Nach einem negativen Votum des Pflegepersonals steht in Schleswig-Holstein die zweite Pflegekammer auf Landesebene vor dem Aus. Bei einem Referendum unter den 23.579 hauptberuflich Pflegenden im nördlichen Bundesland, das seit 15. Februar lief und nun zu Ende ging, votierten satte 91,77 Prozent (15.942 Stimmen) der Teilnehmer für die Auflösung der Landespflegekammer. 8,23 Prozent (1.430 Stimmen) sprachen sich für die Fortführung der Kammer-Arbeit aus. Die Wahlbeteiligung lag bei recht hohen 73,8 Prozent.
Bereits im September 2020 hatten sich in Niedersachsen die dortigen Pflegenden mehrheitlich für die Auflösung ihrer Pflegekammer ausgesprochen. Dort läuft noch die Abwicklung. Die Landespflegekammer Schleswig-Holstein hatte 2018 ihre Arbeit aufgenommen. Damit war sie, nach Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, die dritte bundesweit. In Bayern gibt es die Sonderform eines Pflegerings, die „Vereinigung der Pflegenden in Bayern“. Sie hatte sich ab 2017 gegründet. Dort ist die Mitgliedschaft für Pflegende kostenlos und freiwillig, das Budget wird aus dem Landeshaushalt finanziert. Kritikpunkt an der Regelung ist eine daraus folgende mangelnde Unabhängigkeit von der Politik. Umstritten ist zudem, ob eine Organisation mit freiwilliger Mitgliedschaft ein Mandat haben könne, die Pflege berufsständisch zu vertreten.
„Der Kammervorstand respektiert das eindeutige Votum der Mitglieder der Pflegeberufekammer. Bis zu einer endgültigen Entscheidung des Landtags hat die Kammer ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen“, erklärte die Präsidentin der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein, Patricia Drube. Sie verwies auf die bisherigen Errungenschaften der Kammer seit ihrer Gründung. Hierzu gehören ein Berufsregister zur Pflege in Schleswig-Holstein, sowie Entwürfe für Berufs- und Weiterbildungsordnungen. Auch diverse Studien und Expertenpapiere zu unterschiedlichen Fragen sowie eine Erhebung zur Berufs-Zufriedenheit der Pflegekräfte im Land hatte die Landespflegekammer geleistet.
Vorbereitungen für Landespflegekammer liefen seit 2012
„Wir stellen daher all das Erreichte zur Verfügung, damit diese wertvollen Ergebnisse im Interesse der Pflegenden und der pflegerischen Versorgung genutzt werden können. Es ist nun in der Verantwortung der Politik zu entscheiden, in welcher Form das, was die Pflegeberufekammer erreicht und erarbeitet hat, weiter genutzt werden soll“, unterstrich Drube.
Im Dezember 2012 hatte der Landtag den Aufbau einer Pflegekammer per Beschluss auf den Weg gebracht. Am 15.7.2015 verabschiedete dieser das von der damaligen Landesregierung aus SPD, Bündnis 90/Grünen und Südschleswigscher Wählerverband (SSW) eingebrachte Gesetz zur Kammererrichtung. Daraufhin hatte sich die Landespflegekammer Schleswig-Holstein seit 2016 konstituiert und 2018 ihre Arbeit aufgenommen.
Von Anfang an hatte in Schleswig-Holstein der Streit über die Pflichtmitgliedschaft und Mitgliedsgebühren die Kammerarbeit begleitet und das Stimmungsbild geprägt. Am Anfang hatte die Kammer keine Anschubfinanzierung vom Land erhalten. Der erste Kontakt der Pflegenden mit der Kammer waren daher deren Gebührenbescheide gewesen – was offenbar die Stimmung unter den Pflegekräften nicht gerade gefördert hat. Vom Monatsbrutto wurden für Pflegende, abgestuft in 14 Beitragsklassen, rund 0,35 % als Obolus fällig. Dies waren 119 Euro jährlich in der mittleren Beitragsklasse zwischen 30.000 und 35.000 Euro Jahreseinkommen, also knapp zehn Euro im Monat. Erst Ende 2019 hatte der Landtag der Pflegekammer eine nachträgliche Anschubfinanzierung von drei Millionen Euro gewährt. Diese aber unter der Bedingung, dass die Kammer eine Mitgliederbefragung machen müsse, ob die Pflegenden eine Landespflegekammer überhaupt wollen oder nicht.
DPR-Präsident Wagner: „Schwarzer Tag für die Profession Pflege“ – BochumerBund: Wann stimmen andere Berufsgruppen über ihre Kammer ab?
„Das ist ein schwarzer Tag für die Profession Pflege“, resümierte Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerats (DPR). In der kurzen Zeit ihres Bestehens habe die Pflege durchaus erfolgreiche Arbeit geleistet. Ohne die Pflegeberufekammer würde es „sehr schwer werden, die großen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft der Pflege zu bewältigen.“ Wagner kritisierte die Art der Befragung, die „absolut schwarz/weiß gestaltet“ gewesen sei. Vor allem hätten Alternativen gefehlt, wer in Zukunft für die Pflege sprechen solle, wenn schon nicht eine Pflegekammer. „Es ist relativ einfach, gegen etwas zu sein. Was wir aber brauchen, sind Lösungen.“
Die Pflegegewerkschaft BochumerBund bedauerte das Ergebnis ebenfalls. „Leider steht der Pflegeberuf in einer Tradition der Bevormundung durch andere und diente nicht selten als politischer Spielball. Deshalb hat die politische Entscheidung eine Berufekammer durch die Pflegenden per Abstimmung auflösen zu lassen einen üblen Beigeschmack. Stellt sich doch hier unmittelbar die Frage, wann die anderen Berufsgruppen über ihre Kammer abstimmen?“ fragte deren Vorsitzender Benjamin Jäger. „Entscheidend ist jedoch, dass jetzt diejenigen liefern, die seit Jahren destruktiv gegen die Kammern arbeiten. Hier schauen wir sehr genau hin, welche Lösungen geboten werden.“
Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der Pflegekammern generell kritisch gegenübersteht, sieht das Votum als Zeichen, dass das Kammermodell nicht funktioniere und bei den Pflegekräften nicht ankomme. „Diese haben nun nach neun Jahren praktischer Erfahrung mit der Kammer ihre Stimme erhoben und für das Aus der Kammer votiert. Ein lebender Beweis dafür, dass mehr Bürokratie und Bevormundung die Probleme der Pflege nicht lösen“, erklärte der schleswig-holsteinische bpa-Landesvorstand Mathias Steinbuck.
Quelle: ndr.de, bpa.de, bochumerbund.de, dpr.de, aerzteblatt.de