Die Situation in der Pflege hat sich vom Schlag des Coronavirus erholen können. Was bleibt sind jedoch die Arbeitsbedingungen, die schon vor der Pandemie verheerende Ausmaße angenommen hatten.
Dieser Zustand geht aufgrund der vergangenen Geschnisse während der Krisenzeit ein wenig unter, das Interess, im öffentlichen Diskurs über die Probleme im Pflegebruf zu sprechen, flacht derzeit ein wenig ab. Dabei gilt seit Jahren bereits Alarmstufe Rot!
Mai Thi Nguyen-Kim, die kürzlich für ihre Wissensvermittlung auf ihrem YouTube-Kanal „maiLab“ vom „Medium magazin“ als Journalistin des Jahres ausgezeichnet wurde, hat kürzlich in einem Video die Situation in der Pflege präsentiert – und zusammen mit ihren Interviewpartnern die großen Problemstellen des Berufs aufgedeckt. Vielen ist sie auch als Moderatorin der ARD-Sendung „Quarks“ bekannt.
Zu wenig Belohnung, Wertschätzung und Freizeit
Systemrelevante Berufe wie die Pflege werden in Deutschland statistisch betrachtet unterdurchschnittlich bezahlt und angesehen. Dieses Ungleichgewicht führt beim betroffenen Personal nicht selten zu Frust oder gar Krankheiten, wie Burnout oder Depressionen.
Das, was viele Pflegekräfte fühlen, spricht Ricardo Lange im Video offen aus. Ricardo ist Intensivpfleger in Berlin und hat sich auch im TV bereits des Öfteren für bessere Bedingungen in der Pflege eingesetzt.
„Für die Verantwortung, die man hat, die körperliche Belastung, den Stress und die soziale Isolation ist die Bezahlung definitiv nicht angemessen. Sonst hätten wir ja mehr Leute, die in der Pflege tätig wären„Ricardo Lange
Neben der hohen Verantwortung lastet auf Pflegekräften wie Ricardo stets der Anspruch, die eigene Arbeit gut zu verrichten. Zu den zwei Patienten, die der Intensivpfleger pro Tag eigentlich versorgen soll, kommen stets noch weitere hinzu. Dies führe dazu, dass man seine Aufmerksamkeit auf drei oder vier Patienten aufteilen muss.
Es komme jedoch oft vor, dass Patienten so schwer erkrankt sind, dass man vom Pflegebett gar nicht mehr wegkommt. Zum Leidwesen der anderen Kranken, die dann – unbeabsichtigt natürlich – hinten runter fallen.
Des Weiteren opfere man als Pflegekraft sein eigenes soziales Leben für die Bedürfnisse der Patienten. Urlaube könne man nicht genießen, weil die Entspanung durch die Angst vor den Arbeitsbedingungen verdrängt wird.
An den Wochenenden, an denen man eigentlich frei hat, müsse man fast immer einspringen, weil das nötige Personal nicht vorhanden ist.
Aus diesem Grund sparen viele Einrichtungen auch an Angeboten zur Weiterbildung. „Die Aufstiegschancen in der Pflege sind eigentlich super, wenn man sie denn nutzen möchte“, so Ricardo Lange. Aber diejenigen, die sich von der Pflegekraft am Bett zur Pflegedienstleitung ausbilden lassen, würden dann am anderen Ende wieder fehlen, ergänzt er.
„Man ist immer emotional erpressbar“
An ein äußerst emotionales Erlebnis im letzten Jahr errinert sich Ricardo noch sehr gut. Als sein Hund krank war, wollte er sich für den nächsten Tag von der Arbeit abmelden, um mit ihm zum Tierarzt zu gehen. Jedoch musste er auch an diesem Tag seine privaten Bedürfnisse hinten anstellen und in den Frühdienst einspringen, da zu wenig Personal vor Ort war.
Dann der Schock: Während der Arbeit erfährt er vom Tod seines Hundes. Ihm blieb nichts anderes übrig, als diesen Schlag runterzuschlucken und hochkonzentriert weiterzuarbeiten. Zum Reden hatte er niemanden.
„Ich fühle mich heute noch als Verräter, weil ich meinen besten Freund im Stich gelassen habe, weil ich meine Kollegen und die Patienten nicht im Stich lassen wollte. [..] Man ist immer emotional erpressbar, weil man Verantwortung hat gegenüber Menschen, die von uns abhängig sind.„Ricardo Lange
Pflegekräfte wollen raus aus Beruf – dabei ist dieser doch so wichtig!
Wer pflegt, sitzt sicher im Beruf. Pflegekräft werden immer und überall gebraucht, einen Job finde man fast immer, sagt Ricardo. Die anderen Fragen seien: Fühlt man sich in dieser Stelle wohl? Kommt man mit den Arbeitsbedingungen klar?
Im Jahr 2019 gaben über 37 Prozent der teilnehmenden Pflegekräfte in einer Umfrage an, innerhalb der nächsten fünf Jahre aus dem Pflegeberuf aussteigen zu wollen.
Dabei sei der Pflegeberuf an sich ein sehr schöner und erfüllender Beruf für all diejenigen, die gerne anderen Menschen helfen wollen.
Laut Professor Katja Boguth von der ASH Hochschule Berlin habe der Pflegeaufwand in den nächsten Jahren ein ähnliches Ausmaß wie der Kampf gegen den Klimawandel. Im Jahr 2016 kommen laut Hochrechnungen auf 100 Personen zwischen 20 und 64 Jahren ganze 58 Menschen höheren Alters.
Wird der Beruf nicht unterstützt, laufe man Gefahr, dass es in Zukunft keine ambulanten oder stationären Pflegedienste mehr gibt. Die Pflege der Älteren bleibe dann in der Familie hängen.
„Wenn an die Arbeit nicht richtig erfüllen kann, was hat sie dann für einen Sinn? Die eigenen Ansprüche werden verraten und deshalb leiden die Patienten. Sobald ich kann, bin ich weg aus diesem Beruf.„Ricardo Lange
Was es nun braucht
Ein jeder Mensch ist früher oder später auf die Hilfe andere angewiesen. Eine würdevolle Pflege steht im Interesse von jedermann. Umso schlimmer wäre es, künftig von den Pflegekräften im Stich gelassen werden zu müssen, da diese schlichtweg keine Zeit haben, sich um alle Patienten zu kümmern.
Ohne Druck von den Pflegekräften selbst, wird sich in der Pflegepolitk nichts ändern. Diesen Glauben scheinen die Video-Portagonisten verloren zu haben. „Ich und meine Kollegen halten durch unser Einspringen das System am Laufen. Solange dies der Fall ist, wird die Politk nichts tun“, konstatiert Ricardo Lange.
Es sei laut Prof. Boguth an der Zeit, dass sich Pflegekräfte in Gewerkschaften, Pflegekammern und Berufsverbänden zusammenschließen, um für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
Es sei nur logisch, dass hilfsbereite Menschen wie Pflegekräfte nicht gut darin sind, für sich selbst einzustehen, sagt Naguyen-Kim am Ende ihres Videos und appelliert:
„Ihr müsst das aber tun! Es ist eigetlich eine Sauerei, dass ihr für euch kämpfen müsst. Es sollte eigentlich im Interesse von uns allen sein, dass die Bedingungen für diesen Beruf gut sind. Hier muss die Politk endlich ran…“