Rettungswagen
Ein Notfall­ein­satz in Aalen (Symbol­foto) Bild: bhosfeld / Pixabay

Sonder­rechte und Einsatz­re­geln für Rettungs­wa­gen

Für einen Rettungs­wa­gen­ein­satz ergeben sich bestimmte Sonder­rechte im Straßen­ver­kehr. Nach § 35 Straßen­ver­kehrs­ord­nung (StVO) ist der Fahrer bei einem Rettungs­wa­gen­ein­satz von der Straßen­ver­kehrs­ord­nung befreit, sofern es sich um einen dringen­den Notfall handelt.

Absatz 5a gibt dabei folgen­des vor:

Fahrzeuge des Rettungs­diens­tes sind von den Vorschrif­ten dieser Verord­nung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschen­le­ben zu retten oder schwere gesund­heit­li­che Schäden abzuwen­den.

Die sich daraus ergebe­nen Sonder­rechte bezie­hen sich auf die Befrei­ung von norma­ler­weise geltende Pflich­ten im Straßen­ver­kehr.

Damit ist nicht gemeint, dass geltende Verkehrs­re­geln und ‑gebote verän­dert oder aufge­ho­ben werden – wie etwa die Vorfahrts­re­geln.

Die Sonder­rechte bei Notfall­ein­sät­zen im Straßen­ver­kehr schrän­ken in dieser Hinsicht ledig­lich die Rechte andere Verkehrs­teil­neh­men­den zuguns­ten des Sonder­fah­rers ein.

Das bedeu­tet aber nicht, dass andere Verkehrs­teil­neh­men­den automa­tisch Platz machen müssen, sobald ein Einsatz­fahr­zeug in Sicht­weite ist.

Erst wenn das Einsatz­fahr­zeug durch blaues Blink­licht und mit dem Einsatz­horn auf sich aufmerk­sam macht, müssen andere Verkehrs­teil­neh­mer handeln. In § 38 StVO heißt es zu diesen beiden Signa­len: „Alle übrigen Verkehrs­teil­neh­mer haben sofort freie Bahn zu schaf­fen“.

Haftung bei Verkehrs­ver­stö­ßen

Trotz­dem muss der Fahrer bei Notfall­ein­sät­zen im Straßen­ver­kehr beson­dere Sorgfalt walten lassen. Nur so kann er eine zivil­recht­li­che oder straf­recht­li­che Verfol­gung bei Verkehrs­ver­stö­ßen aus dem Weg gehen.

Kreuzun­gen dürfen demnach bei einer roten Ampel nur dann überfah­ren werden, wenn der Fahrer durch Blaulicht und Einsatz­horn auf sich aufmerk­sam gemacht hat und zu der Überzeu­gung kam, dass die anderen Verkehrs­teil­neh­men­den beide Signale wahrneh­men konnten. Andern­falls haftet der Fahrer/Halter des Dienst­fahr­zeu­ges.

Darf ein Rettungs­wa­gen eine rote Ampel überfah­ren?

Dass ein Notfall­ein­satz allein kein Freifahrt­schein dafür ist, eine rote Ampel zu überfah­ren, zeigt auch ein Fall vor dem Oberlan­des­ge­richt in Frank­furt (OLG Frank­furt, 20.11.2023 – 17 U 121/23).

Hier war ein Rettungs­wa­gen – mit einge­schal­te­tem Blaulicht und Martins­horn – bei rot über eine Ampel gefah­ren und mit einem PKW zusam­men­ge­sto­ßen. Der PKW-Fahrer hatte grün und bemerkte den Rettungs­wa­gen trotz beider Signale nicht.

Das Gericht urteilte, dass eine Sorgfalts­ver­let­zung bestehen kann, wenn der Fahrer des Einsatz­wa­gens bei der Wahrneh­mung der Sonder­rechte sorgfalts­wid­rig gehan­delt hat.

Nach § 35 Absatz 8 StVO stehe die Verkehrs­si­cher­heit immer über den Inter­es­sen eines Einsatz­fahr­zeu­ges am raschen Vorwärts­kom­men.

Die Kreuzung hätte der Fahrer nur überque­ren dürfen, wenn andere Verkehrs­teil­neh­mer ihn wahrge­nom­men und sich auf seine Absicht einge­stellt hätten.

Aller­dings sei der PKW-Fahrer ebenfalls nicht schuld­frei. Er hätte auf die Signale des Einsatz­fahr­zeu­ges achten und seine Fahrweise an die unklare Verkehrs­lage anpas­sen sollen.

Aus diesem Grund hielt das OLG bei gleich­wer­ti­gem Verur­sa­chungs- und Verschul­dens­bei­trag eine Haftungs­quote von 50 Prozent zu 50 Prozent angemes­sen.

Notfall­fahr­ten von selbst­stän­di­gen Ärzten

Doch wie gestal­tet sich die Situa­tion, wenn eine Ärztin oder ein Arzt zu einem Notfall fahren muss. Ist auch hier die Missach­tung der Straßen­ver­kehrs­ord­nung möglich?

Für selbst­stän­dige Ärzte gestal­tet sich die recht­li­che Situa­tion etwas anders, da sie meist nicht über Unfall­ret­tungs­fahr­zeuge verfü­gen, die mit Blaulicht und Martins­horn ausge­stat­tet sind.

Verkehrs­ver­stöße eines Arztes sind deshalb nur im Wege des sogenann­ten recht­fer­ti­gen­den Notstands gerecht­fer­tigt.

§ 34 Straf­ge­setz­buch (in Ergän­zung § 16 OWiG) definiert dabei den recht­fer­ti­gen­den Notstand so:

Wer in einer gegen­wär­ti­gen, nicht anders abwend­ba­ren Gefahr für Leben […] oder ein anderes Rechts­gut eine Tat begeht, um die Gefahr von […] einem anderen abzuwen­den, handelt nicht rechts­wid­rig, wenn bei Abwägung der wider­strei­ten­den Inter­es­sen […], das geschützte Inter­esse das beein­träch­tigte wesent­lich überwiegt.

Die Inter­es­sen­ab­wä­gung in der hier disku­tier­ten Frage stehen sich Leben und Gesund­heit des Patien­ten einer­seits und Verkehrs­si­cher­heit anderer­seits gegen­über.

Sollte eine pflicht­ge­mäße Abwägung beider Inter­es­sen zu dem Ergeb­nis kommen, dass die Gefah­ren­si­tua­tion des Patien­ten überwiegt, dann ist eine Übertre­tung forma­ler Verkehrs­vor­schrif­ten als verhält­nis­mä­ßig und angemes­sen zu bewer­ten.

Das ist aber nur bis zu einem bestimm­ten Grad gerecht­fer­tigt, bei dem keine konkrete Gefähr­dung von Leib und Leben anderer Verkehrs­teil­neh­mer besteht.

Auch kann sich ein Arzt nicht auf den recht­fer­ti­gen­den Notstand berufen, wenn die Gefahr für seinen Patien­ten, zum Beispiel durch Herbei­ru­fen eines Kranken­wa­gens, ebenso schnell behoben oder vermie­den werden kann.