Suizid
Ein Pfleger erlaubt einem Patien­ten alleine duschen zu gehen. Dort erhängt sich der Patient. Bild: © Sudok1 | Dreamstime.com

Suizid­ab­sicht wurde nicht erkannt

Ein Mann betrank sich mit 1,4 Litern Kräuter­li­kör und nahm 50 Tablet­ten des Betablo­ckers Metopro­lol zu sich – wie sich später heraus­stellte in suizi­da­ler Absicht.

Er hatte sich dazu Nachts in den Keller seines Wohnhau­ses begeben. Dort wollte er auch sterben. Doch entge­gen seines Plans, legte er sich schließ­lich ins Bett zu seiner Ehefrau und verbrachte den Rest der Nacht bei ihr.

Morgens erbrach er mehrmals, worauf­hin seine Frau den Notarzt rief. Dieser lieferte den Mann mit Verdacht auf Misch­in­to­xi­ka­tion in ein Kranken­haus ein. Dort wurde der Mann auch psych­ia­trisch unter­sucht.

Bei der Unter­su­chung log er die Ärzte an und behaup­tete keine Selbst­mord­ge­dan­ken zu haben. Wie er später selbst angab, wusste er durch seine Tätig­keit als Pflege­kraft in einer Kinder- und Jugend­psych­ia­trie ganz genau, was er den Ärzten erzäh­len musste, um nicht aufge­nom­men zu werden.

Die Zustän­di­gen werte­ten das Verhal­ten des Mannes entspre­chend nicht als suizi­dal und erkann­ten auch keine Voraus­set­zun­gen, um ihn im Sinne des PsychKG unter­zu­brin­gen. Diese Art der Unter­brin­gung ist für Menschen mit psychi­schen Erkran­kun­gen gedacht, die häufig gegen den Willen der Person erfolgt.

Statt­des­sen empfoh­len die Ärzte eine Behand­lung auf einer offenen psych­ia­tri­schen Station oder eine ambulante Behand­lung.

Mann äußerte Selbst­mord­wün­sche gegen­über Familie

Nach seiner Entlas­sung gestand der Mann seiner Familie, dass er sehr wohl Selbst­mord­wün­sche habe. Nach Zureden seiner Ehefrau ließ er sich in ein Fachkran­ken­haus für Psych­ia­trie einwei­sen und wurde dort auf der Akutsta­tion aufge­nom­men.

Er zeigte sich gegen­über den Pflege­fach­kräf­ten kontakt­freu­dig und abspra­che­fä­hig. Eine akute Suizi­da­li­tät verneinte er. Aus diesem Grund wurde ihm die Erlaub­nis erteilt ohne Beglei­tung zu duschen. Dort erhängte er sich schließ­lich mit dem Dusch­schlauch. Reani­ma­ti­ons­ver­su­che blieben erfolg­los.

Die Familie des Mannes (die Ehefrau und zwei Söhne) sieht im Verhal­ten der zustän­di­gen Pflege­fach­kraft Fehler und verklagt deshalb das Kranken­haus auf Schadens­er­satz. Eigen­mäch­tig und unbefugt hätte der Pfleger die ärztli­che Anord­nung zur Überwa­chung des Patien­ten beendet.

Gericht weist Klage ab

Das LG Aachen hat die Klage der Familie in erster Instanz abgewie­sen. Und auch die Berufung vor dem OLG Köln hatte keinen Erfolg.

Zur Begrün­dung erklärt das Gericht, dass es bereits 8 Uhr morgens war, als der Mann nach der Erlaub­nis fragte, duschen zu gehen. Aus der Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion lässt sich entneh­men, dass die ärztli­che Anord­nung zur Überwa­chung des Patien­ten auf das nächt­li­che Schla­fen bezogen war. Die Nacht war jedoch mit Beginn der Frühschicht um 6:00 Uhr bereits vorbei.

Ohnehin ist es Pflege­fach­kräf­ten nicht unter­sagt, trotz der ärztli­chen Anord­nung zur dauer­haf­ten Überwa­chung eines Patien­ten, diesem unbeauf­sich­tigte Phasen zu gewäh­ren. So etwa bei der Körper­pflege.

Es gehört zu den Aufga­ben und zum Alltag von berufs­er­fah­re­nen Pflege­kräf­ten in einer psych­ia­tri­schen Klinik, eine mögli­che Suizi­da­li­tät eines Patein­ten stets zu hinter­fra­gen und zu beurtei­len.

Im hier vorlie­gen­den Fall hätte die Pflege­fach­kraft aller­dings zunächst eine psych­ia­tri­sche Unter­su­chung veran­las­sen müssen und dem Mann erst nach Gewiss­heit über seinen Zustand einen Dusch­gang erlau­ben dürfen.

Pflege­fach­kraft handelte zwar fehler­haft – trotz­dem kein Schadens­er­satz

Nach Ansicht des Gerichts, liegt deshalb tatsäch­lich ein Behand­lungs­feh­ler der zustän­di­gen Pflege­fach­kraft vor. Schadens­er­satz muss das Kranken­haus jedoch nicht zahlen.

Der Familie gelang es vor Gericht nicht zu bewei­sen, dass der Fehler auch ursäch­lich für den Suizid des Mannes war. Es ist somit nicht klar, ob eine vorhe­rige ärztli­che Unter­su­chung den Selbst­mord verhin­dert hätte.

Nach Ausfüh­run­gen eines Sachver­stän­di­gen hätte auch eine Ärztin oder ein Arzt den Entschluss fassen können, dem Patien­ten das Duschen zu gestat­ten. So hätte es sein können, dass der Mann erst in der Dusche den Entschluss fasste, sich das Leben zu nehmen. Solch ein Fall wäre auch durch eine ärztli­che Unter­su­chung nicht vorher­zu­se­hen.

Quelle: OLG Köln vom 21. August 2024 – 5 U 127/23