Dekubitusbildung bei intensivmedizinischer Behandlung: Eine Frau wurde wegen einer akut exazerbierten chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung notfallmäßig in ein Krankenhaus eingeliefert. Sie wurde umgehend auf der Intensivstation behandelt und zunächst – teilweise unter Fixierung – intubiert und sediert. Nach mehr als zwei Wochen auf der Intensivstation wurde sie auf die normale Innere Station verlegt. Noch mal mehr als eine Woche später wurde sie schließlich entlassen. Im Entlassungsbericht ist ein Dekubitus am Gesäß mit dem Grad 2 beschrieben, von dem kurz vor der Entlassung eine Bildaufnahme gemacht wurde.
Schon eine Woche nach ihrer Entlassung hatte sich das Wundgeschwür derart verschlimmert, dass sie erneut zu einer notfallmäßigen Behandlung in dasselbe Krankenhaus eingeliefert wurde. Das Dekubitus wurde nun als Grad 4 eingestuft. Die Frau wurde operativ versorgt und nach anderthalb Wochen erneut entlassen.
Schadensersatz gefordert
Vor Gericht erhebt die Frau Vorwürfe, dass die Behandlung in der beklagten Klinik unzureichend war und behauptet, dass bei ihrer ersten Entlassung bereits ein Dekubitus Grad 4 vorgelegen habe. In der Folgezeit habe sie erhebliche Schmerzen und Beeinträchtigungen erleiden müssen.
In erster Instanz vor dem Landgericht Leipzig scheiterte sie mit ihrer Klage. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel weiter und beantragt Schadensersatz in Höhe von 3.667,22 Euro, Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 20.855,00 Euro, die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche zukünftige materiellen und immateriellen Ansprüche und die Freistellung von den bisherigen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 Euro.
Gericht: „Es liegt kein Behandlungsfehler vor“
Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Gericht hat einen Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Dekubitusprophylaxe und ‑behandlung der Klägerin verneint. Die Beweislast blieb also bei der Klägerin. Aus folgenden Gründen kam es zu keiner Beweislastumkehr oder ‑erleichterung:
Das Risiko, während eines stationären Krankenhausaufenthaltes einen Dekubitus zu erleiden, zählt nicht zum vollbeherrschbaren Bereich. Nach § 630h Absatz 1 BGB ist geregelt, dass ein Behandlungsfehler einer Ärztin oder eines Arztes dann vermutet wird, „wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat“. Dies liegt in diesem Fall allerdings nicht vor.
Voll beherrschbare Risiken zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass sie von der Klinik objektiv gesehen voll ausgeschlossen werden können und müssen. Sie sind aber abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind. Dazu zählt regelmäßig auch das Risiko, während eines stationären Krankenhausaufenthalts einen Dekubitus zu erleiden.
Dekubitus liegt nicht im vollbeherrschbaren Bereich
Grund für die Entstehung des Dekubitus war nach Meinung des Gerichts also nicht die Gestaltung, Organisation und Koordination der Behandlung seitens der Klinik, sondern eher individuelle Risikofaktoren seitens der Patientin. So waren die Sedierung der Klägerin notwendig, genauso wie ihre zeitweilige Fixierung wegen motorischer Unruhe bis hin zum Delir und der damit verbundenen Eigengefährdung. Zudem litt die Klägerin an Vorerkrankungen, die ein Dekubitus begünstigten.
Auch die Verwendung von kreislaufstabilisierenden Medikamenten – die die Hautdurchblutung vermindern und eine Dekubitusbildung begünstigen – waren notwendig. Angesichts dieser Sachlage ist es gerechtfertigt, die Risiken und Gefahren, die aus der Behandlung resultieren, hinsichtlich der Beweislast der Patientensphäre zuzurechnen.
Ausreichende Dokumentation lag vor
Nach Auffassung der Klägerin sei § 630h Absatz 1 BGB allein deshalb eröffnet, weil es bei ihrer Behandlung zu Dokmentationsversäumnissen gekommen wäre. Das Gericht sah das allerdings anders und entschied gegen eine Beweislasterleichterung zugunsten der Klägerin. In diesem Fall geht es vor allem darum, dass in den Krankenunterlagen erstens festgehalten werden musste, dass die Klägerin eine Risikopatientin war und zweitens wie die entsprechenden ärztlichen Anordnungen zu den durchzuführenden Pflegemaßnahmen aussahen.
Nachlässigkeit bei dieser Dokumentation ist regelmäßig ein Indiz dafür, dass im Krankenhaus die ernste Gefahr für ein Durchliegegeschwür nicht erkannt und die Durchführung vorbeugender Maßnahmen nicht in ausreichender Form angeordnet wurden und daher das Pflegepersonal nicht so intensiv auf die Prophylaxe geachtet hat, wie es sein sollte.
In diesem Fall sei allerdings unstrittig, dass im beklagten Klinikum ein Standard zur Dekubitusprophylaxe existiere, der Vorgaben für die Einschätzung des Dekubitusrisikos und für die individuelle Behandlung enthielt. Auch unstrittig sei, dass die Behandelnden eine Bewertung der Klägerin nach der Braden-Skala (diese dient der Bewertung eines Dekubitusrisikos) vornahmen.
Dies sei zwar erst bei der Aufnahme auf die Intensivstation geschehen, was nach Ansicht des Sachverständigen aufgrund der Notfallsituation allerdings gerechtfertigt war. Die weitere Dekubitusbehandlung und deren Dokumentation hat er als ausreichend und umfassend angesehen.
FAQ
Wer haftet, wenn sich ein Dekubitus während einer Krankenhausbehandlung verschlimmert?
Ein Krankenhaus haftet nur dann für eine Verschlechterung eines Dekubitus (Wundliegegeschwür), wenn ein Behandlungsfehler oder eine unzureichende Pflege nachweisbar ist. In dem Fall vor dem Landgericht Leipzig wurde die Haftung abgelehnt, da das Risiko eines Dekubitus nicht als „voll beherrschbar“ gilt. Die Risiken entstehen oft aufgrund von Vorerkrankungen und individueller Verfassung der Patienten, was die Klinik nicht vollständig kontrollieren kann. Die Beweislast für einen Behandlungsfehler liegt beim Patienten, sofern keine groben Dokumentationsmängel oder Pflegefehler nachgewiesen werden können.
Welche Rechte haben Patienten bei Dekubitus während einer stationären Behandlung?
Patienten haben das Recht auf eine angemessene Prophylaxe und Behandlung von Dekubitus während eines Krankenhausaufenthalts. Kliniken sind verpflichtet, Risikofaktoren zu bewerten und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Wenn ein Patient glaubt, dass die Klinik ihre Sorgfaltspflichten verletzt hat, können rechtliche Schritte eingeleitet werden. Die Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen liegen grundsätzlich beim Patienten. Eine Beweiserleichterung kann jedoch zu Gunsten des klagenden Patienten eintreten, wenn zum Beispiel Dokumentationsmängel zu verzeichnen sind oder nicht hinreichend qualifiziertes Personal gehandelt hat.
Was tun, wenn Dekubitus während einer Krankenhausbehandlung auftritt?
Wenn während eines Krankenhausaufenthalts ein Dekubitus auftritt, sollten Patienten oder deren Angehörige sicherstellen, dass die Klinik die Prophylaxe korrekt durchgeführt hat. Dazu gehört die Dokumentation des Risikos und der durchgeführten Maßnahmen. Falls der Verdacht auf einen Behandlungsfehler besteht, können Patienten Schadensersatz und Schmerzensgeld fordern. Im beschriebenen Fall wurde jedoch entschieden, dass die Klinik nicht für das entstandene Dekubitalgeschwür haftete, da alle erforderlichen Maßnahmen gemäß den medizinischen und pflegerischen Standards durchgeführt hatte.
Quelle: OLG Dresden vom 20.11.2021 – 4 U 1764/21