Rettungskräfte
Hier ist noch alles ruhig. Doch die Situa­tion kann unver­mit­telt in Aggres­sio­nen ausar­ten. Bild: Candy­box Images/Dreamstime.com

Jeman­den in schwers­ter, gegebe­nen­falls sogar das Leben bedro­hen­der Not zur Hilfe zu kommen, ist eine wesent­li­che Bürger­pflicht (vgl. § 323c StGB) und eine ehren­volle Tat zugleich. Die Männer und Frauen, die sich dazu entschie­den haben, dieses Handlungs­feld profes­sio­nell auszu­üben, verdie­nen deshalb den aller­größ­ten Respekt und Dank – schon deshalb weil jeder von uns in eine solche Notlage geraten kann.

Doch die Reali­tät zeich­net ein etwas anderes Bild: Seit Jahren häufen sich die Berichte von Behin­de­run­gen und zum Teil gewalt­tä­ti­gen Übergrif­fen gegen­über im Einsatz befind­li­chen Rettungs­kräf­ten.

Gewalt gegen Rettungs­kräfte: Spucken, Würgen und mehr

So zeigte beispiels­weise in einer reprä­sen­ta­ti­ven Unter­su­chung zur Gewalt gegen Rettungs­kräfte in Nordrhein-Westfa­len aus dem Jahr 2012,[1] dass 98 Prozent der befrag­ten Rettungs­kräfte verbale Gewalt erlebt haben.

60 Prozent der Befrag­ten berich­te­ten zudem von mindes­tens einem gewalt­tä­ti­gen Übergriff wie zum Beispiel Wegschub­sen oder Anspu­cken. Immer­hin noch 8 Prozent wurden Opfer von tatsäch­lich ausge­üb­ter körper­li­cher Gewalt (zum Beispiel Würgen) und weitere 8 Prozent berich­te­ten von geziel­ten Angrif­fen mit Waffen oder Gegen­stän­den.

Bishe­rige Reaktio­nen des Gesetz­ge­bers

2011 reagierte der Bund erstmals auf Initia­tive des Bundes­ra­tes mit einer Verschär­fung des Straf­rechts, indem er die bishe­rige Vorschrift des § 114 StGB (alte Fassung, „Wider­stand gegen Perso­nen, die Vollstre­ckungs­be­am­ten gleich­ste­hen“) dahin­ge­hend verän­derte, dass Perso­nen, die „bei Unglücks­fäl­len oder gemei­ner Gefahr oder Not Hilfe­leis­tende der Feuer­wehr, des Katastro­phen­schut­zes oder eines Rettungs­diens­tes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behin­dert oder sie dabei tätlich angreift“, analog § 113 StGB („Wider­stand gegen Vollstre­ckungs­be­amte“) zu bestra­fen sind.[2]

Mit Blick auf die weiter­hin steigen­den Gewalt­akte gegen­über Vollstre­ckungs- und Einsatz­kräfte erfolgte sechs Jahre später[3] eine weitere Schär­fung des Straf­rechts: Diese führte einen neu gefass­ten § 114 – aus dem alten § 114 StGB wurde § 115 StGB – in das Straf­ge­setz­buch ein, der den tätli­chen Angriff auf einen Vollstre­ckungs­be­am­ten mit einer Freiheits­strafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Gleiches gilt auch für die einem Vollstre­ckungs­be­am­ten im Rahmen ihrer Dienst­hand­lung gleich­ge­stell­ten Rettungs­kräfte (vgl. § 115 Absatz 3 Satz 2).

Trotz Verschär­fung: Die Gewalt reißt nicht ab

Dass das Ausüben oder bloße Andro­hen von Gewalt gegen­über Einsatz- und Rettungs­kräfte inzwi­schen empfind­li­che Strafen nach sich zieht, scheint jedoch noch immer nicht überall angekom­men sein.

Beispiele aus der jünge­ren Vergan­gen­heit:

  • Mai 2024: Zwei Sanitä­ter wurden wegen eines medizi­ni­schen Notfalls zu einer Wohnung in Königs­lut­ter (Nieder­sach­sen) gerufen wurden. Dort wurden sie von dem vermeint­li­chen Patien­ten sowie dessen Beglei­ter so massiv verbal attackiert, dass die Sanitä­ter sich in den hinte­ren Teil ihres Rettungs­wa­gen in Sicher­heit bringen mussten. Die Angrei­fer folgten ihnen nach draußen und versuch­ten, in den Rettungs­wa­gen zu kommen. Als das nicht gelang, verwüs­te­ten sie das unver­schlos­sene Führer­haus und zerstör­ten Dienst­ge­räte.
  • Septem­ber 2024: Eine Rettungs­sa­ni­tä­te­rin wurde bei einem Einsatz in Stade (Nieder­sach­sen), bei der sie im Rettungs­wa­gen die offenen Wunden einer 20-jähri­gen Patien­tin versor­gen wollte, unver­mit­telt von dieser attackiert und so schwer am Kopf verletzt, dass sie selbst im Kranken­haus behan­delt werden musste. Auch der Lebens­ge­fährte der Patien­tin ging auf die Einsatz­kräfte los.
  • Oktober 2024: Während eines Lösch­ein­sat­zes im Steffen­ber­ger Ortsteil Stein­perf (Landkreis Marburg-Bieden­kopf, Hessen) wurden die Einsatz­kräfte der Feuer­wehr von drei Jugend­li­chen belei­digt sowie mit einem Messer bedroht.

Die Liste ließe sich ohne Weite­res weiter fortset­zen. Auch neuere Unter­su­chun­gen[4] zeigen leider ein ungebro­che­nen Anstieg an Gewalt­ta­ten gegen Feuer­weh­ren und sonstige Rettungs­dienste. Das Bundes­kri­mi­nal­amt verzeich­net inzwi­schen neue Höchst­stände.

Auch in der Notauf­nahme wird geprü­gelt

Und es sind längst nicht nur die Rettungs­kräfte, Feuer­weh­ren oder Polizis­ten, die zu Opfer von Gewalt werden. Auch in Kranken­häu­sern kommt es immer häufi­ger zu aggres­si­ven Übergif­fen gegen­über dem dorti­gen Perso­nal: So wurden im Septem­ber 2024 mindes­tens sechs Mitar­bei­ter eines Essener Kranken­hau­ses von Angehö­ri­gen eines Patien­ten angegrif­fen und verletzt, eine 23-Jährige sogar schwer.

Oder man denke nur an die Silves­ter­nacht 2023/2024, wo drei Brüder in der Notauf­nahme des Sana-Klini­kums in Berlin-Lichten­berg einen Arzt und einen Pfleger brutal zu Boden schlu­gen. Die an die Öffent­lich­keit gelang­ten Aufnah­men der Überwa­chungs­ka­mera gingen in der Folge viral und lösten ein breites Medien­echo aus.

Gewalt im Krankenhaus
Stand­bild von der Video­auf­zeich­nung aus dem Sana-Klini­kum.

Bundes­re­gie­rung plant neue Verschär­fun­gen

Anzumer­ken ist, dass zum Zeitpunkt dieser Vorfälle der Schutz­be­reich des § 115 StGB bereits auf die Hilfleis­ten­den eines ärztli­chen Notdiens­tes und in Notauf­nah­men ausge­dehnt worden war.[5]

Doch das scheint längst nicht für ein wirksa­mes Abschre­ckungs­po­ten­zial zu reichen. Hinzu kommt: Es werden immer neue Perso­nen­grup­pen identi­fi­ziert, die von Gewalt und Gewalt­dro­hun­gen betrof­fen sind und die einen beson­de­ren straf­recht­li­chen Schutz bedür­fen.

In Anerken­nung dieser Umstände hat die Bundes­re­gie­rung im Oktober den Gesetz­ent­wurf zur Änderung des Straf­ge­setz­bu­ches in das Parla­ment einge­bracht. Dieser verfolgt das Ziel der „Stärkung des Schut­zes von Vollstre­ckungs­be­am­ten und Rettungs­kräf­ten sowie von dem Gemein­wohl dienen­den Tätig­kei­ten“.[6]Hierin ist unter anderem geplant die Grund­sätze der Straf­zu­mes­sung (§ 46 StGB) in Absatz 2 dahin­ge­hend zu ändern, dass „die Eignung der Tat, eine dem Gemein­wohl dienende Tätig­keit nicht nur unerheb­lich zu beein­träch­ti­gen“ in das richter­li­che Prüfschema einzu­fü­gen.

Des Weite­ren soll der Tatbe­stand des „hinter­lis­ti­gen Überfalls“ auf Vollstre­ckungs­be­amte und ihnen gleich­ge­stell­ten Perso­nen (etwa Rettungs­kräfte) als Regel­bei­spiel für einen beson­ders schwe­ren Fall eines Übergriffs aufge­nom­men werden.

Auch CDU/CSU will Straf­rah­men erwei­tern

Auch die Opposi­tion von CDU/CSU hat einen Handlungs­be­darf erkannt und ihrer­seits einen Gesetz­ent­wurf in das Parla­ment einge­bracht.[7] Nach diesem solle in § 113 StGB ein neuer Absatz einge­fügt werden, der bei einem hinter­lis­ti­gen Überfall oder bei Verwen­dung einer Waffe oder eines anderen gefähr­li­chen Werkzeugs oder wenn der Täter den Angegrif­fe­nen in die Gefahr des Todes oder einer schwe­ren Gesund­heits­schä­di­gung bringt, eine Mindest­strafe von einem Jahr Freiheits­strafe vorsieht.

Des Weite­ren soll die Behin­de­rung von hilfe­leis­ten­den Perso­nen (§ 323c Absatz 2 StGB) sowie der Missbrauch von Notru­fen (§ 145 StGB) eine weitere Verschär­fung erfah­ren. Der Schutz­be­reich des § 115 StGB soll außer­dem auf Ärzte, Zahnärzte, Psycho­the­ra­peu­ten sowie sonstige Angehö­rige der Gesund­heits­be­rufe ausge­wei­tet werden.

Jetzt sind die Ausschüsse dran

In seiner 191. Sitzung am Donners­tag, den 10. Oktober 2024 vollzog der Deutsche Bundes­tag eine erste Ausspra­che über die vorge­leg­ten Gesetz­ent­würfe. Hiernach wurde eine Überwei­sung der beiden Entwürfe sowie eines diesbe­züg­li­chen Antrags der AfD-Fraktion an die zustän­di­gen Ausschüs­sen beschlos­sen.

Wann mit einem Ergeb­nis zu rechnen ist, steht in den Sternen.

Fußno­ten:

  1. Schmidt J (2012): „Gewalt gegen Rettungs­kräfte. Bestands­auf­nahme zur Gewalt gegen Rettungs­kräfte in Nordrhein-Westfa­len.“ Abschluss­be­richt, Bochum im Januar 2012
  2. Vierund­vier­zigs­tes Gesetz zur Änderung des Straf­ge­setz­buchs – Wider­stand gegen Vollstre­ckungs­be­amte. BGBl. I 2011, Nr. 55 vom 4. Novem­ber 2011, S. 2130
  3. Zweiund­fünf­zigs­tes Gesetz zur Änderung des Straf­ge­setz­bu­ches – Stärkung des Schut­zes von Vollstre­ckungs­be­am­ten und Rettungs­kräf­ten. BGBl. I 2017, Nr. 30 vom 29. Mai 2017, S. 1226
  4. Statista: „Anzahl der polizei­lich erfass­ten Gewalt­ta­ten gegen Feuer­weh­ren und sonstige Rettungs­dienste in Deutsch­land von 2018 bis 2023.“
  5. Durch das Gesetz zur Bekämp­fung des Rechts­extre­mis­mus und der Hasskri­mi­na­li­tät. BGBl. I 2021, Nr. 12 vom 1. April 2021
  6. BT-Druck­sa­che 20/12950
  7. BT-Druck­sa­che 20/13217