Schadensersatz
Eine Tasse Tee (Symbol­bild) Bild: © Hannah Babiak | Dreamstime.com

Querschnitts­ge­lähm­ter muss Getränke angereicht bekom­men

Schadens­er­satz gefor­dert: Ein querschnitts­ge­lähm­ter Mann ist wegen fehlen­der häusli­cher Versor­gung in einem Pflege­heim unter­ge­bracht. Sein Zustand führt zu motori­schen und sensi­blen Ausfäl­len im Bereich der unteren Extre­mi­tä­ten und des Rumpfes.

Beim Oberkör­per besteht eine inkom­plette Lähmung der Extre­mi­tä­ten. Das bedeu­tet seine Hände sind taub und ein koordi­nier­tes Greifen sowie ein Faust­schluss sind nicht möglich. Kogni­tiv ist er weitest­ge­hend unein­ge­schränkt.

Mit einem Elektro­roll­stuhl kann er sich durch Bedie­nen eines Joysticks selbst­stän­dig bewegen. Er ist nicht in der Lage sich selbst Essen zuzube­rei­ten oder sich aus einer Flasche ein Getränk einzu­schen­ken.

Mahlzei­ten kann er jedoch mit einer spezi­el­len Gabel zum Mund führen und Getränke durch einen Stroh­halm trinken, wenn sie ihm angereicht werden.

Heißer Tee über Bewoh­ner ausge­kippt

Eine Mitar­bei­te­rin des Pflege­heims hatte dem Mann in seinem Thermo­be­cher heißen Tee gebracht und auf seinem Nacht­tisch abgestellt. Zudem hatte sie ihn darauf hinge­wie­sen, dass der Tee noch heiß sei und so noch nicht getrun­ken werden könne.

Sie wollte später wieder kommen und ihm den Tee anrei­chen. Das nahm der Mann mit einem Kopfni­cken zur Kennt­nis.

Während­des­sen betätigte der Mann seinen Elektro­roll­stuhl und stieß aus Verse­hen gegen den Tisch, auf dem der Thermo­be­cher stand. Der Becher fiel um und der heiße Tee ergoss sich auf den Schoß des Mannes.

Er erlitt im Bereich der Oberschen­kel­in­nen­sei­ten Verbrü­hun­gen und wurde mit einem Rettungs­wa­gen in ein Kranken­haus gebracht. Dort wurde er mehrere Wochen statio­när behan­delt. Danach wurde er ambulant versorgt.

Schadens­er­satz wegen verletz­ten Pflege­pflich­ten?

Die Klage­seite vertritt die Auffas­sung die Mitar­bei­te­rin habe ihre Pflege­pflich­ten verletzt. Sie hätte den Tee nicht unbeauf­sich­tigt in einem offenen Gefäß an der Kante des Nacht­tischs stehen lassen dürfen.

Bezie­hungs­weise hätte sie den Mann in dieser Situa­tion nicht unbeauf­sich­tigt lassen dürfen. Somit liege ein Pflege­feh­ler vor. Die Mitar­bei­te­rin behaup­tete den Thermo­be­cher stand­si­cher abgestellt zu haben.

Vor Gericht fordert die Klage­seite Schadens­er­satz in Höhe von 5.0208,44 Euro und die Zahlung aller weite­ren materi­el­len Schäden. In erster Instanz hat das Landge­richt Krefeld die Klage abgewie­sen. Die Klage­seite ging in Berufung vor dem Oberlan­des­ge­richt in Düssel­dorf.

Auch die Berufung blieb erfolg­los. Eine Pflicht­ver­let­zung ist der Beklag­ten nicht anzulas­ten. Nach § 3 Absatz 1 HeimG (Fassung vom 8. Novem­ber 2016) müssen die pflege­ri­schen Leistun­gen aus dem Heimver­trag nach dem jeweils anerkann­ten Stand fachli­cher Erkennt­nisse erbracht werden.

Ebenso müssen Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner vor Schädi­gun­gen geschützt werden, die wegen Krank­heit oder sonsti­gen körper­li­chen oder geisti­gen Einschrän­kun­gen und bauli­che Gestal­tung des Alten­heims drohen.

Die Obhut­s­pflicht der beklag­ten Mitar­bei­te­rin beschränkt sich aller­dings auf Maßnah­men, die in Pflege­hei­men mit einem vernünf­ti­gen finan­zi­el­len und perso­nel­len Aufwand reali­sier­bar sind. Maßstab ist das Erfor­der­li­che sowie das für die Heimbe­woh­ner und das Pflege­per­so­nal Zumut­bare.

In Pflege­hei­men – aber auch im Leben anderer Perso­nen­grup­pen – sind deshalb Umstände denkbar, die das konkrete Unfall­ge­sche­hen hätten verhin­dern können, ohne dass daraus eine Haftung abgelei­tet werden könnte.

Gefahr lag im norma­len alltäg­li­chen Rahmen

Der Thermo­be­cher war stand­fest auf dem Nachtisch abgestellt worden. Ein konkre­ter Anhalts­punkt für eine beacht­li­che Selbst­ge­fähr­dung des Mannes war nicht ersicht­lich.

Er war – darin sind sich beide Parteien einig – selbst­stän­dig in der Lage sich mit seinem Elektro­roll­stuhl sicher zu bewegen. Gewährt das Perso­nal des Pflege­heims dem Mann die Wahrung seiner Selbst­stän­dig­keit, Selbst­be­stim­mung und Selbst­ver­ant­wor­tung dann besteht immer die Möglich­keit, dass er durch Unacht­sam­keit sich selbst oder auch Dritte schädigt.

Die Möglich­keit, dass er mit seinem Elektro­roll­stuhl gegen seinen Nacht­tisch fährt und einen Gegen­stand herun­ter­stößt, liegt im norma­len alltäg­li­chen Gefah­ren­be­reich.

Quelle: OLG Düssel­dorf vom 9. Mai 2023 – 24 U 204/21 = RDG 2024, S. 151 ff.