Sonderrechte und Einsatzregeln für Rettungswagen
Für einen Rettungswageneinsatz ergeben sich bestimmte Sonderrechte im Straßenverkehr. Nach § 35 Straßenverkehrsordnung (StVO) ist der Fahrer bei einem Rettungswageneinsatz von der Straßenverkehrsordnung befreit, sofern es sich um einen dringenden Notfall handelt.
Absatz 5a gibt dabei folgendes vor:
Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.
Die sich daraus ergebenen Sonderrechte beziehen sich auf die Befreiung von normalerweise geltende Pflichten im Straßenverkehr.
Damit ist nicht gemeint, dass geltende Verkehrsregeln und ‑gebote verändert oder aufgehoben werden – wie etwa die Vorfahrtsregeln.
Die Sonderrechte bei Notfalleinsätzen im Straßenverkehr schränken in dieser Hinsicht lediglich die Rechte andere Verkehrsteilnehmenden zugunsten des Sonderfahrers ein.
Das bedeutet aber nicht, dass andere Verkehrsteilnehmenden automatisch Platz machen müssen, sobald ein Einsatzfahrzeug in Sichtweite ist.
Erst wenn das Einsatzfahrzeug durch blaues Blinklicht und mit dem Einsatzhorn auf sich aufmerksam macht, müssen andere Verkehrsteilnehmer handeln. In § 38 StVO heißt es zu diesen beiden Signalen: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“.
Haftung bei Verkehrsverstößen
Trotzdem muss der Fahrer bei Notfalleinsätzen im Straßenverkehr besondere Sorgfalt walten lassen. Nur so kann er eine zivilrechtliche oder strafrechtliche Verfolgung bei Verkehrsverstößen aus dem Weg gehen.
Kreuzungen dürfen demnach bei einer roten Ampel nur dann überfahren werden, wenn der Fahrer durch Blaulicht und Einsatzhorn auf sich aufmerksam gemacht hat und zu der Überzeugung kam, dass die anderen Verkehrsteilnehmenden beide Signale wahrnehmen konnten. Andernfalls haftet der Fahrer/Halter des Dienstfahrzeuges.
Darf ein Rettungswagen eine rote Ampel überfahren?
Dass ein Notfalleinsatz allein kein Freifahrtschein dafür ist, eine rote Ampel zu überfahren, zeigt auch ein Fall vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt (OLG Frankfurt, 20.11.2023 – 17 U 121/23).
Hier war ein Rettungswagen – mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn – bei rot über eine Ampel gefahren und mit einem PKW zusammengestoßen. Der PKW-Fahrer hatte grün und bemerkte den Rettungswagen trotz beider Signale nicht.
Das Gericht urteilte, dass eine Sorgfaltsverletzung bestehen kann, wenn der Fahrer des Einsatzwagens bei der Wahrnehmung der Sonderrechte sorgfaltswidrig gehandelt hat.
Nach § 35 Absatz 8 StVO stehe die Verkehrssicherheit immer über den Interessen eines Einsatzfahrzeuges am raschen Vorwärtskommen.
Die Kreuzung hätte der Fahrer nur überqueren dürfen, wenn andere Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt hätten.
Allerdings sei der PKW-Fahrer ebenfalls nicht schuldfrei. Er hätte auf die Signale des Einsatzfahrzeuges achten und seine Fahrweise an die unklare Verkehrslage anpassen sollen.
Aus diesem Grund hielt das OLG bei gleichwertigem Verursachungs- und Verschuldensbeitrag eine Haftungsquote von 50 Prozent zu 50 Prozent angemessen.
Notfallfahrten von selbstständigen Ärzten
Doch wie gestaltet sich die Situation, wenn eine Ärztin oder ein Arzt zu einem Notfall fahren muss. Ist auch hier die Missachtung der Straßenverkehrsordnung möglich?
Für selbstständige Ärzte gestaltet sich die rechtliche Situation etwas anders, da sie meist nicht über Unfallrettungsfahrzeuge verfügen, die mit Blaulicht und Martinshorn ausgestattet sind.
Verkehrsverstöße eines Arztes sind deshalb nur im Wege des sogenannten rechtfertigenden Notstands gerechtfertigt.
§ 34 Strafgesetzbuch (in Ergänzung § 16 OWiG) definiert dabei den rechtfertigenden Notstand so:
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben […] oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von […] einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen […], das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
Die Interessenabwägung in der hier diskutierten Frage stehen sich Leben und Gesundheit des Patienten einerseits und Verkehrssicherheit andererseits gegenüber.
Sollte eine pflichtgemäße Abwägung beider Interessen zu dem Ergebnis kommen, dass die Gefahrensituation des Patienten überwiegt, dann ist eine Übertretung formaler Verkehrsvorschriften als verhältnismäßig und angemessen zu bewerten.
Das ist aber nur bis zu einem bestimmten Grad gerechtfertigt, bei dem keine konkrete Gefährdung von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer besteht.
Auch kann sich ein Arzt nicht auf den rechtfertigenden Notstand berufen, wenn die Gefahr für seinen Patienten, zum Beispiel durch Herbeirufen eines Krankenwagens, ebenso schnell behoben oder vermieden werden kann.