Klar ist: Der vollständige Verzicht auf Tabak- und Nikotinprodukte ist stets die beste Option. Doch Umfrageergebnisse zeigen: Die Rauchstoppmotivation in Deutschland ist niedrig.
Laut DEBRA gaben nur 6 Prozent der befragten Raucher:innen an, im vergangenen Jahr einen Rauchstoppversuch unternommen zu haben.
Schadensminderung als ergänzender Ansatz
Das Verhalten der Menschen zu verstehen, ohne moralische Verurteilung vorzunehmen und mit Pragmatismus auch kleine und kontinuierliche Verbesserungen in die richtige Richtung voranzutreiben, stellt den Kern eines auf Harm Reduction ausgerichteten Ansatzes dar (Hawk et al. 2017).
Im Vordergrund steht das Bemühen, den Schaden einer bestimmten gesundheitsgefährdenden Aktivität zu reduzieren, auch wenn die Handlung an sich nicht unterbunden wird.
Für erwachsene Raucher:innen, die mit dem Zigarettenrauchen nicht aufhören und ansonsten weiterrauchen würden, stehen hierzu wissenschaftlich fundierte, verbrennungsfreie und dadurch schadstoffreduzierte Alternativen zur Verfügung. Diese Alternativen sind zwar schadstoffreduziert, sind aber nicht risikofrei, enthalten das süchtig machende Nikotin und es werden noch Langzeitstudien erwartet.
Ein allgemein akzeptierter Ansatz für die öffentliche Gesundheit
Auf internationaler Ebene sprechen sich immer mehr Public-Health- und Suchtexpert:innen dafür aus, bisherige Maßnahmen zur Tabakprävention um den Ansatz der Schadensminderung zu ergänzen:
Im September 2022 hat das britische Office for Health Improvement and Disparities (vormals Public Health England) die achte Ausgabe des UK-Vaping Reports veröffentlicht und damit erneut alle verfügbaren Daten zum Thema „Nicotine vaping in England“ im Rahmen eines Evidenzberichts zusammengestellt.
Der Bericht liefert eine der fundiertesten Zusammenfassungen zu den Gesundheitsrisiken des Konsums von E‑Zigaretten und bewertet sowohl die absoluten Risiken als auch die relativen Risiken im Vergleich zum Zigarettenrauchen. Die Wissenschaftler:innen kommen zu dem Schluss, dass der Konsum von E‑Zigaretten nicht risikofrei ist – insbesondere für Menschen, die noch nie geraucht haben.
Auf der anderen Seite deuten die ausgewerteten Daten darauf hin, dass der Konsum von E‑Zigaretten im Vergleich zum Rauchen mit einer deutlich geringeren Schadstoffbelastung einhergehe und nach Auffassung der Wissenschaftler:innen der Konsum von E‑Zigaretten kurz- und mittelfristig nur einen Bruchteil der Risiken des Zigarettenrauchens berge.
Diese und weitere Erkenntnisse haben die britische Regierung dazu veranlasst die „Swap to Stop“ Initiative ins Leben zu rufen. Im Rahmen der Initiative erhält fast jede:r fünfte Raucher:in in England ein E‑Zigaretten-Starterset sowie Informationsmaterialien, die beim Rauchstopp unterstützen sollen.
Auch die amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA hat für die Regulierung von „Tabakprodukten mit modifiziertem Risiko“ ein Bewertungsverfahren etabliert, welches in seinen Anforderungen für die Zulassung neuer Tabakprodukte im Wesentlichen dem vorgestellten Harm-Reduction-Konzept folgt.
Für einen Tabakerhitzer stellte die Behörde nach eingehender Prüfung eines wissenschaftlichen Dossiers bereits im Juli 2020 fest, dass diese geeignet sind, die öffentliche Gesundheit zu fördern, und es zu erwarten ist, dass sie der Gesundheit der gesamten Bevölkerung zugutekommen.
Höhere Rauchentwöhnungsraten mit nikotinhaltigen E‑Zigaretten
Der Cochrane-Review „Electronic cigarettes for smoking cessation“ zeigt einen hohen Grad an Evidenz dafür, dass Raucher:innen mit nikotinhaltigen E‑Zigaretten mit höherer Wahrscheinlichkeit mindestens sechs Monate abstinent vom Zigarettenrauchen bleiben als wenn sie pharmazeutische Nikotinersatztherapien (NETs) nutzen.
Demnach ließen 6 Prozent von ausstiegswilligen Raucher:innen mit NETs nach 6–12 Monaten die Zigarette hinter sich, während es bei nikotinhaltigen E‑Zigaretten 10 Prozent waren.
Fundiertes Wissen als essenzielle Voraussetzung für den Rauchstopp
Hauptursache der mit dem Zigarettenrauchen assoziierten Krankheiten sind die Schadstoffe aus der Verbrennung. Allerdings herrscht genau zu diesem Thema offensichtlich eine Fehlwahrnehmung: Nur 18,7 Prozent der in der Studie „Barrieren des Rauchstopps 2022“ befragten Raucher:innen wussten, dass die Verbrennungsprodukte von Zigaretten die primäre Ursache rauchbedingter Krankheiten sind, und nicht das Nikotin, das aber vor allem aufgrund seines Abhängigkeitspotenzials nicht risikofrei ist.
Differenzierte Aufklärung ist elementar
Tobacco Harm Reduction ist ein inklusiver, niedrigschwelliger Ansatz, der besonders gefährdete erwachsene Raucher:innen ohne Rauchstoppmotivation wieder erreichen und langfristig die Raucher:innenquote senken könnte. Neben Raucher:innen sollten auch Akteur:innen im Gesundheitswesen über die Ursachen der Schädlichkeit des Rauchens informiert sein.
Differenzierte Aufklärung über das Rauchen, den Rauchstopp und auch über wissenschaftlich fundierte Alternativen ohne Verbrennung könnte gerade Raucher:innen, die ansonsten weiterrauchen würden, zu einer informierten Entscheidung ermächtigen.
Die unter Raucher:innen weit verbreitete Fehlwahrnehmung des relativen Schadenspotenzials von verbrennungsfreien Alternativen im Vergleich zum Zigarettenrauchen untergräbt ihre Chance auf eine informierte Entscheidung. Die wahrscheinliche Konsequenz ist das Weiterrauchen.