, ob die Betten gemacht wurden oder ähnli­ches. Denn im Zweifels­fall zahlt der Gast einfach nicht! Oder nehmen wir die Bahn, die inzwi­schen Milli­ar­den­bei­träge als Rückver­gü­tung für Verspä­tun­gen zahlt. – Und das ist genau die Crux im Gesund­heits­we­sen.“

Wer Patien­ten oder Bewoh­ner in Bewegung bringen wolle, braucht manch­mal Überzeu­gungs­kraft. Dies skizzierte Andrea Schiff, Profes­so­rin für Pflege­wis­sen­schaft an der Katho­li­schen Hochschule (KatHO) NRW, Abtei­lung Köln, in ihrem Referat. Anhand einer Fallvi­gnette, in der eine Betreue­rin eine zunächst unwil­lige Bewoh­ne­rin mit Verweis auf den gesund­heit­li­chen Nutzen zum Spazier­gang motiviert, zeigte sie ein beispiel­haf­tes Vorge­hen. „Mobili­tät ist eine existen­zi­elle Erfah­rung und Leiberfah­rung. Sie hängt mit unserer körper­lich-seeli­schen Verfasst­heit zusam­men.“

Wenn die Baustelle vor der Einrich­tung zur Bewoh­ner-Attrak­tion wird …

Senio­ren in Einrich­tun­gen würden oft, weil sie in ihrem Bewegungs­ver­lan­gen unter­schätzt würden, immobil gehal­ten, weiß die emeri­tierte Pflege­wis­sen­schaft­le­rin Prof. Dr. Angelika Zegelin, wie sie in „Ortsfi­xie­rung – Ein Phäno­men mangeln­der Mobili­sa­tion?“ ausführte. „Wenn ich das ganze Zeug in den Einrich­tun­gen sehe – Bingo, Sitztanz, Gedächt­nis­trai­ning –, da wird mir schlecht. Ich will Bewegung, raus in die Natur“, versetzte sie sich in die Lage der Betreu­ten. „Die Leute wollen bewegt werden, aber sie bewegen sich nur zielge­rich­tet, inten­tio­nal.“ In ihrer Einrich­tung habe sie beobach­tet, wie sich die Bewoh­ner in Dreier­rei­hen vor der Tür versam­mel­ten, um die Bauar­bei­ten an einem Nachbar­ge­bäude anzuschauen – „weil endlich mal was passiert.“

Dass Mobili­tät jedoch nicht nur aus Bewoh­ner- und gesund­heit­li­cher Sicht lohnens­wert ist, sondern hilft, Geld zu sparen und pflege­ri­sche Ressour­cen zu schonen, führte Rechts­an­walt und Pflege­be­ra­ter Markus C. Blaeser in „Ist Bewoh­ner­mo­bi­li­tät finan­zier­bar?“ aus. Darin berich­tete er von einem Modell­pro­jekt in der dänischen Kommune Jammer­bugt, die auf ein digital gestützte Reha-Programm setzte.

„Die 74 Teilneh­mer, die das Programm zu Ende brach­ten, benötig­ten 78 bis 93 Stunden weniger pflege­ri­sche Hilfs als ohne Training, was insge­samt 8,4 Pflege-Vollzeit­stel­len entspricht. Es gibt also einen unstrei­ti­gen Mehrwert bei der Integra­tion von Mobili­tät in die Kernpro­zesse der Pflege.“ Es gelte jedoch, die Betreu­ung mit Physio- und Ergothe­ra­pie zu verzah­nen sowie im Abrech­nungs­sys­tem mitzu­ver­gü­ten.

Clevere Abstell­hil­fen für Gehstö­cke holen Sieg bei Innova­ti­ons­fo­rum

Bei der sechs­ten Auflage des Innova­ti­ons­fo­rums, das zur Premiere der „Pflege­fort­bil­dung des Westens“ im Jahr 2019 erstmals veran­stal­tet wurde, begeis­terte das Team der Steets GmbH mit ihrem Abstell­hil­fen für Gehstö­cke das Publi­kum: Mit dem von ihnen entwi­ckel­ten ausklapp­ba­ren, vierbei­ni­gen Stativ lassen sich medizi­ni­sche Gehhil­fen sicher aufrecht abstel­len, ohne dass diese umfal­len; somit werden lästige – oder je nach körper­li­cher Verfas­sung sogar gefähr­li­che – Aufhebe-Versu­che und Bück-Aktio­nen vermie­den.

Mit 71 Stimmen beim Publi­kums-Votum setzten sich die beiden jungen Gründer klar an die Spitze unter den elf Bewer­ber­fir­men, vor „Veli Medicare“ auf dem zweiten Platz mit 51 Stimmen, die ein auf Strom- und Wasser-Verbrauchs­da­ten basie­ren­des Hausnot­ruf-System vorstell­ten, sowie dem dritt­plat­zier­ten Team des Clements­hos­pi­tal Rapha­els­kli­nik aus Münster, das – sehr passend zum diesjäh­ri­gen Kongress­motto – sein Konzept zum Erwerb von Bewegungs­kom­pe­tenz vorstellte (34 Stimmen).

„Damit hätten wir nie gerech­net“, so die beiden Gründer der Steets GmbH, Thorben Engel und Phil Janßen, aus dem ostwest­fä­li­schen Pader­born in Reaktion auf den Titel­ge­winn. „Wir freuen uns, möglichst viele Nutzer mit dem Gerät auszu­stat­ten.“ Nicht einmal 50 Euro, blick­ten die beiden voraus, würde ein Set der Steets kosten.

Nachdem in den voran­ge­gan­ge­nen Innova­ti­ons­fo­ren eher App‑, KI- und E‑Lear­ning-Systeme das Rennen gemacht hatten – so wie die Quiz-App „Supern­urse“ zur spiele­ri­schen Aneig­nung von Pflege­wis­sen (2019), die Smart­phone-gestützte Sturz­prä­ven­tion der Lindera GmbH (2020), das auf inter­na­tio­nale Pflege­kräfte zugeschnit­tene Deutsch­kurs-Angebot der Bildungs­pro­fis gGmbH (2021), die KI-gestützte Dienst­pla­nungs-Software von PlanHero (2022) und das Patient-Monito­ring-System zur Sturz­pro­phy­laxe der QUMEA AG (2023) –, ist diesmal also eine „analoge“, im wahrs­ten Sinne des Wortes greif­bare Innova­tion zum Sieger gekürt worden!

Auch im Frühjahr 2025 ist die Pflege­fort­bil­dung des Westens in den Kölner Sartory-Sälen geplant; ein genauer Termin und das Kongress­motto werden noch bekannt­ge­ge­ben. Zuvor, am Donners­tag, 28. Novem­ber 2024, trifft am gleichen Ort der Inter­dis­zi­pli­näre WundCon­gress (IWC) zusam­men, ebenfalls organi­siert von PWG-Semina­ren und G&S‑Verlag. „Gesund­heit gestal­ten und Wunden heilen – Gemein­sam, zukunfts­ori­en­tiert, leistungs­stark“ lautet dann das Thema.