Suizidabsicht wurde nicht erkannt
Ein Mann betrank sich mit 1,4 Litern Kräuterlikör und nahm 50 Tabletten des Betablockers Metoprolol zu sich – wie sich später herausstellte in suizidaler Absicht.
Er hatte sich dazu Nachts in den Keller seines Wohnhauses begeben. Dort wollte er auch sterben. Doch entgegen seines Plans, legte er sich schließlich ins Bett zu seiner Ehefrau und verbrachte den Rest der Nacht bei ihr.
Morgens erbrach er mehrmals, woraufhin seine Frau den Notarzt rief. Dieser lieferte den Mann mit Verdacht auf Mischintoxikation in ein Krankenhaus ein. Dort wurde der Mann auch psychiatrisch untersucht.
Bei der Untersuchung log er die Ärzte an und behauptete keine Selbstmordgedanken zu haben. Wie er später selbst angab, wusste er durch seine Tätigkeit als Pflegekraft in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie ganz genau, was er den Ärzten erzählen musste, um nicht aufgenommen zu werden.
Die Zuständigen werteten das Verhalten des Mannes entsprechend nicht als suizidal und erkannten auch keine Voraussetzungen, um ihn im Sinne des PsychKG unterzubringen. Diese Art der Unterbringung ist für Menschen mit psychischen Erkrankungen gedacht, die häufig gegen den Willen der Person erfolgt.
Stattdessen empfohlen die Ärzte eine Behandlung auf einer offenen psychiatrischen Station oder eine ambulante Behandlung.
Mann äußerte Selbstmordwünsche gegenüber Familie
Nach seiner Entlassung gestand der Mann seiner Familie, dass er sehr wohl Selbstmordwünsche habe. Nach Zureden seiner Ehefrau ließ er sich in ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie einweisen und wurde dort auf der Akutstation aufgenommen.
Er zeigte sich gegenüber den Pflegefachkräften kontaktfreudig und absprachefähig. Eine akute Suizidalität verneinte er. Aus diesem Grund wurde ihm die Erlaubnis erteilt ohne Begleitung zu duschen. Dort erhängte er sich schließlich mit dem Duschschlauch. Reanimationsversuche blieben erfolglos.
Die Familie des Mannes (die Ehefrau und zwei Söhne) sieht im Verhalten der zuständigen Pflegefachkraft Fehler und verklagt deshalb das Krankenhaus auf Schadensersatz. Eigenmächtig und unbefugt hätte der Pfleger die ärztliche Anordnung zur Überwachung des Patienten beendet.
Gericht weist Klage ab
Das LG Aachen hat die Klage der Familie in erster Instanz abgewiesen. Und auch die Berufung vor dem OLG Köln hatte keinen Erfolg.
Zur Begründung erklärt das Gericht, dass es bereits 8 Uhr morgens war, als der Mann nach der Erlaubnis fragte, duschen zu gehen. Aus der Behandlungsdokumentation lässt sich entnehmen, dass die ärztliche Anordnung zur Überwachung des Patienten auf das nächtliche Schlafen bezogen war. Die Nacht war jedoch mit Beginn der Frühschicht um 6:00 Uhr bereits vorbei.
Ohnehin ist es Pflegefachkräften nicht untersagt, trotz der ärztlichen Anordnung zur dauerhaften Überwachung eines Patienten, diesem unbeaufsichtigte Phasen zu gewähren. So etwa bei der Körperpflege.
Es gehört zu den Aufgaben und zum Alltag von berufserfahrenen Pflegekräften in einer psychiatrischen Klinik, eine mögliche Suizidalität eines Pateinten stets zu hinterfragen und zu beurteilen.
Im hier vorliegenden Fall hätte die Pflegefachkraft allerdings zunächst eine psychiatrische Untersuchung veranlassen müssen und dem Mann erst nach Gewissheit über seinen Zustand einen Duschgang erlauben dürfen.
Pflegefachkraft handelte zwar fehlerhaft – trotzdem kein Schadensersatz
Nach Ansicht des Gerichts, liegt deshalb tatsächlich ein Behandlungsfehler der zuständigen Pflegefachkraft vor. Schadensersatz muss das Krankenhaus jedoch nicht zahlen.
Der Familie gelang es vor Gericht nicht zu beweisen, dass der Fehler auch ursächlich für den Suizid des Mannes war. Es ist somit nicht klar, ob eine vorherige ärztliche Untersuchung den Selbstmord verhindert hätte.
Nach Ausführungen eines Sachverständigen hätte auch eine Ärztin oder ein Arzt den Entschluss fassen können, dem Patienten das Duschen zu gestatten. So hätte es sein können, dass der Mann erst in der Dusche den Entschluss fasste, sich das Leben zu nehmen. Solch ein Fall wäre auch durch eine ärztliche Untersuchung nicht vorherzusehen.
Quelle: OLG Köln vom 21. August 2024 – 5 U 127/23